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Späte Revolution der zornigen Söhne

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Für wenige Tage schien die Welt in der Lagunenstadt noch in Ordnung. Väter und Söhne, Liebe und Vergangenheitsbewältigung bildeten die Schwerpunkte des Spektakels.

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Für wenige Tage schien die Welt in der Lagunenstadt noch in Ordnung. Väter und Söhne, Liebe und Vergangenheitsbewältigung bildeten die Schwerpunkte des Spektakels.

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Der Kritiker ist immer versucht, Tendenzen und Linien zu finden, an denen er sich orientieren kann, auch auf die Gefahr hin, zu selektiv zu sein. Wenn es beim diesjährigen 43. Filmfestival von Venedig ein hervorstechendes Thema gegeben hat, dann waren es die Väter. Eine ganze Reihe von teilweise hervorragenden Filmen befaßte sich mit den Vätern, meist im Konflikt mit den Söhnen.

Der Brite Ken Loach überraschte mit seinem neuesten Film „Fa-therland“ durch ein „deutsches Werk“: deutsch war das Thema, deutsch war auch die Machart des Films. Die nicht mehr ganz so neue Geschichte eines Liedermachers — als Klaus Drittemann spielte Gerulf Pannach teils seine eigene Geschichte — in der DDR, der Probleme mit den Behörden bekommt und ein Ausreisevisum ohne Rückfahrkarte anzunehmen gezwungen ist.

Im Westen interessiert sich Drittemann aber nicht für seine Verträge mit den Plattenfirmen, sondern für die Geschichte seines Vaters, der, selbst aus der DDR vor 30 Jahren ausgezogen, unbekannten Ortes lebt. Die französische Journalistin Emma (Fabien-ne Babe) hilft dem Liedermacher bei der Suche; sie ist Drittemanns Vater auf der Spur, der im Zweiten Weltkrieg den Großteil ihrer Familie ausgerottet haben soll. Der Vater wird in Cambridge gefunden, und sein Selbstmord — nach einem Gespräch mit seinem Sohn Klaus — erhärtet alle Verdächtigungen.

„Die Schuld der Väter ist der Zorn der Söhne.“ Unter diesen plakativen Satz stellt Markus Im-hoof seine hervorragende Verfilmung des Romanfragments „Die Reise“ von Bernward Vesper.

In Vespers autobiographischem Romanfragment fand er einen idealen „Steinbruch“, von dem er seine Geschichte abtragen konnte. Bernward Vesper war der Sohn eines prominenten NS-Schriftstellers. Die Loslösung von der Vergangenheit seines Vaters und damit auch vom Vater selbst, die seine Kindheit und Jugend bestimmte, führt Vesper in eine andere Radikalität; in die Studentenunruhen der späten Sechzigerjahre in Berlin.

Gemeinsam mit Gudrun Ensslin, mit der er einige Zeit lebt und ein Kind hat, gerät er in die deutsche Terrorszene, von der er sich aber „auf der Reise“ allmählich absetzt. Mit seinem Sohn Felix, den er der Mutter entführt, flüchtet er durch halb Europa. Vespers Reise bricht abrupt ab: er begeht Selbstmord.

In Imhoofs Film wird Vesper unter einem Groß auf gebot von Polizei aus der verfallenden väterlichen Villa verhaftet, wo er sich mit Felix versteckt hat. Und Felix beißt den Polizisten, der ihn aus den Rauchwolken trägt, in den Arm — Motiv des Schlußbildes. Die Drohung, daß die Schuld der Väter der Zorn der Söhne sei, läßt Imhoof also als Frage — auch an sich selbst — mit diesem Bild stehen.

Mit Peter Lilienthals neuestem Film „Das Schweigen des Dichters“ gewinnt die Vater-Sohn-Beziehung eine sehr lyrisch-stüle Facette. Der verstummte Dichter Yoram (Jakov Lind) lebt mit seinem an der Grenze zwischen Idiotie und Hellsichtigkeit stehenden Sohn Gideon in Tel Aviv. Der Vater gibt den Sohn nicht auf und will diesem helfen, möglichst nahe an die Grenze des „Normalen“ zu kommen, damit er überleben kann.

