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Spaltung, noch kein Schisma

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Wie in zahlreichen anderen katholischen Staaten wurde das Fest Maria Himmelfahrt jedes Jahr auch in Frankreich mit besonderer Feierlichkeit begangen, obwohl zu diesem Zeitpunkt Millionen Menschen ihren Urlaub verbringen. Viele der Kirche Entfremdete benützten diesen Tag, um Einkehr zu halten und sich an Wallfahrten zu beteiligen. Das Herannahen des Marienfestes wurde jedoch 1976 von der Hierarchie mit Sorge beobachtet; traditionalistische Kreise hatten angekündigt, sie würden diese Gelegenheit ergreifen, um in großen Kundgebungen ihre Solidarität mit Erzbischof Marcel Lefebvre und seine im Schweiber Priesterseminar Ecöne entstandene Bewegung zu bekunden.

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Wie in zahlreichen anderen katholischen Staaten wurde das Fest Maria Himmelfahrt jedes Jahr auch in Frankreich mit besonderer Feierlichkeit begangen, obwohl zu diesem Zeitpunkt Millionen Menschen ihren Urlaub verbringen. Viele der Kirche Entfremdete benützten diesen Tag, um Einkehr zu halten und sich an Wallfahrten zu beteiligen. Das Herannahen des Marienfestes wurde jedoch 1976 von der Hierarchie mit Sorge beobachtet; traditionalistische Kreise hatten angekündigt, sie würden diese Gelegenheit ergreifen, um in großen Kundgebungen ihre Solidarität mit Erzbischof Marcel Lefebvre und seine im Schweiber Priesterseminar Ecöne entstandene Bewegung zu bekunden.

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Einige Bischöfe, darunter der wegen seines ausgleichenden Wirkens allgemein anerkannte Erzbischof von Paris, Kardinal Marty, hatten in ernsten Worten vor einem Schisma gewarnt. Die Anhänger Lefebvres beabsichtigten vor allem, in einem der geistigen Zentren Frankreichs,

Iämlich in Lourdes, ihren Einfluß nter den Gläubigen zu demonstrieren. Obzwar es den konservativen JCräften dann nicht gelang, jene Mächtigen Veranstaltungen zu inszenieren, von denen sie geträumt Ratten, kann die schwere Unruhe Innerhalb der „ältesten Tochter Roms“ kaum geleugnet werden. Als Beweis hiefür sei eine Meinungsumfrage zitiert, die, kürzlich durchgeführt, unterstreicht, wie sehr die Katholiken des Landes in zwei Lager gespalten sind. Mag man auch die Resultate einer demoskopischen Untersuchung mit Vorsicht beurteilen, so darf doch gesagt werden, daß aus den Ziffern die Zerklüftung der Katholiken zutage tritt: 40 Prozent nehmen an, daß die Reformen zu weit gegangen seien. 36 Prozent zeigen sich über die Entwicklung der Kirche beunruhigt. Auf eine weitere Frage bekannten 28 Prozent, sie unterstützten die Aktionen Monsignore Lefebvres; 24 Prozent lehnen sie ab. 25 Prozent sind indifferent und 23 Prozent gaben keine Antwort, (ji'o Prozent der Katholiken wünschen, ([laß man sich mehr mit den praktischen Problemen des Lebens, mit Ehescheidung und Abtreibung beschäftigen und sich nicht in theologischen Spitzfindigkeiten verlieren möge. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß 62 Prozent sich zugunsten der Messe in französischer Sprache entschieden und 27 Prozent das Latein beibehalten wissen wollen.

Ohne Zweifel hat Frankreich in entscheidendem Ausmaß an der Durchführung des Zweiten Vatika-

nischen Konzils partizipiert. Die bekannten französischen Theologen fanden nach dem Zweiten Weltkrieg in der katholischen Welt Echo und betonte Anerkennung. Gleich den Kirchenvätern der alten Zeit befruchteten ihre Theorien die Vorarbeiten zu einem Konzil, welches das Antlitz der Kirche reformierte und modernisierte. Seine Ergebnisse wurden in Frankreich mit besonderer Begeisterung begrüßt; schon vorher waren zahlreiche Versuche in diesem Land unternommen worden, die Strukturen des Katholizismus dem 20. Jahrhundert anzupassen. Natürlich ging das nicht immer ohne Krise ab. Man denke an die schweren Spannungen zwischen Rom und Paris in den fünfziger Jahren, als das Experiment der Arbeiterpriester zu scheitern drohte. Aber schon damals zeichneten sich Konturen einer Entwicklung ab, die den Beobachter mit Unruhe erfüllten. Der oft verständliche Wunsch nach vernünftigen Änderungen wurde vielfach übertrieben und es kam zu einer Vermischung. des Glaubens mit der Politik.

