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Spaniens Erfahrung

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Am 1. Jänner 1986 wurden die Spanier ins Gemein-schaftswasser“ geworfen. Seither versuchen sie, mit unterschiedlichem Erfolg, in der EG auch richtig zu schwimmen.

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Am 1. Jänner 1986 wurden die Spanier ins Gemein-schaftswasser“ geworfen. Seither versuchen sie, mit unterschiedlichem Erfolg, in der EG auch richtig zu schwimmen.

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Die einen träumen vom „Anschluß“, die anderen befürchten die Auslieferung an das europäische Großkapital. Sachliche Diskussionsbeiträge hingegen stoßen immer noch auf Schwierigkeiten, einigermaßen aufnahmebereite Ohren zu finden, wenn es um die EG und Osterreich geht.

Ein wenig zu einer solchen Versachlichung könnte beitragen, wenn man sich zum Beispiel näher damit befaßt, welche Erfahrungen die jüngsten Mitglieder der EG nach ihrem Eintritt in diese Gemeinschaft gemacht haben, nämlich Spanien und Portugal, die beide am 1. Jänner 1986 Vollmitglieder der Gemeinschaft wurden. Interessant ist vor allem, was sich in Spanien seit diesem Zeitpunkt ereignet und verändert hat. Sicherlich ist die Situation mit der österreichischen nicht ohne weiteres vergleichbar. Die spanische Wirtschaft etwa war nach vier Jahrzehnten Diktatur verkrustet, war auch nach deren Ende zunächst nur mühsam in Gang zu bringen. Doch die Perspektive, sich nun wieder an das modernere Europa anzukoppeln, weckte enorme Energien und die Hoffnung auf ein kleines Wirtschaftswunder. Zumal der Wille dazu vorhanden war, trat dieses Wirtschaftswunder auch tatsächlich ein—allerdings mit einigen Schattenseiten.

Die spanische Ökonomie entwickelte jedenfalls eine überdurchschnittliche Dynamik und erreichte Wachstumsraten von 3,3 Prozent noch 1986,5,2 Prozent 1987, und für heuer werden gleichfalls wieder gut vier Prozent angestrebt, was gar nicht unrealistisch erscheint.

Die Konsumfreudigkeit der Spanier erreichte dramatische Höhepunkte, Autos und andere teure Verbrauchsgüter strömten auf die Iberische Halbinsel. Allerdings waren und sind diese Produkte großteils importiert - die realen Importe von Waren und Dienstleistungen explodierten 1986 um 15 und 1987 nochmals um 19 Prozent. Weil die Exporte damit bei weitem nicht mithalten konnten, verschlechterte sich die Handelsbilanz rapide, 1987 auf umgerechnet rund 180 Milliarden Schilling. Gute Deviseneinnahmen aus dem Tourismus können diese Entwicklung vorläufig noch kaschieren.

Die Initialzündung zu diesem Boom kam aus dem Ausland und ist weitgehend durch den EG-Beitritt verursacht. Ausländische Investoren - nicht nur aus der Gemeinschaft, aber doch großteils — entdeckten nämlich rasch die Möglichkeiten, die Spanien nun zu bieten hatte; sie begannen das Land mit Kapital zu überfluten.

Schon 1986 - für 1987 liegen die Daten noch nicht vor — wurden umgerechnet etwa 110 Milliarden Schilling in Spanien angelegt. Davon entfielen schätzungsweise 45 Milliarden Schilling auf die Errichtung von Tochtergesellschaften oder den Erwerb von Beteiligungen an spanischen Firmen, etwa 40 Milliarden Schilling strömten an die Börsen von Madrid, Barcelona und Sevilla, die einen entsprechenden Boom erlebten. Der Rest entfiel auf den Erwerb von Immobilien durch Ausländer, was seinerzeit einen entsprechenden Anstieg der Preise von Grundstücken und Realitäten zur Folge hatte.

Mit dem Beitritt zur EG wurden spanische Firmen also zur begehrten Ware. Die größten Unternehmen der Welt wollten im Kampf um die Marktanteile den Fuß in der Tür behalten. Unilever, Montedison, AT & T, fast alle Automobilproduzenten der Welt und viele andere Giganten kauften sich in Spanien ein.

Selbstverständlich bauen auch die Japaner bereits zielstrebig ihre Positionen aus. Für sie ist Spanien vor allem ein Tor zur EG. Sony, Sanyo, Sharp, Nissan, Matsushita und wie sie alle heißen, sind bereits anwesend. Die Franzosen wiederum sind massiv in die Einzelhandelsbereiche eingefallen und überziehen das Land mit ihren Supermarktketten.

Die Regierung zeigt sich über diese Entwicklung vorläufig nicht beunruhigt. Man weist - vielleicht nicht ganz zu Unrecht — darauf hin, daß der starke Zustrom ausländischen Kapitals sowie auch die hohen Importe von Anlagen doch zu einem großen Teü der Modernisierung veralteter Ausrüstungen und Strukturen dienen.

Der Aufschwung der spanischen Wirtschaft ist umso bemerkenswerter, als es gleichzeitig gelang, die Inflationsrate von 8,8 Prozent im Jahr 1986 auf 5,3 Prozent im vergangenen und auf an-gepeüte drei Prozent im heurigen Jahr zu drücken. Die sozialistische Regierung Felipe Gonzalez bemühte sich, die Lohnzuwächse zu drosseln und nahm dafür auch Konflikte mit den Gewerkschaften in Kauf.

Mindestens genauso bemerkenswert wie die Inflationsbremsung ist aber die Tatsache, daß die hohen Wachstumsraten nach dem EG-Beitritt an der Situation am spanischen Arbeitsmarkt geradezu spurlos vorübergegangen sind. Die horrend hohe Arbeitslosenquote von 21,9 Prozent im Jahr 1985 sank 1986 marginal auf 21,6 Prozent und 1987 auf knapp 21 Prozent ab. Insgesamt waren zuletzt drei Millionen Stellensuchende registriert; besonders betroffen ist die jüngere Generation: Uber 50 Prozent der 16- bis 19jährigen und 45 Prozent der 20-bis 24jährigen Spanier sind ohne Arbeit. Zwar steigt auch die Zahl der Beschäftigten an, doch offenbar deswegen, weil die ausländischen Niederlassungen und Neugründungen vorerst großteils mit Personal aus dem Heimatland, zumindest was Management und Verwaltungsdienste betrifft, bestückt werden.

Es ist wie gesagt immer problematisch, wirtschaftspolitische Erfahrungen und Entwicklungen eines Landes auf diejenigen eines anderen zu übertragen.

Aus dem spanischen Beispiel dürften sich jedoch Tendenzen ablesen lassen, die für die österreichische Diskussion mehr Beachtung verdienen.

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