6811967-1972_39_11.jpg
Digital In Arbeit

Spektakel rund um San Marco

19451960198020002020

Vor Venedigs altehrwürdigem Teatro la Fenice drängte sich Künstlerprominenz, ein internationales Publikum, das aus ganz Europa angereist war, um die spektakuläre Uraufführung von Sylvano Bussottis Oper „Lorenzaccio“ zu sehen. Schon vor der Vorstellung staunte alles über einen „Lorenzaccio“-Werbe-trupp, Rockers in Leder und bunter Seide, die auf den Stufen des Theaters um ein Motorrad lagerten. Und Hauptthema aller Gäste war „Sylvano“, Venedigs Komponistenliebkind, der 42jährige Florentiner, der seit seiner skandalumwitterten „Passion selon Sade“ und seinem 1971 in Florenz uraufgeführten „Raramente“-Ballett als Enfant terrible gehätschelt und hochbezahlt wird.

19451960198020002020

Vor Venedigs altehrwürdigem Teatro la Fenice drängte sich Künstlerprominenz, ein internationales Publikum, das aus ganz Europa angereist war, um die spektakuläre Uraufführung von Sylvano Bussottis Oper „Lorenzaccio“ zu sehen. Schon vor der Vorstellung staunte alles über einen „Lorenzaccio“-Werbe-trupp, Rockers in Leder und bunter Seide, die auf den Stufen des Theaters um ein Motorrad lagerten. Und Hauptthema aller Gäste war „Sylvano“, Venedigs Komponistenliebkind, der 42jährige Florentiner, der seit seiner skandalumwitterten „Passion selon Sade“ und seinem 1971 in Florenz uraufgeführten „Raramente“-Ballett als Enfant terrible gehätschelt und hochbezahlt wird.

Werbung
Werbung
Werbung

Mehr als drei Millionen Schilling investierten die Theater von Venedig, Bologna und Florenz allein in diese „Lorenzaccio“-Produktion, mit der Venedigs Festivalorganisatoren zur Eröffnung des 35. Internationalen Festivals zeitgenössischer Musik beweisen wollten, daß die alte „Serenissima“ nach wie vor Italiens engagierteste Uraufführungsmetropole ist. Also stellte man Bussotti das prachtvolle „Fenice“, ein Heer von teilweise hervorragenden Solisten — Sänger, Schauspieler, Tänzer — dazu den Hamburger Rundfunkchor und das Rundfunkorchester (Dirigent: Giampiero Taverna) zur Verfügung. Bussotti selbst komponierte, führte mit Carlo Emmanuele Crespi Regie, schuf eine märchenhaft luxuriöse Ausstattung. Und er sang und spielte obendrein eine Hauptrolle, den Dichter Alfred de Musset, Autor des „Lorenzaccio“-Dramas, aus dessen Text er seine vier Stunden dauernde historische Monstercollage gefiltert hat, ein „getanztes romantisches Melodrama in fünf Akten, 23 Szenen und zwei Einlagestücken“.

Es ist ein manieristisches „Totalkunstwerk, par excellence geworden, ein höchst verwirrendes romantisch-spleeniges Stück, voll von Assoziationen, kunstvoll verflochtenen Motiven, Symbolen, Reminiszenzen aus dem Leben Mussets, Lorenzaccios, des jungen Medici-prinzen und Bruders des später ermordeten Florentiner Tyrannen Allessandro, und Bussottis selbst. Ein Stück, komponiert aus verklausulierten Anspielungen auf Literatur, Philosophie, Renaissancepolitik, Zitaten und immer wieder Zitaten, die kreuz und quer durch die Geschichte der Oper weisen und so raffiniert verquickt und verfremdet sind, daß man schon froh sein kann, da eine „Don-Giovanni“- oder eine „Falstaff“-Paraphrase, dort eine Monteverdi- oder Gesualdo-Parodie zu entdecken.

Musikalisch hat Bussotti dazu eine ungemein delikate, fast parfümiert wirkende Musik geschrieben, zartgetönt, subtil rasselnd, ungemein ästhetisch, so daß man immer wieder an sein Motto denken mußte: „Pro-durre molto bellezza — viel Schönheit erzeugen!“

Keine Frage: Bussotti hat — wie stets — sein Leben, Lieben, seine Passionen mit denen des Poeten Musset und dem Lebensweg der schillernden, romantischen Persönlichkeit Loranzaccio verflochten. Ja, es ist eigentlich wieder ein Stück narzißtischer Selbstbespiegelung geworden, in dem er all seine Freude an modischem Luxus, an grandioser

Staffage, an rituellem An- und Ausziehen ausspielt. So verdankte diese Uraufführung ihren Publikumserfolg denn auch zu einem Gutteil seiner Ausstattung, bizarr-phantastischen Szenerien in Lilagrün, Graublau, leuchtendem Rot, üppigen Landschaften aus Faltenwürfen, Florenz-Prospekten, Ruinendekors einer morbide versinkenden Welt, in der Realität und Traumbilder kaum noch voneinander zu trennen sind.

