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Spanien nach der Euphorie

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Der „heiße Herbst“, den man den Spaniern für die Zeit nach ihrer demokratischen Frühlings-Euphorie prophezeit hatte, machte sich eher als ein Bündel ineinander verfilzter Probleme politischer, wirtschaftlicher und sozialer Natur bemerkbar. Insonderheit wird das politische Pgnorama Spaniens aber von drei sehr wesentlichen Ereignissen beherrscht, die sich per saldo günstig für das von der allgemeinen Krise geschwächte Kabinett Suärez ausgewirkt haben.

An erster Stelle steht hier, um chronologisch und der Reihe nach vorzugehen, die provisorische Anerkennung des’ katalanischen Autonomiestatuts, dessen definitive Verankerung in der künftigen spanischen Verfassung noch aussteht Im Grunde genommen, handelt es sich hiebei um die Wiederherstellung einer uralten Institution, der „Generalität“, deren Ursprünge auf das Mittelalter zurückgehen und deren Restaurierung vor allem in Zeiten des bourbonischen Zentralismus und zur Zeit des Franco-Regimes vehement gefordert wurde. Katalonien, die politisch am weitesten fortgeschrittene Provinz Spaniens, hat sich im übrigen bei den Verhandlungen mit Madrid als flexibel erwiesen und könnte, sobald die verfassungsmäßigen Grundlagen hiefür geschaffen sind, als autonome Region mit eigener Exekutive, in Analogie etwa zu den deutschen Bundesländern, Wiedererstehen.

Die Lösung der katalanischen Frage ist deshalb vordringlich, weil sie als Modell für die Befriedigung anderer Autonomiebestrebungen dienen könnte, die sich teils so virulent wie im Baskenland, teils in recht unbestimmter Form bemerkbar machen wie etwa in Valencia, in Galicien, Andalusien und auf den Kanarischen Inseln. Was sich bei all dem abzuzeichnen beginnt, ist eine von der Krone geeinte, föderalistische Monarchie Spaniens.

Als zweitwichtigstes Ereignis darf der nach dem Sitz des Ministerpräsidenten (nahe der Madrider Universität) so genannte Vertrag von Moncloa gelten. Um der Forderung aller Linksparteien nach einer Konzentrationsregierung die Spitze zu nehmen, einem Krisenkabinett, das nach Meinung der Linken der schwierigen wirtschaftlichen Lage Herr werden sollte, ergriff das Kabinett Suärez die Initiative und schlug ein umfassendes Sozial- und Arbeitsabkommen vor, dem die Oppositionsparteien dann zustimmten. Offenbar überwog die realistische Auffassung, daß die Fortdauer des wirtschaftlichen Debakels zwangsläufig zum Zusammenbruch der noch sehr jungen spanischen Demokratie führen müßte. Von der Krise sind jedenfalls die Arbeitnehmer ebenso betroffen, wie die kleinen und mittleren Unternehmungen. Die Wurzeln des Übels reichen weit zurück in die Vergangenheit, nicht nur bis zur Energiekrise, sondern bis zum Wirtschaftswunder der sechziger Jahre, das auf Sand baute, auf Auslandskapital, Arbeitskräfteexport, Fremdenverkehr und zügellosen Konsum ohne gleichzeitige Produktivitätssteigerung.

Widerstand gegen die Vernunft der Politiker zeigt sich allerdings auf seiten der stärksten Gewerkschaften des Landes, die unter kommunistischer und linkssozialistischer Führung stehen. Für die Regierung bedeutet dies einen gordischen Knoten, da das Sozial- und Arbeitsübereinkommen Gefahr läuft, ohne die Mitwirkung der

Arbeitnehmerschaft totes Papier zu bleiben. Der Augenblick fordert nationale Solidarität Demgegenüber steht die Tatsache, daß die Spanier sich in kritischen Zeiten immer noch als extreme Individualisten erwiesen haben. Wird der Aufruf, mit dem die spanische Bischofskonferenz das Land zu sozialer, wirtschaftlicher und politischer Verantwortlichkeit aufgerufen hat, da Gehör finden?

