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Spaniens Adel erobert die Corrida
„Bisher weiß ich nur soviel über Moral, daß moralisch ist, wonach man sich wohl fühlt, und unmoralisch, wonach man sich schlecht fühlt, und mit diesen moralischen Maßstäben gemessen, die ich nicht etwa verteidige, ist der Stierkampf für mich etwas sehr Moralisches, weil ich mich sehr wohl fühle, während er stattfindet, und ich ein Gefühl von Leben und Tod und Sterblichkeit und Unsterblichkeit habe, und wenn er vorbei ist, fühle ich mich sehr traurig, aber auch sehr wohl!“ Ernest Hemingway
„Bisher weiß ich nur soviel über Moral, daß moralisch ist, wonach man sich wohl fühlt, und unmoralisch, wonach man sich schlecht fühlt, und mit diesen moralischen Maßstäben gemessen, die ich nicht etwa verteidige, ist der Stierkampf für mich etwas sehr Moralisches, weil ich mich sehr wohl fühle, während er stattfindet, und ich ein Gefühl von Leben und Tod und Sterblichkeit und Unsterblichkeit habe, und wenn er vorbei ist, fühle ich mich sehr traurig, aber auch sehr wohl!“ Ernest Hemingway
Solche Fragen nach der Moral des Stierkampfes stellen sich die Spanier nicht. Für sie ist die Corrida eine Frage von „pundonor“, was Ehre, Rechtschaffenheit, Mut, Selbstachtung und Stolz in einem bedeutet. Und von dieser Warte aus gesehen, stellt sich auf der iberischen Halbinsel die Frage nach einer anderen Art von Moral.
Es ist bekannt, daß man eine Corrida — wenn man sie echt und unmittelbar erfassen will — nicht von den schattenseitig gelegenen Sitzplätzen der Arena aus verfolgen soll, sondern von den billigen Plätzen der obersten Reihen, die der prallen Sonne ausgesetzt sind und wo man zwischen armen, aber emotionsgeladenen „Aficionados“ eingekeilt ist. Will man auch noch etwas über den jeweiligen Zustand des Stierkampfes im allgemeinen erfahren, so muß man zur „Cervederia Alemana“ auf der Plaza Santa Ana in Madrid oder auf die Ramblas von Barcelona gehen — dort, im Stierkämpfertreffpunkt der Hauptstadt oder auf dem alleeartigen Gehboulevard der katalanischen Metropole, der das „Barrio Gotico“ vom „Barrio Chino“ trennt und wo allabendlich von den Aficionados in endlosen Diskussionen die Helden der Arena gerichtet werden, müssen sich heute die Idole von gestern Urteile wie „Betrüger“ gefallen lassen. Hier gelangen die spanischen Moralbegriffe in Sachen Corrida zur Anwendung.
Spätestens jetzt weiß man also, daß sich der von so vielen verdammte und von anderen wiederum fanatisch verteidigte Stierkampf in einer Krise — vielleicht sogar am Anfang seines Endes befindet.
Arm und reich
Erste Uberlieferungen von Stierkämpfen sind bereits aus dem 12. Jahrhundert bekannt. Etwas mehr weiß man jedoch schon von den spanischen Rittern des Mittelalters und den Edelleuten des Barock, die hoch zu Roß mit Stieren gekämpft haben. Diese Art — den Adeligen vorbehaltener — Corrida ist unter dem Begriff „Rejoneo“ bekannt — abgeleitet von den „Rejo-nes“, den Speeren, mit denen der Reiter den Stier ersticht.
Das war — wie gesagt — ein vornehmes und gefährliches Spiel des Adels. Somit kam es auch einer Revolution gleich, als im 17. Jahrhundert die Taglöhner und Leibeigenen erstmals zu Fuß dem Stier gegenübertraten und dadurch ihre Herren in der Gunst des Volkes „entmachteten“.
Seither waren es eigentlich immer die Ärmsten, die sich im blutigen Sand der Plaza den Weg nach oben (vor allem auch den Weg in soziale Oberschichten) bahnten. Landarbeiter und andalusische Zigeuner tauchten auf und wurden über Nacht zu gefeierten Volkshelden. „Der Hunger hat spitzere Hörner als der Stier“, sagt man in Spanien offenbar nicht zu unrecht. .