Die Aufführung selbst zählt zum Besten, was man in den letzten Jahren in Venedig sehen konnte. Stand doch ein Team zur Verfügung, das auch so eminent schwierige Teile wie den „Rara“-Requiemsatz und die Riesenarie der Mara, der Mutter Lorenzaccios (Liliana Poli) oder überhaupt den Lorenzaccio und seine „Legende“ (Luigi Mezzanotte, Carlo Vantaggio) imponierend meisterte. Daß dennoch zwischendurch Langeweile aufkam, lag wohl an Bussottis Freude an endlosen „stillen“ Szenen, am Auskosten langsamer Bewegungen, am Spielen mit Requisiten.

Noch mehr Aufsehen erregte übrigens ein Monsterspektakel der berühmten amerikanischen Tanztruppe Merce Cunninghams, die zur Uraufführung ihres „Event“, auf die Piaz-zetta zwischen Prokuratien und Ala Napoleonica bat. Cunningham und seine Tänzer scharten da Publikum um sich, fegten den Platz und entfalteten zu John Cages Geräuschmusik innerhalb der Raumellipse ein abstraktes Tanzspiel, das wie die beiden Abende Cunninghams im Teatro la Fenice Stärke, Eigenart und schwache Punkte der Arbeiten des knapp 40 jährigen Graham-Schülers zeigten. Zu sehen waren die wichtigsten Choreographien der Jahre 1968 bis 1972, die alle Charakteristika enthielten.

Tanz ist für Cunningham selbständig: Bewegung und Ruhe, unabhängig von akustischen Ereignissen, Handlungen, literarischen Einfällen, politischen Ideen. Aller Ausdruck geht vom Körper aus, auf dessen Bewegungen der Zuschauer irgendwie reagieren muß. Das ist alles, was Cunningham einem mit auf den Weg in seine Vorstellungen gibt. Und das ist seine Stärke: Nur so konnte er sich von alten Tanzmodellen lösen, neue Methoden finden, seine Ensemblemitglieder „frei“, wie Kammermusiker oder Jazzimprovisateure, einzusetzen.

Künstler wie Robert Morris und die Komponistin Pauline Oliveros (in „Canfleld“, 1969), Andy Warhol

(in „Rainforest“, 1968), Jasper Johns, Cage Tudor, Mumma (in „Landrover“ und „TV Rerun“, 1972) haben ihn dabei unterstützt. Sie schufen vom Ballett unabhängige Dekors, die nur Atmosphäre provozieren und für sensationelle Optik sorgen: wie Warhols silberne Luftpolster, die auf und über der Szene von „Rainforest“ schweben. Oder die in „Canfleld“ einen ganzen Abend lang hin und her wandernde Latte, deren starres Gleiten die Bewegungen der Tänzer kontrastiert.

*

Schon seit Jahren war übrigens auch die internationale Komponistenprominenz mit ihren Lieblingsinterpreten nicht mehr so vollzählig beim venezianischen Festival erschienen: Berio, John Cage, Kagel, Donatoni, Schnebel, Cardew, Earl Brown, Manzoni, Marius Constant, dazu Interpreten wie Svjatoslav Richter, David Tudor, Maurizio Pollini, John Tilbury ... Reihenweise wurden Ur- und Erstaufführungen zur Diskussion gestellt, die musikalisch stilistische Vielfalt kannte keine Grenzen. Kagel etwa präsentierte seine „Ideenstücke“ für Instrumentalisten „Anagramma“, „Atem“ und „Morceau de Concours“, Pollini spielte Boulez. Donatoni dirigierte eigene Werke, Schnebels wichtigstes Musiktheaterstück „Glos-solalie“, eine Komposition aus Gesten und Wortfragmenten, wurde im Gartentheater des Palazzo Grassi erstaufgeführt. Und ebendort hat auch Cathy Berberian, die Muse der neuen Musik, ihres Exgatten Luciano Berio „Recital I (for Cathy)“ präsentiert, eine exzentrische One-woman-Show, die im Winter auch an der Mailänder Piccola-Scala zu sehen sein wird.

Cathy, mit weißem Lockenkopf, die Anti-Primadonna, der die interessantesten Komponisten, angefangen von Strawinsky, Werke geschrieben haben, hat da eine Idealpartie gefunden. Sie spielt die „gebrochene erstarrende Diva“, singt Berios Collage aus Zitaten von Monteverdi bis Mahler. Allerdings, wie sie die Studie für Stimme bald zur frech-koketten, bald hysterischen, beklemmenden Szene steigert, weist sie als ungewöhnliche Interpretin aus. Der Wiener Maler Hubert Aratym stattete das Stück aus: mobides Fin de siecle in Schwarzlila; die Diva Cathy berauscht sich an einer Verkleidungsszene, an deren Ende sie, mit kostbaren Schals, Schleiern, Schmuck ganz verhüllt und unfähig sich zu bewegen, wie eine Puppe abgeschleppt wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung