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Spanien im Dialog

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Das Klima, das Spaniens Barometer in diesen ersten winterlichen Monaten des Jahres 1977 anzeigt, ist von heißer politischer Aktivität gekennzeichnet. Gestärkt durch ihren offensichtlichen Triumph beim Referendum des Vorjahres, setzt die Regierung Suärez die kluge Reformpolitik auf zwei Hauptli- nien fort. Es geht ihr darum, einerseits die Strukturen der Vergangenheit auf schmerzlose Art zu liquidieren und anderseits den Dialog mit der Opposition fortzusetzen.

Drei Institutionen vor allem, die vom Franco-Regime geschaffen worden sind und die mit ihm verquickt waren, sind das Ziel der ebenso behutsamen wie energischen Reform: In erster Linie ist es das Tribunal de Orden Püblico (TOP), ein 1963 geschaffener Sondergerichtshof zur Erledigung sozialpolitischer Streitfälle, bei dem es sich, hinter juridisch einwandfreien Formen, im wesentlichen um ein Instrument der Diktatur handelte, dessen Vorhandensein die Justiz auf gefährliche Weise der Politik unterordnete. Das TOP wurde aufgelöst, sozialpolitische Streitfälle unterliegen nunmehr der allgemeinen Gerichtsbarkeit. Der Umwandlungsprozeß war das Werk des derzeitigen Justizministers Dr. Landelino Lavilla (42), eines liberal denkenden Christdemokraten, der zu den tüchtigsten Mitarbeitern des Ministerpräsidenten Suärez zählt.

Eine weitere Reformwelle betraf das Heer. Hier bedurfte es einer besonders vorsichtigen Vorgangsweise. Immerhin befinden sich in den oberen Rängen der bewaffneten Macht nicht wenige Männer aus den Bürgerkriegstagen, die nicht nur gefühlsmäßig an den verstorbenen Generalisimo Franco gebunden sind, sondern auch heute noch mit seiner diktatorischen Politik sympathisieren, die ihnen nicht wenige Privilegien garantierte. Ziel der gegenwärtigen Regierung ist es nun, die drei bestehenden Ministerien (für das Heer, die Marine und die Luftwaffe) in ein einziges Verteidigungsministerium zusammenzufassen und dieses einer zivilen Persönlichkeit zu unterstellen.

Ein erster Schritt in diese Richtung bestand in einer Verordnung des Königs Don Juan Carlos, mit der das Amt eines Generalstabschefs der bewaffneten Macht geschaffen wurde, eines in technischen Fragen Letztverantwortlichen. Er soll den drei Ministem gegenüber, denen ja politische Aufgaben obliegen, weitgehende Unabhängigkeit genießen. Der Ernennung des Generals Vega Rodriguez, eines unpolitischen Militärs, folgten alsbald weitere Veränderungen im Bereich der Wehrmacht, mit dem gleichen Zweck ihrer Entpolitisierung, was bei der extremen Rechten begreiflicherweise Verstimmung, bei der Mehrheit hingegen, der zivilen sowohl wie der militärischen, Genugtuung hervorrief, handelte es sich doch um nicht mehr und nicht weniger, als um die Entmy- thisierung eines regelrechten Tabu.

Die dritte grundlegende Umstrukturierung spielt sich auf dem gewerkschaftlichen Sektor ab. Wie bekannt, hatten die Gewerkschaften unter Franco autoritären Charakter; sie waren obligatorisch, vertikal gegliedert und monopolisiert. Der Gesetzentwurf, der nunmehr den Cortes vorliegt und im Febmar zur Beschlußfassung gelangen soll, gibt grünes Licht für Gewerkschaften im demokratischen Sinn. Die Regierung erhofft sich von dieser Neuerung eine Entspannung sowohl auf sozialem wie auch auf wirtschaftlichem Gebiet.

Spaniens Innenpolitik steht unterdessen im Zeichen eines zukunftsträchtigen Dialogs zwischen Regierung und Opposition.

Die Außenpolitik kam erst in jüngster Zeit wieder etwas mehr in Bewegung. Hier geht es vorrangig um den Beitritt Spaniens zur EWG und um die damit verbundenen Probleme, die in den Erklärungen des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt während seines Aufenthaltes in Madrid anklangen. Die zweite Stoßrichtung zielt auf das Mittelmeer, auf die arabischen Uferstaaten, mit denen der Außenminister Dr. Marcelino Oreja (43) Kontakte wirtschaftlicher Art aufgenommen hat. Bekannt ist schließlich, daß Spanien neuerdings mit den Ländern des Ostblocks diplomatische Beziehungen pflegt. Dem Botschafteraustausch mit Rumänien und Jugoslawien dürfte eine Kontaktnahme mit der UdSSR und den übrigen Staaten des COMECON folgen.

Für die öffentliche Meinung des Landes stehen allerdings in diesen Wochen die Beziehungen zwischen Kirche und Staat im Vordergrund des Interesses. In seinen bislang publizierten „Cartas Cristianas” hat der Kardinal von Madrid, Dr. Vicente E. Taran- cön, die Position der Kirche als parteipolitisch strikt neutral gekennzeichnet, was der mehrheitlichen Meinung der von ihm präsidierten spanischen Bischofskonferenz entspricht. Totalitäre Parteien und Bewegungen sind von dieser Äquidistanz ausdrücklich ausgeschlossen. Der Erzbischof von Madrid hat diese Stellungnahme auch kürzlich während einer Reise in die Bundesrepublik erhärtet.

Die Verbesserung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat wird durch die Ankündigung eines Besuchs des Königspaares im Vatikan unterstrichen,’&ines Be^Bw^e?>ir«, Februar staltfindeiy soll: JüSnvarloslielirt damit als Staatschef in die Stadt zurück, in der er 1937, während des Exils der königlichen Familie, zur Welt kam. Seine Audienz bei Paul VI. dürfte die Verhandlungen über ein neues Konkordat vorantreiben. Sie knüpft an die Audienz seines Großvaters, des Königs Alfons Xin. bei Papst Pius XI. an und dient in gewissem Sinne auch dem Gleichgewicht zwischen Modernität und Tradition, die dem Monarchen am Herzen liegt und die kürzlich auch in der Ernennung des neunjährigen Infanten Don Felipe zum Kronprinzen zum Ausdruck kam. Diese Geste des Glaubens an die Zukunft Spaniens als einer gekrönten Demokratie konnte bereits im Hinblick auf die öffentliche Meinung getan werden, die den König und die Monarchie als die wahren Motoren der Demokratisierung erkennen und schätzen gelernt hat.

Als vorbildlich vernünftig erwies sich die spanische Öffentlichkeit schließlich angesichts der Terrorwelle, von der Madrid kürzlich innerhalb eines Zeitraums von nur wenigen Tagen heimgesucht wurde. Es dürfte wohl das erste Mal in der jüngeren Geschichte Spaniens gewesen sein, daß die politischen Lager insgesamt, von den winzigen anarchischen Gruppen auf der äußersten Rechten und auf der äußersten Linken abgesehen, einer Meinung waren und dies durch massive Unterstützung der Regierung zum Ausdruck brachten. Bei der vielzitierten GRAPO handelt es sich - soviel steht inzwischen fest - um eine Miniterrorbande ohne internationale Verbindungen.

Daß das eine oder andere der Attentate auf das Konto des internationalen Faschismus zu schreiben ist, der sein Reduit in Spanien gefährdet sieht, ist ebenso denkbar wie die Hypothese, daß stalinistische Kräfte im Weltkommunismus versuchen wollten, durch Terrorakte autoritäre Reaktionen der Regierung zu provozieren, um indirekt den von ihnen gefürchteten Eintritt Spaniens in EWG und NATO zu verhindern. Die Haltung der Regierung einerseits und die gemäßigten Kommentare der Auslandspresse (nach anfänglichen Sensationsmeldungen) machten einen Strich durch diese Rechnung.

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