Der vermutlich letzte große Torero, für den diese Argumente gegolten haben, war der nunmehr 36jährige Manuel Benitez aus der Gegend von Cördoba — selbst in Mitteleuropa kennt man seinen Arenanamen „El Cordobes“. Er mußte während der Nachtstunden heimlich auf der Hazienda seines Gutsherrn trainieren (unter der Gefahr, hilflos zu verbluten, wenn ihn einer der ausgewachsenen Kampfstiere erwischt hätte), um so die ersten Schritte zum Torero zu versuchen.
Ermüdung — nicht Schmerz
Diese Verhältnisse haben sich geändert — geblieben ist vorerst nur das Ritual, nach dem der Torero seine Erfahrung und seinen Mut gegen die Kraft des Stieres ausspielt, um das Tier dann nach der vorgeschriebenen Arbeit mit Capa, Bande-rillos und Muleta in der „Sekunde der Wahrheit“ — la estocada de la muerte — mit einem einzigen Degenstoß zu besiegen, der, soll er tödlich sein, genau auf einer etwa handflächengroßen Stelle am „cruz“ (der höchsten Stelle des Rückens) treffen muß.
Diese Stelle des Rückens ist ein Muskelhöcker, der im Nacken zu einem Kamm schwillt, sobald der Stier beunruhigt wird. Dieser Muskel — ein Werfmuskel — muß daher erst ermüdet werden, soll der Stier mit einem Degenstoß zwischen die Schulterblätter getötet werden. Der gesamte Stierkampf besteht somit aus einem einzigen Ermüdungsprozeß dieses Muskels — es gibt kein Manöver, das den Zweck hat, dem Stier Schmerz zuzufügen. Der Schmerz ist nur ein „notwendiger“
Nebeneffekt, nicht aber Selbstzweck.
Ästhetische Freude am Kampfgeschehen ist freilich schon selten geworden. Es finden zwar immer mehr Corridas statt (allein im Vorjahr waren es mehr als 2500, die den Veranstaltern Gesamteinnahmen von einer halben Milliarde Schilling einbrachten), doch an diesen erfreuen sich nur noch die Touristen, für die ein Stierkampf auf dem Pflichtprogramm eines Spanienbesuches steht, Touristen, die applaudieren, sobald der Stier getötet ist — auch dann, wenn er feige abgeschlachtet wurde.
Die Zeit der großen „mano a manos“ ist vorbei. Jene Duelle, bei denen einen ganzen Sommer lang die zwei größten Toreros täglich bei derselben Corrida auftraten und einer den anderen jeden Tag an Mut und Geschicklichkeit überbieten mußte, um „Nummero Uno“ zu werden.
Seit dem zweiten Weltkrieg hat es eigentlich nur vier ganz große Mata-dores gegeben. Den kleinen Manuel Rodriguez „Manolete“, der bei einem solchen „mano a mano“ im Jahre 1947 von dem jungen Luis Miguel „Dominguin“ in den Tod getrieben wurde; von jenem „Dominguin“, der sich 1953 zurückzog, um dann 1959 (nach einer Romanze mit dem Filmstar Ava Gardner) wieder in die Arena zurückkehrte, wo er sich mit dem neuen Stern Antonio Ordonez (er ist der Sohn jenes berühmten „Cayetano“, der Hemingway für den Stierkämpfer Pedro Romero in „Fiesta“ als Modell gedient hatte) einen „mano a mano“ zu liefern, der Hemingway zum „Gefährlichen Sommer“ inspirierte. Als letzter kam „El Cordobes“, Waisenknabe und Hirte, der erst lesen und schreiben lernte, nachdem er seine ersten Millionen in der Arena verdient hatte, um seine Schecks eigenhändig unterschreiben zu können.
Er, der nunmehrige Herr über Haziendas, unübersehbare Ländereien, eine eigene Stierzucht und einen Privat-Jet, verlangt und erhält für eine Corrida bei 700.000 Schilling, wobei man allerdings bedenken muß, daß er bereits an die zwanzig Mal aufgespießt , oder niedergetrampelt wurde.
