Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
SPD: Kampf um wahre Lehre
Der SPD geht es nicht gut. Die deutschen Sozialdemokraten laborieren an sich selbst. Nach über zehn Jahren Regierungsverantwortung in Bonn zeigen sich Symptome eines tiefsitzenden Leidens, das durch einen von vielen Sozialdemokraten so empfundenen Verlust an eigener Identität gekennzeichnet ist.
Seit dem Wahltag des 5. Oktober 1980 hat die Regierungskoalition in Bonn nicht richtig Tritt fassen können. Daran war auf der einen Seite ein verstärkt aus den Wahlen hervorgegangener Koalitionspartner FDP verantwortlich, der sein gestiegenes Selbstbewußtsein in konkrete politische Münze umzusetzen suchte und dadurch dem sozialdemokratischen Wollen deutlich engere Grenzen gezogen hat.
Nicht nur, aber auch dadurch brach in weiten Teilen der SPD offene Frustration durch. Es gab sie schon länger, doch wurde sie vorwiegend auf dem linken Flügel der SPD gepflegt, dem die ständigen Kompromisse an die Notwendigkeiten der Macht und deren Erhalt in Gestalt der SPD/FDP-Koali- tion ideologisches Sodbrennen verursacht hatte.
Nun aber breitete sich das Übel aus. Die Koalitionsvereinbarungen beinhalten nach Ansicht nicht nur linker Sozialdemokraten kaum noch echte SPD- Anliegen. Hier sei, so hört man allenthalben bittere Töne, aus dem Zwang eines Entgegenkommens an die FDP sozialdemokratisches Urgestein über Bord geworfen worden.
Ganz so dramatisch ist die Situation zwar nicht, aber ein gerüttelt Maß Wahrheit findet sich darin schon. Zehn Jahre Regierungsverantwortung haben der SPD mehr Zugeständnisse an die Realität abverlangt, als das eine junge, nachwachsende Parteigeneration verstehen und verkraften kann.
Denn die reine sozialdemokratische Lehre hatte sie einst bewogen, sich in der Partei zu engagieren.
Während erfahrene und pragmatische Sozialdemokraten keine Schwierigkeiten haben, ihr Partei-Credo den alltäglichen Notwendigkeiten anzupassen, bewirkt die Erkenntnis, daß Programmatik und Praxis oft weit auseinanderklaffen, bei den intellektuell und ideologisch unflexiblen jüngeren Ge
nossen erst Frust und schließlich Aufmüpfigkeit.
Der linke Flügel der SPD, der numerisch nicht genau zu quantifizieren ist, der aber bei Parteitagen in umstrittenen Sachentscheidungen - zum Beispiel NATO-Nachrüstung oder Kernenergie - bis zu 42 Prozent der Delegierten um sich scharen kann, vertritt durch seine Exponenten wie Karsten Voigt oder Manfred Coppik schon seit längerem die Ansicht, die lange Regierungsverantwortung sei der SPD nicht bekommen und die Zeit sei reif für eine Regeneration in der Opposition.
Für sie ist ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende. Die „politischen Schweinereien“, die Hansen jetzt in einem Artikel der linksextremen Postille „Konkret“ seinem eigenen Bundeskanzler vorwarf, zeugen zwar von einem überzogenen Ton, sind aber in der Sache lange nicht nur dessen private Meinung.
In der SPD-Bundestagsfraktion hat sich seit dem Beginn der Legislaturperiode eine sogenannte „parlamentarische Linke“ gebildet, die in organisatorisch lockerer Form das Parteigewissen verkörpern möchte. Ihr gehören rund 65 Abgeordnete an, mehr als ein Viertel der Gesamtfraktion.
Ein kleiner militanter Kern dieser Gruppe wäre bereit, schon jetzt einen Sturz der Bundesregierung in Kauf zu nehmen, wenn sie damit nur ihrer politischen Richtung in der Partei zum Durchbruch verhelfen könnten. Aber je mehr junge und nach ideologischen Leitlinien lechzende Menschen in der Partei nachwachsen, desto größer wird das Potential derjenigen, die von der Regierungsverantwortung sich lieber heute als morgen abwenden und der ŠPD eine Entschlackungskur zugunsten der reinen sozialistischen Lehre verschreiben möchten.
Für die Bundesregierung wird das Regieren dadurch immer schwieriger, die Ärgernisse zwischen SPD und FDP immer stärker. Noch bemüht man sich, die Gemeinsamkeiten zu pflegen, deren es trotz allem noch ein paar gibt. Aber an manchen Tagen scheint es, als seien die Linken in der SPD ihrem Ziel, sich in der Opposition erholen zu können, ziemlich nahe gekommen.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!