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Spannungen in der Westsahara

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Algeriens Zukunft ist seit der Ermordung des algerischen Staatsratsvorsitzenden Mohamed Boudiaf im Juni dieses Jahres ungewiß. Ebenso ungewiß ist das zukünftige Verhältnis zum marokkanischen Nachbarn und zur umstrittenen Westsahara (FURCHE 29/1992).

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Algeriens Zukunft ist seit der Ermordung des algerischen Staatsratsvorsitzenden Mohamed Boudiaf im Juni dieses Jahres ungewiß. Ebenso ungewiß ist das zukünftige Verhältnis zum marokkanischen Nachbarn und zur umstrittenen Westsahara (FURCHE 29/1992).

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Bevor Boudiaf im Jänner überraschend nach Algier heimgeholt und zum „Retter der Nation" aus der innenpolitischen Krise bestellt worden war, hatte er 28 Jahre im Exil verbracht - in Rabat. Dementsprechend traf er auch sofort Anstalten, alte Streitfälle zwischen den beiden nordwestafrikanischen „Brudernationen" aus der Welt zu räumen. Der „Polisario"-Bewegung, die von algerischem Territorium aus gegen die marokkanische Präsenz in der Westsahara kämpft, um dort einen unabhängigen Staat zu errichten, machte Boudiaf klar, daß von ihm keine weitere Unterstützung zu erwarten sei.

Als Gegenzug setzte König Hassan von Marokko seine Unterschrift unter einen seit Jahren vorliegenden Grenzvertrag, demzufolge das Königreich die algerische Hoheit in einem Gebietsstreifen anerkennt, den die Franzosen von Marokko abgetrennt und Algerien zugeschlagen hatten. Um jenes Gebiet, in dem die Basen der gegen die Marokkaner in der Westsahara kämpfenden „Polisario"-Verbände liegen, hatte es 1963 einen kurzen Krieg gegeben. Hassan II. tat einen mutigen Schritt, als er endlich seine Unterschrift unter das Dokument setzte. Nun muß das Parlament in Rabat den Vertrag noch ratifizieren, damit ist aber kaum zu rechnen, solange Algerien nicht eindeutig jede Unterstützung für die „Polisario" einstellt.

„Polisario"-Chef Abdel Aziz hatte noch vor der Ermordung Boudiafs in einem Interview mit der Wochenzeitschrift „Jeune Afrique" damit geprahlt, daß es in der algerischen Führungsmannschaft widersprüchliche Tendenzen gäbe, und daß er sich keine Sorgen zu machen brauche, die Pro-„Polisario"-Kräfte seien nicht kleinzukriegen.

Bestürzung in Rabat

Die Ermordung Boudiafs rief daher in Rabat höchste Bestürzung hervor, zumal sie unter Umständen stattfand, die die Vermutung nahelegen, dahinter stünden Mitglieder der Armeeführung, denen der unabhängige Boudiaf schnell zu unliebsam geworden war.

Aus der Sicht Rabats ist das Westsahara-Problem wenig mehr als ein algerischmarokkanischer Streit. In der ehemals spanischen Überseebesitzung hatte die Bevölkerung ursprünglich mit Unterstützung durch Rabat für die Freiheit von Spanien und die Wiedervereinigung mit Marokko gekämpft, bis sich dann 1973 die „Polisario" unter spanischer und algerischer Anleitung zu einer Unabhängigkeitsbewegung entwickelte und nach dem 1976 erfolgten Abzug der Spanier eine „Demokratische Arabische Republik Sahara" (DARS) ausrief, in einem Territorium, das nie zuvor Eigenstaatlichkeit besessen hatte.

Die algerisch-marokkanischen Beziehungen standen zu jener Zeit noch ganz im Zeichen des Krieges von 1963, der mit einer Niederlage der Algerier geendet hatte. Unter dem algerischen Militärdiktator Huari BuMadyan (Boumedienne) sollte sich daran nichts ändern. Eine Verbesserung der Beziehungen setzte erst unter seinem Nachfolger Shadhli BinDjadid (Chadli Benjedid) ein, der schließlich ein freundschaftliches Verhältnis zu Hassan II. entwickelte, im Jänner dieses Jahres jedoch seines Amtes enthoben wurde.

Entscheidendes Referendum

Mit anderen Worten, zweimal innerhalb eines Jahres wähnte Rabat einen Ausgleich mit Algier greifbar nahe, und beide Male wurde nichts daraus. Dabei steht in diesem Jahr ein Referendum in der Westsahara an, in dem die Bevölkerung entscheiden soll, ob sie bei Marokko verbleiben oder die Eigenstaatlichkeit will. Die Abhaltung des Referendums steckt voller Komplikationen, die sich durch eine Einigung zwischen Algier und Rabat aus der Welt schaffen ließen. Vor der Ermordung Boudiafs war in der arabischen Presse sogar gemunkelt worden, das Referendum sei nicht notwendig, da sich Algerien und Marokko schließlich auf eine Formel zur politischen Lösung des Konflikts geeinigt hätten.

Problematisch war dabei von Anfang an die Tatsache, daß Rabat ganz auf ein Einvernehmen an der Spitze setzte, also die Lösung allein in einer persönlichen Freundschaft zwischen dem König und seinem jeweiligen algerischen Gegenüber suchte. Wie hätte es angesichts der politischen Systeme in den beiden Staaten auch anders sein können?

Als im Jänner die algerischen Militärs dem Demokratisierungsprozeß ein Ende setzten, um die Islamisten nicht an die Macht zu lassen, wurde das von Hassan II. in einem Interview mit der ägyptischen Zeitschrift „Rose El Youssef' bedauert. Offensichtlich gehört er jener Denkrichtung an, die meint, nichts könne die Islamiten so wirksam disqualifizieren, wie die Chance, die Macht auszuüben, weil sie sich dann unweigerlich blamieren.

Sicher versprach sich der Monarch davon auch ein Einlenken Algeriens in punkto „Polisario". Die Islamiten hätten schon zu viele andere Schwierigkeiten, um eine Fortsetzung der Konfrontation mit dem militärisch ohnehin viel stärkeren Nachbarn fortzusetzen. Außerdem zeigte sich die sozialistische „Polisario" stets besonders dogmatisch und hatte mit den Islamiten wenig im Sinn.

Vorläufig bleibt die „Polisario"-Politik weiterhin ein Privileg der Offiziere, die das Land seit der Unabhängigkeit im Jahre 1962 regieren. In Marokko dagegen hat die Demokratisierung so an Bedeutung gewonnen, daß ein Abbruch des Prozesses kaum noch vorstellbar ist. Geht dort aus den im Herbst anstehenden Wahlen eine auch nur halbwegs unabhängige Volksvertretung hervor, dürfte es eine Verhärtung in der Westsahara-Frage geben. Der Anfang dieses Jahres verstorbene Sozialistenführer Bouabid (ein Veteran der legalen Opposition) erklärte noch kurz vor seinem Tod, ein Referendum lasse sich nicht mit der marokkanischen Souveränität vereinbaren und dürfe nicht stattfinden. Die bevorstehenden Wahlen, an denen die Bewohner der Südprovinzen (Westsahara) selbstverständlich wie alle anderen Marokkaner auch teilnehmen werden, machten ein Referendum überflüssig.

In der Weltpresse ist oft behauptet worden, der König kokettiere, wenn er vorgebe, unter allen Marokkanern der kompromißbereiteste zu sein. Tatsächlich lehnen gerade die Oppositionsparteien kategorisch jedes Einlenken in der Westsahara-Frage ab. Im September gibt es erst einmal Gemeindewahlen, im Oktober/November finden dann die Parlamentswahlen statt.

Das Referendum sollte schon längst stattgefunden haben, nun ist erst einmal die Einsatzperiode der „Minurso" genannten UNO-Truppen zur Überwachung des Waffenstillstands bis Ende August verängert worden. Unter den gegenwärtigen Umständen, also speziell des neuerdings gespannten Verhältnisses zwischen Rabat und Algier, ist mit einer Abhaltung des Referendums vor den marokkanischen Wahlen nicht mehr zu rechnen. Danach aber ist fraglich, ob eine neue marokkanische Nationalversammlung noch für das Abhalten eines Referendums zu gewinnen ist.

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