Man wird die Geschichte des französischen Katholizismus der Gegenwart erst dann richtig verstehen, wenn man die Einflüsse der Kulturrevolution des Mai 1968 in ihren richtigen Dimensionen einschätzt. Schon vorher waren Teile der Katholischen Aktion von den Parolen des Sozialismus und Marxismus angezogen worden. Die Tendenz verstärkte sich nach der genannten Staatskrise. Waren es zuerst die christlichen Studenten, die in das ultralinke Lager abwanderten, so folgten ihnen schneU die Katholische Arbeiterjugend und, etwas zögernd, der Verband der jungen christlichen Landwirte. Die katholische Arbeiterbewegung beschwor die Gespenster des Klassenkampfes und unterstrich ihre Soli-

darität mit den sozialistischen und kommunistischen Kollegen in den Betrieben. Wurden anfänglich die Laien von einem Sog ergriffen, der sie nach links riß, ließen sich bald auch zahlreiche Kleriker von den Sirenentönen der Internationale anlocken. In diesem Zusammenhang sei auf die kontestierende Priestergruppe „Austausch und Dialog“ hingewiesen, die auf ihrem Höhepunkt (zwischen 1968 und 1972) 1500 Mitglieder zählte. Jetzt allerdings hat dieser Zirkel, ohne über eine starke Organisation zu verfügen, etwa 900 Sympathisanten.

Das Pendel ist ganz offenbar zu heftig nach einer Seite ausgeschlagen. Manche Reform, die sich auf das II. Vaticanum beruft, ist ohne Zweifel zu weit gegangen. Die große Masse der Gläubigen stellt immer dringender die Frage, inwieweit die von allen erwarteten Neuerungen verfälscht wurden. Professor Andre Pie-ttre meinte in einem vielbeachteten Artikel, an Stelle eines Pfingststurmes sei ein neuer Turm von Babel entstanden. Mancher Versuch, die Liturgie zu modernisieren, ist fehlgeschlagen. Um noch einmal Professor Piettre zu zitieren, wird zu oft der Sinn des Meßopfers verfälscht und der eigentliche Wert der Eucharistie unterschlagen. Man spricht von einem „Fest“ oder einem „Gastmahl“ und will von Sünde und Erlösung nichts wissen. Die Realpräsenz Christi wird nicht selten bezweifelt. Gewisse junge Theologen betreten krumme Wege, wenn sie die Evangelien durch Worte von Karl Marx ersetzen. Die Ohrenbeichte wird durch ein vages kollektives Schuldbekenntnis ersetzt; Pfarrherren weigern sich, Säuglingen die Taufe zu spenden, mit dem Argument, ein neugeborenes Kind sei nicht in der Lage, sich des Wertes eines solchen Vorganges bewußt zu sein. An die Stelle des Gebotes der Liebe trat die Intoleranz. Die progressiven Christen verdächtigten ihre konservativen Brüder, Lakaien des Monopolkapitalismus zu sein.

Für den Beobachter dieser Entwicklung war es klar, daß die überforderte schweigende Mitte nicht ewig diesen Angriffen, Verdächtigungen, Experimenten und Defor-mierungen des Geistes von Vaticanum II. standhalten werde. Es kam mehrfach zu Versuchen, die Entwicklung, wie sie hier in Kurzform aufgezeigt wurde, zu bremsen.

Es handelt sich im wahrsten Sinn des Wortes um eine Reaktion des konservativen Kirchenvolkes, das weniger den Verlust des Latein, als. das Abgleiten bestimmter Teile der Kirche in das sozialistisch-marxistische Lager beklagt. Mag die Gefahr eines Schismas, von den Massenmedien in den letzten Wochen hochgespielt, einer ernsthaften Prüfung auch nicht standhalten, so sind doch Gräben aufgerissen worden und verhärten sich die Fronten zwischen „rechts“ und „links“. Natürlich spielen politische Erwägungen und Einflüsse eine Rolle, aber es wird von der Hierarchie viel Takt und Geschick verlangen, wenn sie die Ausweitung der Spaltung verhindern will.

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