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Spanien vor den Wahlen

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Seit dem 24. Mai läuft in Spanien der Wahlkampf auf vollen Touren. Am 15. Juni soll das Volk über die Zusammensetzung der Legislative entscheiden, und dies in der vor einem halben Jahr mit überwältigender Mehrheit bejahten Form. Ein entscheidender Augenblick jedenfalls in der neueren Geschichte des Landes, handelt es sich doch um die erste parteipolitische Entscheidung seit 1936, einer Entscheidung, der vierzig Jahre persönliches Regiment und eine kurze Uber- gangsphase vorangingen.

Bedenkt man die relative politische Unerfahrenheit des Landes, so läßt sich sagen, daß der Wahlkampf bisher erstaunlich ruhig und „normal“ verlaufen ist. Lediglich in den baskischen Provinzen gab es jene von extremistischen und anarchistischen Gruppen provozierten Zwischenfälle, denen das besondere Interesse des Auslands galt. Als Vorwand hiefür mußte die Tatsache herhalten, daß die Amnestierung politischer Gefangener jenen Delinquenten nicht zugute kam, die sich Blutverbrechen zuschulden hatten kommen lassen. Gewiß, das Baskenproblem ist ein besonders schwieriges und in mancher Hinsicht mit der vor einigen Jahren noch virulenten Südtirolfrage vergleichbar, doch sind bereits erste Schritte auf eine Lösung zu getan worden, Schritte, die sich um so mehr beschleunigen werden, als nicht weitere Tumulte zu Gegenmaßnahmen zwingen.

Für die schweigende Mehrheit Spaniens dürfte das Panorama, das dieser Wahlkampf darbietet, nicht l wenig verwirrend sein. Nach dem totalen Parteienverbot während des persönlichen Regimes Francos ergab sich innerhalb weniger Monate eine wunderbare Parteienvermehrung ungeahnten Ausmaßes.

Zwei Felsen ragen aus diesem Meer von Konfusion und Widersprüchen. Einer davon ist zweifellos die überparteiliche Haltung des Königs, mit der sich 90 Prozent der Bevölkerung identifiziert. Der junge Monarch, der unlängst von Bundeskanzler Kreisky zu einem Staatsbesuch nach Österreich eingeladen wurde, hat das Prestige der Krone durch seinen politischen Takt und seine unzweideutige Stellungnahme zugunsten jeder echten Reform binnen kurzer Zeit in einer erstaunlichen Weise gefestigt. Als zweiten Fels in der Brandung könnte man das politische Geschick des Adolfo Suärez, des jüngsten Regierungschefs Europas, bezeichnen, dem es trotz franquistischer Vergangenheit gelun gen ist, das Gespräch mit allen Gruppierungen der Opposition anzuknüpfen und den Übergang zur Demokratie weitgehend zu entdramatisieren.

Bedenkt man, was es heißt, alle politischen Parteien, inklusive Kommunisten, und mit alleiniger Ausnahme der anarchistischen Gruppierungen, zu legalisieren, ohne sich dabei die Armee und die franquistische Rechte zu Todfeinden zu machen, gleichzeitig aber auch die Beziehungen zu allen Ländern, die Volksdemokratien mit eingeschlossen, zu normalisieren - und bedenkt man die Kürze der Zeit, in der dies alles bewerkstelligt werden konnte, so wird man die Leistung des Ministerpräsidenten einigermaßen richtig einschätzen können.

Angesichts der Realität des Wahlkampfes haben sich nun die etwa 200 politischen Parteien, die sich sowohl auf nationaler wie auf regionaler Ebene gebildet hatten, gezwungen gesehen, Wahlbündnisse einzugehen. Das Wahlgesetz sieht für Mandate im Unterhaus eine 3-Prozent-Klausel nach dem d’Hont’schen System vor, wie es auch in anderen Demokratien angewandt wird, mit der Einschränkung, daß die zu erreichenden 3 Prozent für den einzelnen Wahlkreis gelten.

Auf der politischen Rechten und auf der politischen Linken entstanden unterdessen die folgenden Wahlbündnisse:

• Die Alianza National besteht aus Gruppierungen franquistischer Herkunft und lehnt die seit dem Tode Francos durchgeführten Reformen ab. Die Alianza besteht im wesentlichen aus der integralistischen Fuerza Nueva und aus der (links-) faschistischen Falange. Man schätzt den Stimmenanteil dieser rechtsorientierten Allianz auf 5 Prozent.

