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Spanien im Helldunkel

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Zum Jahresbeginn befand sich Spanien in einer Situation harter Kontraste und in einer Art von nationalem Helldunkel. Im politischen Bereich herrscht nach wie vor eindeutiger Optimismus; Zuversicht und Hoffnung gelten hier einer Zukunft im Geiste fortschreitender Liberalisierung. Im sozialpolitischen Bereich überwiegen hingegen die dunklen Aspekte.

Die Ergebnisse eines Referendums, durch das sich Spanien für eine Reform im Sinne demokratischer Struktur und für die Liquidation der Diktatur entschieden hat, waren für die öffentliche Meinung in vielfacher Hinsicht überraschend. Zwar hätte man, angesichts der Notwendigkeit von Reformen und der über Rundfunk und Fernsehen von der Regierung losgelassenen Informationswelle durchaus ein mehrheitliches Ja erwartet. Niemand aber hatte an eine derart massive Unterstützung der Regierungsvorlage geglaubt Von 23 Mülionen Wahlberechtigten entschieden sich 16 Mülionen, 77,4 Prozent für den Reformvorschlag. Da, wie jedermann sich überzeugen konnte, die Freiheit der Wahl garantiert und keinerlei Beeinflussung möglich war, bedeutet das Ergebnis der Stimmabgabe tatsächlich ein Ja Spaniens zu den von den Cortes angenommenen Plänen der Regierung, drückt also, mit anderen Worten, den Wunsch des Landes nach einem Übergang von der Diktatur zur Demokratie ohne revolutionären Bruch aus.

Eine nicht geringere Überraschung war der geradezu mikroskopische Prozentsatz von Nein-Stimmen; 2,6 Prozent entsprechen kaum einer halben Million. Dies läßt auf eine totale Verunsicherung und auf eine innere Auflösung der extremen Rechten mit ihren neonazistischen, neofaschistischen und im engeren Sinne falangi- stischen Zirkeln schließen. Das von ihnen vor dem Referendum verbreitete Schlagwort „Franco würde nein sagen“ fand kein Echo bei den breiten konservativen Massen, die sich eindeutig für den gemäßigten Kurs der Regierung entschieden.

Die bedeutendste Überraschung - und dies nicht nur im Ausland, sondern sogar in Spanien selbst - war je-

doch der geringe Erfolg, der sämtlichen Linksparteien zuteü wurde. Unter der Führung der PSOE, des marxistischen Partido Socialista Obrero Espanol, hatten sie einmütig ihren Wählern Stimmenthaltung zur Pflicht gemacht. Dementsprechend erwarteten die vielzitierten „informierten Kreise“ ein ziemlich eindrucksvoües Fernbleiben von den Wahlurnen, jedenfalls, unter Berücksichtigung der unpolitischen Absenzen, eine Enthaltung von nicht weniger als 40 Prozent. Das tatsächliche Resultat war weit von dem entfernt, was die Opposition erhofft und was die Regierung befürchtet hatte.

Die Stimmenthaltungen beliefen sich auf fünf von fast 23 Mülionen Wahlberechtigten, also auf 22,6 Prozent. Auch dieser geringe Prozentsatz ist auf politische und unpolitische Enthaltungen aufzuteüen. Nimmt man zehn Prozent als durchschnittliches Minimum der unpolitischen Stimmenthaltungen aus Interesselosigkeit oder infolge tatsächlicher Verhinderung an, so haben die politischen Stimmenthaltungen im günstigsten Falle etwa zwölf Prozent erreicht, die sich ihrerseits wieder unter die unterschiedlichen Linksgruppen aufteüen. Die Aufforderung, von den Urnen femzubleiben, hat sich somit als Bumerang erwiesen und für die Linke ebenso einen Mangel an WiderhaU unter der Bevölkerung bewiesen, wie einen Mangel an Disziplin in den eigenen Reihen.

Für die Regierung Suärez bedeutet das Ergebnis des Referendums keine geringe Stärkung der Basis, auf der sie nun ihre Reformpläne in Angriff nehmen kann. Als erster Schritt ist jetzt die Ausarbeitung eines Gesetzes zur. Durchführung der Frühjahrs wählen in die verfassunggebenden Cortes (Abgeordnetenkammer und Senat) zu erwarten. Bis dahin könnten allerdings mannigfache Schwierigkeiten auftauchen. Da ist vor allem die Aktivität der Linksparteien mit ihrem weltweit garantierten Echo. Möglich, daß sie nun, nach dem Fehlschlag ihrer Enthaltungsparole, die Taktik ändern und von passiver Resistenz auf Dialog umschalten. Die Regierung muß jedenfalls, wenn dies der Fall ist, der Opposition entsprechende Chancen bieten, geht es doch letzten Endes darum, daß die aus den kommenden Wahlen hervorgehende Abgeordnetenkammer und der Senat tatsächlich alle im spanischen Volk vorhandenen Strömungen und Tendenzen repräsentieren.

Größere Schwierigkeiten bereitet nach wie vor die Frage, ob die Kommunisten legalisiert werden sollen oder nicht. Für die Mehrheit bleibt der Partido Comunista Espanol (PCE), dessen Anhängerzahl unbekannt ist, der aber auf weite Teüe der Arbeiterschaft mit Hilfe der bisher ülegalen Gewerkschaften einen nicht unbeträchtlichen Einfluß ausübt, nach wie vor indiskutabel. Gegenüber dieser Haltung der Konservativen und der Armee helfen den Kommunisten keine Bekenntnisse zum Eurokommunismus und zur Demokratie. Die vom ü- legal eingereisten Parteisekretär Santiago Carillo unmittelbar vor dem Referendum einberufene illegale Pressekonferenz veranlaßte die Regierung zu Gegenmaßnahmen und schließlich zur Verhaftung Carillos. Vor die Wahl gestellt, ins Ausland abgeschoben oder unter Anklage gestellt zu werden, wählte Carülo, gemeinsam mit einigen Angehörigen seines ülegalen Zentralkomitees, die Anklage.

All dies erschwert und verzögert Verhandlungen, die trotz aller Vorbehalte der Rechten paradoxerweise leichter vonstatten gehen könnten als eine Legalisierung der marxistischen spanischen Sozialisten, deren linker Flügel sich radikaler gebärdet als die offizieüe Führung der Kommunisten, und dies ungeachtet der Tatsache, daß die Regierung Suärez wohl oder übel den Kongreß der Sozialisten autorisieren mußte, zu dem neben Willy Brandt und Franęois Mitterrand auch Hannes Androsch aus Wien angereist war. Gewiß bot die Anwesenheit dieser Politiker den marxistischen Sozialisten Spaniens keine geringe moralische Unterstützung, machte aber auch deren innere Uneinigkeit und vor allem deren Radikalismus bei jenen sozialdemokratischen Parteien Europas bekannter, die bisher nicht daran hatten glauben wollen.

Düster sind, wie erwähnt, die Ausblicke nicht in die Politik, sondern im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Energiekrisen und Rohölpreise können sich auf eine an sich schon anfällige Wirtschaft verheerender auswirken als anderswo. Dazu kommt die egoistische und unbelehrbare Haltung des Kapitals bei allen Arbeitskonflikten und das Fehlen der Einsicht, daß wirtschaftlicher Fortschritt nur durch das Zusammenwirken aller Kräfte auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite erzielbar ist.

Diese Probleme verbreiten zu Jahresbeginn mehr Unsicherheit als vereinzelte Demonstrationen in den bas- kischen Provinzen oder auch die Entführung des Staatsratspräsidenten Antönio de Oriol durch eine Terroristengruppe, deren Erpressungsversuche an der Entschlossenheit der Regierung Suärez scheiterten - einer Entschlossenheit, auf die sich auch in Hinkunft viele Hoffnungen stützen können.

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