Gideon wiederum versucht, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, den Vater wieder zum Schreiben zu bringen, was ihm letztlich auch gelingt. In einer sprachlich immer mehr verarmenden Zeit wie der unseren bedeutet Lilienthals Geschichte (nach einer Erzählung von Abraham B. Vehosua), daß der „Entrückte, der Narr“ dem Dichter und so uns allen die Sprache wieder geben kann, ein hoffnungsvolles Bild.

Weitere Themen? Da wurde mit Luigi Comencinis „La Storia“ wieder das Problem der Juden im Zweiten Weltkrieg aufgegriffen. Der vierstündige Film (TV-Fassung) zeigt die beeindruckende Geschichte einer Jüdin in Rom, der es gelingt, den Nazis zu entkommen. Die schauspielerische Leistung des kaum fünfjährigen Andrea Spada (Useppe) war außergewöhnlich und hätte den Goldenen Löwen für die beste männliche Hauptrolle verdient.

Dagegen mußte Wolfgang Glücks Film „38“ - trotz Anwesenheit von Unterrichtsminister Herbert Moritz — verblassen. Der österreichische Regisseur nahm Friedrich Torbergs Roman .Auch das war Wien“ zum Anlaß, um das Schicksal der Juden in Wien — knapp vor und während des Einmarsches der Nazis - zu beleuchten.

Auch die zwei weiteren Beiträge Österreichs bei der Fümbien-nale waren Literaturverfilmungen. Xaver Schwarzenberger gelang das durchaus schwierige Vorhaben, aus Ingeborg Bachmanns Romanfragment „Der Fall Franza“ einen Füm zu machen, der in Bild und Wort Bachmanns Sprache gerecht wurde. Daß man in „Simultan-Ubersetzungen“ für die Zuschauer (und Jury-Mitglieder) die Sprache Bachmanns schwer verständlich machen kann, mag ein Grund dafür gewesen sein, daß es um Schwarzenberger diesmal eher still blieb.

Von Karin Brandauer war der Film „Erdsegen“ zu sehen, nach einem Roman von Peter Roseg-ger. Felix Mitterer, ein „Wald-bauernbua“ unserer Tage, wie er sich selbst bezeichnet, schrieb das Drehbuch für diesen ansprechenden Film.

Daß ein Film wie „Le Rayon Vert“ den Goldenen Löwen von Venedig gewonnen hat, ist symptomatisch für die beim diesjährigen Festival vorherrschende Tendenz. Die Qualität dieses überaus sensiblen und humorvollen Films ist unbestritten — dafür bürgt Regisseur Eric Rohmer genauso wie die Hauptdarstellerin Marie Riviere.

Delphine weiß nicht, wo sie ihre Ferien verbringen soll; die Freundinnen fahren mit ihren Partnern, Delphine hingegen ist unfreiwillig allein. Auf ihrer Suche nach Toren zur „Außenwelt“, durch die sie ihre Schüchternheit und Unsicherheit überwinden will, bleibt sie anfangs immer wieder in sich selbst gefangen. Erst am Ende kommt „die Zeit, wo die Herzen in Liebe fallen“.

Die Reihe der teilweise großartigen Liebesfilme, die in Venedig zu sehen waren, ließe sich behebig fortsetzen. Am Lido scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Am Ende dieses großen Filmspektakels steht fest, daß wieder, wie so oft schon, die Vergangenheit als Bewältigungsversuch, die Liebesgeschichten als Ablenkungsversuch herhalten mußten, weil über die Gegenwart zu sprechen so schwer ist.

Einzig dem spanischen Film „Acta General de Chile“ mußte man seine politische Brisanz bestätigen: wurde er doch unmittelbar nach dem Attentat auf General Pinochet präsentiert. Ein Film des Exilchilenen Miguel Littin, der den Film illegal in seiner. Heimat drehte und — war es die Gunst der Stunde? — gleich drei Preise für sich in Anspruch nehmen konnte. Die Verleihungszeremonie wurde so zu einer politischen Demonstration, nicht ganz zur Freude der Veranstalter.

Als einer, der sich durch das Festival durchgeschaut hat, weiß man am Ende nicht, ob man sich der traurigen Melancholie von Theo Angelopoulos „O Melisso-komos“ (Der Flug) hingeben soll oder die Ernüchterung annehmen, die einem Mike Nichols und Meryl Streep im Galafilm des letzten Abends von Venedig — „Heartburn“ _ beschert haben.

Der Autor ist Mitglied der Katholischen Filmkommission Otterreichs.

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