• Näher der Mitte des Meinungsspektrums folgt die Alianza Popular, die sich aus mehreren rechtsorientierten und konservativen Parteien zusammensetzt, ihre politische Haltung entspricht in etwa jener der bayerischen CSU. Unter der Leitung von Manuel Fraga hält sie gute Kontakte zur Armee und zur Wirtschaft. Letzte Meinungsumfragen sprachen ihr einen Anteil von 15 Prozent zu.

• Die Uniön del Centro Democrdticö besteht aus sehr heterogenen Elementen. Sie vereint liberale Technokraten mit linkslastigen Christdemokraten und Sozialdemokraten. Zugpferd dieser Uniön ist Ministerpräsident Suärez in Person, wenn auch offiziell Leopoldo Calvo als Parteichef auftritt. Meinungsumfragen sprechen der Uniön mit 40 Prozent der Stimmen die relative Mehrheit zu. Die Uniön hat begreiflicherweise volle Unterstützung der USA und ent spricht in etwa dem linken Flügel der ÖVP sowohl, wie dem rechten Flügel der SPÖ, die allerdings offiziell den Partido Socialista Obrero unterstützt

• Links von der Uniön steht die Federation Demöcrata Cristiana, ein Wahlbündnis zwischen der Demokratischen Linken des Joaqin Ruiz-Gi- mėnez und der Föderation Demokratischer Pateien unter Josė M. Gil-Ro- bles.

• Die Alianza Socialista Democrätica setzt die Tradition der ins Exil gegangenen einstigen spanischen Sozialisten fort, propagiert ein eher gemäßigtes Programm und dürfte mit nur geringem Wahlerfolg rechnen.

• Unter Enrique Tiemo vertritt der Partido Socialista Popular einen sozusagen akademischen Marxismus und findet damit einigen Widerhall bei Studenten und Intellektuellen.

• Wesentlich stärkere Resonanz dürfte dem Partido Socialista Obrero beschieden sein, zumal ihm die Unterstützung der Gewerkschaft UGT und zahlreicher Jungarbeiter sicher ist. Parteisekretär ist Felipe Gonzä- lez. Trotz ihres nahezu eindeutig marxistischen Programms erhält diese Partei von den großen sozialdemokratischen Parteien Europas großzügige moralische und finanzielle Unterstützung. Die Meinungsforschungsinstitute sprechen dem Partido Socialista Obrero etwas mehr als 15 Prozent der Stimmen zu, was bedeutet, daß diese Partei als ‘zweitstärkste aus den kommenden Wahlen hervorgehen dürfte.

Gestärkt durch eine lange Erfahrung im Untergrund und durch die gewerkschaftliche Unterstützung seitens der Comisiones Obreras, hat der Partido Comunista im Wahlkampf bisher großes diplomatisches Geschick bewiesen. Das reicht vom Bekenntnis zum Eurokommunismus bis zum Verzicht auf die republikanische Staatsform. Was dieser Partei vor allem schadet, sind die immer noch wachen Erinnerungen an den Bürgerkrieg. Zum Mißvergnügen des Parteisekretärs Santiago Carillo erschien nun auch als Präsidentin der Partei die uralte „Pasionäria“ Dolores Ibar- ruri und gab Hymnen für die Sowjetunion von sich, die alle Loyalitätserklärungen Carillos in Frage stellten. Unter den Mitgliedern der Partei befinden sich übrigens auch einige militante Linkskatholiken. Die Meinungsumfragen geben ihr eine Chance von maximal 10 Prozent.

Erwähnt seien noch die minoritä- ren Splittergruppen der äußersten Linken, vorwiegend anarchistischer Tendenz. Sie sind weder legalisiert noch können sie mit größerem Anhang in den Volksmassen rechnen.

Angesichts dieses bunten Spektrums läßt sich mit einiger Sicherheit Voraussagen, daß keine Partei und kein Wahlbündnis die absolute Mehrheit erreichen wird. Die Zusammensetzung der Cortes wird jedenfalls zur Bildung einer Koalitionsregierung führen. Die Notwendigkeit, zwischen der traditionsgemäß patemalistischen Rechten und der revanchistischen Linken Spaniens einen Ausgleich auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet herbeizuführen, wird zu den Aufgaben des künftigen Kabinetts gehören.

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