Mit El Cordobes ist aber auch eine neue Stilrichtung in die Arena getragen worden. Er machte aus dem klassischen Menuett ein unbarmherziges Duell. Manuel Benitez ist nicht wie Dominguin, Manolete oder Ordonez eine „Ballerina“ — er ist ein durchtrainierter Athlet, dem das „Drama vom Tanz mit dem Stier“ zur sportlichen Höchstleistung wird.
Es ist vielleicht das ganze Unglück der modernen Stierkampftechnik, daß man sie zu sehr vervollkommnet hat. Wenn es heute (was allerdings nur noch sehr selten vorkommt) einen ehrlichen Kampf gibt, so wird derart dicht am Stier gearbeitet, so langsam und ohne jede Verteidigung des Matadors, daß die Corrida nur gelingen kann, wenn der Stier beinahe nach Maß „gemacht“ ist.
Stiere nach Maß — freilich nach einem etwas anderen Maß — sind auch die Ursache dafür, daß man die heutigen Matadores in Spanien frei-weg Betrüger nennt. Die Züchter können gar nicht mehr so viele vierjährige Kampfstiere liefern, wie für die vielen (wiederum auf den Touristenboom zurückzuführenden) Corridas gebraucht würden, weshalb man zu junge, zwar mit Fischmehl und Sojaböhnenbrei gemästete, aber schwache Tiere in die Arena schickt, denen noch dazu die von der „Hochkonjunktur“ profitierenden und daher auch nicht mehr risikowilligen Matadores oder deren Manager die Hörner an der Spitze abschneiden und dann wieder zufeilen lassen, womit der Stier seinen Tastsinn zu einem wesentlichen Teil verliert.
So ist es kein Wunder, wenn sich die Aficionados von ihren Idolen abwenden, die im 17. Jahrhundert zu Fuß die Arena der berittenen Adeligen erobert haben. Der Adel kehrt zurück — und, wie man es gewohnt ist, hoch zu Roß.
Bei der diesjährigen Feria des San Isidor wurden die Stiere in der 22.000 Zuschauer fassenden Plaza von Madrid erstmals seit Jahrzehnten wieder mit den „Rejones“ vom Pferderücken aus getötet. Und im Sattel saßen mit Angel Peralta und Alvaro Domecq (die zum Unterschied von den Matadoren „zu Fuß“, als „Don“ — also Herr — angekündigt werden) zwei Söhne aus millionenschweren adeligen Großgrundbesitzerdynastien, die sich einerseits das für einen Rejoneador nötige jahrelange Training mit teuren Rassepferden leisten können, die anderseits beim Kampf aber auch nicht auf die Kasse sehen müssen.
Die Revolution in der Arena hat ihre Kinder gefressen und die kleinen Spanier beschimpfen nun ihre ehemaligen Helden, sie seien „fett und feige“ geworden, womit Hemingways „Gesetz von der Dynamik des Sterbens“ seine Richtigkeit erlangt hat: „Die Todesfurcht wächst im gleichen Verhältnis wie die Zunahme irdischer Güter.“ Hemingway schien nur vergessen zu haben, daß dieses Gesetz nicht für jene gilt, die irdische Güter schon immer als Selbstverständlichkeit ansahen, wie etwa Don Peralta, der im ersten Halbjahr 1972 öfter zu Pferd in der Arena war, als El Cordobes zu Fuß.
Ein Rückzugsgefecht versuchten die großen Matadore der letzten Jahrzehnte den aus der Emigration der Bedeutungslosigkeit zurückgekehrten Rajoneadores allerdings noch zu liefern. Die Großen von gestern —, der 50jährige Antonio Benvenida und der nunmehr 45jährige Luis Miguel Dominguin kamen in die Arena zurück, um gemeinsam mit Antonio Ordonez (der Dominguins Schwester Carmen geheiratet hat, die selbst einmal als 16jährige in der Arena stand) und El Cordobes für neuen Glanz zu sorgen. Die Aficionados spendeten den alten Männern freilich nur noch den Beifall der Höflichkeit.
Es scheint unwiderruflich zu sein, was der Stierkampfexperte Eduardo de Guzmän kürzlich in der spanischen Zeitschrift „Indice“ schrieb: „Was sich gegenwärtig in unseren Arenen abspielt, ist eine Konterrevolution mit ausgeprägtem Klassengeist — eine Rache der Adeligen und Landbesitzer an der Kühnheit ihrer Diener und Taglöhner.“
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