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Spätherbst 19 5 6

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Im Hintergrund des nahenden Ungarn-Gedenkens.erinnert das Crescendo polnischer Alarmtrommeln daran, daß die Welt von 1956 nicht im Stil, aber im Wesen noch immer die unsere ist.

Dies gilt nicht für den Osten allein. Dort wird nicht mehr so rasch, wie damals noch, marschiert und geschossen. Aber in Österreich wird auch längst nicht mehr so deutlich wie vor 25 Jahren Flagge gezeigt.

Erinnern wir uns des historischen Umfelds von damals: Ein

Jahr erst war Osterreich von den Besatzungsmächten geräumt, ein Jahr alt die Neutralität, von der die halbe Welt wenigstens glaubte, sie würde keine ernsthafte Feuerprobe bestehen.

Aber als die Demonstration von ungarischen Studenten und Arbeitern vom 23. Oktober 1956 innerhalb Tagesfrist zur offenen Revolte gedieh und schon am 24. Oktober Sowjetpanzer durch Budapest rollten, war uns die Feuerprobe abverlangt. Osterreich hat sie — damals — bravourös bestanden, wie eine Lektüre des eben im Bundesverlag erschienenen Buches „Spätherbst 1956" des Zeitgeschichtlers Manfried Rauchensteiner in Erinnerung ruft.

Schon am 24. Oktober erließ der damalige sozialistische Innenminister Oskar Helmer im Einvernehmen mit seinem ÖVP-Staats-sekretär Ferdinand Graf einen Befehl an die Gendarmerie, in dem ohne Wenn und Aber der Satz stand: „Verteidigung des österreichischen Bodens, sofern dies notwendig wird."

Unverzüglich wurden die Grenzen gesperrt. Am 28. Oktober wurde die Markierung der Ungarn-

Grenze mit rotweißroten Fähnchen beschlossen. Diese wurden wenige Tage später zum erlösenden Signal für Zehntausende von Flüchtlingen, die in ihnen das Ziel ihrer Hoffnung erkennen konnten: symbolstarke Antwort für alle jene, die heute davon philosophieren, wohl „die Familie" oder gar „die Demokratie", nicht aber „so etwas Abstraktes wie Grenzen" verteidigen zu wollen!

Die österreichische Bundesregierung erließ am 28. Oktober einen Appell, in dem es wörtlich hieß: „Gestützt auf die durch die Neutralität gesicherte Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs, tritt die österreichische Bundesregierung für eine Normalisierung der Verhältnisse in Ungarn mit dem Ziel ein, daß durch die Wiederherstellung der Freiheit im Sinne der Menschenrechte der europäische Friede gestärkt und gesichert werde."

Wer kann sich ernsthaft vorstellen, daß 1981 Österreichs Bundesregierung ein kommunistisches Nachbarland daran erinnern könnte, daß nur durch Wiederherstellung der Freiheit und Achtung der Menschenrechte der Friede in Europa gesichert werden kann?

Am selben 28. Oktober 1956 wurden Österreichs Bundesheerein-heiten vom Verteidigungsministerium angewiesen: Auch gegen „sowjetrussische Einheiten… ist, wenn sie sich nicht zurückziehen und den Kampf fortsetzen, das Feuer zu eröffnen. Die Eindringlinge sind zurückzuwerfen bzw. zu entwaffnen".

Diese klare Sprache wurde verstanden - und respektiert! Die Sowjets bemühten sich peinlichst, Grenzzwischenfälle mit Österreich zu vermeiden. Einer, der „passierte", wurde unverzüglich lokalisiert und entschärft.

Damals verleumdeten ausländische kommunistische Organe (vor allem aber die inländische „Volksstimme") Österreich wegen angeblicher Unterstützung getarnter westlicher Waffentransporte nach Ungarn.

Vor wenigen Tagen weilten führende Kommunisten des heutigen ungarischen Regimes in Wien, sprachen über den seither erfolgreich beschrittenen „ungarischen Ausweg" und bestätigten auf eine Anfrage der FURCHE, daß man „eigentlich nie" ernsthafte Vorwürfe an die Adresse der österreichischen Regierung gerichtet habe; man sei dieser für die „humanitäre Versorgung der Leute" (gemeint waren 180.000 ungarische Flüchtlinge, die in Österreich eine erste Aufnahme fanden) sogar „als Nation dankbar".

Nach bestandener Feuerprobe hat Österreich nie wieder den Gedanken einer Absicherung der österreichischen Neutralität durch eine Garantieerklärung der vier Großmächte aufgegriffen.

Gepriesen sei Geoffrey Harrison, der als Österreich-Experte im britischen Außenamt von Anfang an darauf hingewiesen hatte, daß dieser noch im Moskauer Memorandum v6m 15. Aprill955 erwähnte Garantiegedanke jeder Großmacht ein Interventionsrecht verschaffen würde, das nicht im Interesse Österreichs läge!

25 Jahre nach den tragischen Ereignissen in Ungarn freut man sich in Österreich, daß zum erstenmal seit Jahren das Verteidigungsbudget wieder spürbar aufgestockt und politische Bildung im Bundesheer (ein Jahr nach Beschlußfassung darüber!) von den Politischen Akademien der drei Nationalratsparteien ins Programm aufgenommen wurde.

Als Motivation für Patriotismus. 1956 haben uns diesen die Russenpanzer in Budapest beigebracht.

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