An dritter, aber nicht letzter Stelle sei schließlich der allgemeine königliche Amnestieerlaß genannt, der vom Abgeordnetenhaus und vom Senat maßiv unterstützt und nur von der konservativen Alianza Populär abgelehnt wurde. Es handelte sich dabei um die dritte Generalamnestie dieses Jahrhunderts. Die’erste wurde 1931 bei der Ausrufung der Zweiten Republik, die zweite 1939 nach dem Ende des Bürgerkriegs von Franco verkündet Von den vorangegangenen unterscheidet sich die Amnestie von 1977 dadurch, daß sie nicht von einer einzelnen, siegreichen politischen Gruppe verkündet, sondern im Geiste nationaler Versöhnung von so gut wie allen Vertretern des politischen Le-

bens gewünscht und unterstützt wurde. Von der Amnestie ausgenommen blieben lediglich, im Hinblick auf die gegenwärtige Krise, schwerwiegende Wirtschaftsverbrechen, Vergehen gegen den Arbeitsfrieden und Fälle, die dem Heeresstrafrecht unterliegen, in- soferne die Armee jenseits der Politik steht. Die Ausarbeitung des Amnestieerlasses erwies sich als außerordentlich umständlich und schwierig. Dies nicht etwa nur infolge des Widerstands konservativer Kreise, sondern vor allem wegen der unseligerweise gleichzeitig aufbrandenden Terrorwelle in den baskischen Provinzen, mochte es sich dabei auch um die Wahnsinnstaten kleiner und daher nahezu unkontrollierbarer Gruppen der äußersten Linken sowohl wie der äußersten Rechten handeln.

Trotz all dieser internen Schwierigkeiten, hat sich das demokratische Image Spaniens in der Außenpolitik durchzusetzen gewußt. Spaniens Beitritt zum Europarat steht unmittelbar bevor; mit dem Staatsbesuch des mexikanischen Präsidenten Lopez Por- tillo endete die jahrzehntelange Entfremdung der beiden Länder. Eine Reise des Ministerpräsidenten Suärez nach London und Dublin soll demnächst weiteren Gesprächen über Spaniens Beitritt zur EWG ebenso dienen, wie der Vorbereitung eines eventuellen Abkommens über Gibraltar. Die Tagung der Sozialistischen Internationale in Madrid befaßte sich kürzlich offiziell mit Abrüstungsproblemen, mit der Sahara-Frage, Südafrika und dem Vorderen Orient, doch scheinen am Rande der Konferenz einige sozialistische Parteiführer aus West- und Mitteleuropa mäßigend auf die Jugendorganisation des spanischen PSOE eingewirkt zu haben, zumal diese Jugendlichen auf ähnliche Weise zum Extremismus neigen, wie die Jusos der Bundesrepublik Deutschland.

Die Situation ist, wie man sieht, einigermaßen kompliziert Im Bewußtsein der spanischen Öffentlichkeit vollzieht sich ein Prozeß der Entmy- thologisierung, da sich mittlerweile heraus gestellt hat, daß die Demokratie durchaus nicht ohne weiteres imstande ist, der Schwierigkeiten des Alltags Herr zu werden. Dementsprechend lassen die jüngsten Meinungsumfragen eine Tendenz zur Linken erkennen, und dies nicht etwa deshalb, weil die Linke einen Prestigegewinn zu verzeichnen hätte. Ein gewisser Prestigegewinn der Kommunisten läßt sich allerdings nicht leugnen; Ca- rillos zur Schau getragene Mäßigung und kluge Taktik machen sich bezahlt, wogegen das Konglomerat verschiedenartiger politischer Gruppen, aus denen das regierende Zentrum besteht, keinerlei Anlaß zu besonderem Enthusiasmus .bietet. Den festen Punkt in der Erscheinung Flucht bildet jedenfall nach wie vor die kluge und ausgewogene Haltung des Königs Juan Carlos. Ihm ist die allgemeine Zuneigung sicher.

Im übrigen ließe sich, auf spanische Verhältnisse angewandt, der Ausspruch eines französichen Marschalls während des Ersten Weltkriegs variieren, der feststellte: „Die Situation ist ernst… Wir gehen somit zum Angriff über.“

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