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Sparsamkeit um jeden Preis

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Er ist nun schon mehr als hundert Tage im Amt und sein zweiter Auslandsbesuch führt ihn nach Österreich: Edward Babiuch, Polens neuer Ministerpräsident. Die Visite in der Alpenrepublik gilt hauptsächlich der Erörterung wirtschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Polen und Österreich. Die ökonomische Situation ist auch Babiuchs Sorgenkind in der Heimat. Wie er bisher die polnische Wirtschaftsmisere in den Griff zu bekommen versucht, ist bemerkenswert.

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Er ist nun schon mehr als hundert Tage im Amt und sein zweiter Auslandsbesuch führt ihn nach Österreich: Edward Babiuch, Polens neuer Ministerpräsident. Die Visite in der Alpenrepublik gilt hauptsächlich der Erörterung wirtschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Polen und Österreich. Die ökonomische Situation ist auch Babiuchs Sorgenkind in der Heimat. Wie er bisher die polnische Wirtschaftsmisere in den Griff zu bekommen versucht, ist bemerkenswert.

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Ebenso wie in Südkorea wachsen auch auf Taiwan die inneren Spannungen und beginnen das kleine Wirtschaftswunder auf dieser ostasiatischen Insel zu bedrohen. Eine veraltete Regierung kämpft mit der nicht berechneten Realität einer erwachenden, jungen Bevölkerung.

In wenigen Tagen, am 1. Juni, wird in Polen die Zuckerrationierung auslaufen. Diese Maßnahme hatte 1976 sogar im schwedischen Wahlkampf eine Rolle gespielt und war als Negativbeispiel für verfehlte sozialistische Wirtschaftspolitik angeprangert worden („wollt ihr, daß es so wird wie in Polen?”).

Statt mit der Zuckerbezugskarte werden die Polen also nun ganz normal für 26 Zloty pro Kilo Zucker einkaufen können - die Verteuerung (mit der Zuk-kerkarte war das Kilo um 10,50 Zloty zu haben) wird durch einen „Zuckerzuschlag” zum Lohn ab 1. Juni in Höhe von 15,50 Zloty abgefangen. „Aber irgendwann werden die 15,50 Zloty verschwinden und niemanden wird es auffallen,” prophezeien die Polen selbst.

Offiziell soll der Zuckerzuschlag auch tatsächlich fortfallen - mit einer gleichzeitigen Reduzierung des Zuckerpreises. Aber daran glaubt in Polen niemand.

Zweck dieser ganzen umständlichen Operation ist nicht nur die psychologische „Schande” - mehr als 30 Jahre Volkspolen und noch immer Rationierungen wie nach dem Krieg! - zu beseitigen, sondern auch schrittweise die staatlichen Subventionen für Lebensmittel, Wohnungen und Energie zu reduzieren. Diese Subventionen verschlingen derzeit 40 Prozent des Staatshaushaltes.

Und Sparsamkeit um jeden Preis ist - nach den Jahren ungezügelter Investitionslust in Polen - Babiuchs großes Ziel. Nur so kann nach seiner Meinung das tief verschuldete Polen aus seiner wirtschaftlichen Talsohle mit all den negativen Begleiterscheinungen wieder herauskommen.

Dieser Appell zur Sparsamkeit und zur ökonomischen Disziplin sind die auffälligsten Merkmale der mehr als

100 Tage Amtstätigkeit des neuen polnischen Ministerpräsidenten.

Was Babiuch, dem persönlich ein sehr bescheidener Lebensstil nachgesagt wird, bisher an konkreten Taten setzte, scheint vor allem psychologisch wichtig, kann aber natürlich nicht kurzfristig die bereits erhoffte Besserung bringen.

Polens Premier verfügte etwa, daß die Personalkosten in der Verwaltung noch in diesem Jahr um fünf Prozent reduziert werden müssen. Dies wird einerseits dadurch geschehen, daß man den Personalstand der wuchernden Bürokratie senkt (Pensionierte werden nicht mehr automatisch ersetzt) und andererseits die Repräsentationsspesen und Privilegien der Beamten beschneidet.

Es wird weniger Dienstreisen, Arbeitsessen, Betriebsausflüge? Konferenzen geben - auch weniger Dienstwagen. Lokale Parteibonzen, die bisher mit einem „westlichen” Dienstauto protzten, müssen es nun Premier Babiuch gleichtun - sie fahren mit dem polnischen Mittelklassewagen „Polenez”.

Babiuch selbst wird übrigens nach Österreich mit einer normalen Linienmaschine der Fluggesellschaft „LOT” und einer kleinen Delegation kommen - er will auch selbst mit gutem Beispiel vorangehen.

Rücksichtslos will Babiuch auch gegen Korruption und Verschwendung vorgehen und „eiserner Besen” sein. In den großen Betrieben wird überprüft, ob die oft sagenhafte Zahl von Vize-Direktoren (oft mehr als acht!) auch wirklich durch die anfallende Arbeit sachlich gerechtfertigt ist.

Erst kürzlich wurden 150 Leiter und Stellvertreter der Baubranche wegen „Vernachlässigung ihrer beruflichen Pflichten” oder „offenkundiger Mißwirtschaft” von ihren Chefsesseln in Betrieben und Kombinaten gefeuert. Nach der Baubranche stehen nun andere Wirtschaftszweige vor einer ähnlichen „Säuberung”.

In den Massenmedien ist über Babi-uchs Wunsch eine Kampagne zur besseren Nutzung der Rohstoffe und gegen die Verschwendung gestartet worden. „Mir ist ganz schwer ums Herz, Avenn ich an die vielen herumliegenden Bleche denke, die man weiter gut verwenden könnte”, klagte zum Beispiel ein Meister einer Werft auf dem Fernsehschirm. Typische Antwort seines Vorgesetzten: „Ach, es gibt so viele Anordnungen und Gegenanordnungen.”

Auch damit will Babiuch aufräumen. Er hat in seiner Antrittsrede vor dem Parlament mit allem Nachdruck „ein besseres Zusammenwirken der einzelnen Wirtschaftszweige und eine höhere Produktivität” gefordert sowie „mehr Befugnisse und Verantwortung” für die lokalen Betriebe verlangt. Ob jedoch die vermehrte Selbstständigkeit für die Betriebe bei gleichzeitiger „Straffung des Zentralplans” real umgesetzt werden kann, ist noch ein großes Fragezeichen.

Babiuch, derzeit zu Gast in Österreich, hat seinen Landsleuten keine falschen Versprechungen gemacht. Die Versorgung des Marktes werde „schwierig” bleiben, meinte er. Das heißt, daß die langen Käuferschlangen vor den Fleischhauereien noch länger werden, daß Konsumgüter des gehobenen Bedarfs noch teurer werden, daß die Beschaffung eines Ersatzteiles für ein Auto eine wochenlange, kostenaufwendige Plackerei bleiben wird (man fährt von Warschau bis nach Lodz, um eine Batterie zu ergattern!).

Den „Privat-Unternehmern”, den Handwerkern, Händlern, Gärtnern, die mitunter am Rande der Legalität operieren, dafür aber die ärgsten Versorgungslücken des staatlichen Handels schließen, hat der neue Premier vermehrte Steuern und schärfere Uberprüfung angekündigt.

Auch in der Partei hat Babiuch spüren lassen, daß er kein Freund von Privilegien und Bonzentum ist - er hat die „Klinika rzodowa'1, bisher ausschließlich für Parteifunktionäre reserviert, kurzerhand an das Institut für Kardiologie übergeben. Ein Ereignis, das in der Bevölkerung mit großer Genugtuung aufgenommen worden ist.

Eines kann man Babiuch, dem gebürtigen Schlesier, der schon mit 14 Jahren in die Grube einfuhr, gewiß nicht absprechen - Mut. Mit seinen bfs-herigen Maßnahmen hat er sich bei Partei-, Staats- und Wirtschaftsbürokratie gewisse Feinde geschaffen, die seinem Privilegienabbau ablehnend gegenüberstehen.

Er hat der „Mittelklasse” in Polen keine Verbesserung ihres Lebensstandards, aber mehr Arbeit und Kontrolle in Aussicht gestellt. Er hat dem Volk keine großen Versprechen gemacht und eher ein „Blut- und Tränen”-Pro-gramm verkündet.

Aber ajle, in Polen von Parteileuten bis hin zu den Oppositionellen, gestehen Babiuch zu, daß er nicht einfach „fortwurstelt”, sondern mutig etwas unternimmt, was vom Ansatz her re-spektierenswert ist. Pessimisten verweisen allerdings darauf, daß noch jeder „Chef in Polen anfangs begrüßt wurde -Gomulka 1976, Gierek 1970 - und re-spektierenswert war, dann aber scheiterte.

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