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Spiel im Karakorum

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Das Drama am K2, dem zweithöchsten Berg der Welt, stellt die Sinnhaftig-keit dieser Form des modernen Extrembergsteigens wieder einmal in Frage. Was treibt den Menschen in „Todeszonen“?

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Das Drama am K2, dem zweithöchsten Berg der Welt, stellt die Sinnhaftig-keit dieser Form des modernen Extrembergsteigens wieder einmal in Frage. Was treibt den Menschen in „Todeszonen“?

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Die Welt wurde entdeckt, weil man nach Gold und nach Paradiesen suchte. Aber der Alpinismus, der vor 200 Jahren mit der Ersteigung des Montblanc begann, war von diesen Illusionen frei. Man wollte die Gamsjäger und Hirten, die als Bergführer verwendet wurden (obwohl sie sich weiter oben gar nicht auskannten), gewiß nicht davon überzeugen, daß sich auf den Viertausendern leben ließe. Man wollte nur die Angst in Interesse verwandeln.

Die Alpinisten waren—und sind —keine Utopisten, sondern im Gegenteil Topisten, Menschen, die an einen Ort besonderer Art vordringen.

Das Interesse an der Todeszone in der Höhe war naturwissenschaftlich, aber es war auch psychisch und moralisch. Die leblose, vereiste Felsenwelt wirkte als konkretes Symbol. Indem der Alpinist über die Kulturlandschaft hinaussteigt, dringt er persönlich in das Erhabene (Sublime) ein und erfährt dessen Reinheit wie dessen Schrecklichkeit.

Es ist dies ein ganz anderer Weg aus der Kultur als das Entfliehen in die vitale Wildnis oder in die romantische Idylle. Das extreme Bergsteigen beginnt jenseits der Hochgebirgsjagden und der Hochalmen, die noch zur Lebensund Menschenwelt, zum Wirtschaftsgebiet gehören.

Das Betreten des vorher unbegangenen Bereichs war im Himalaya eine Entheiligung, denn die höchsten Berge galten als Götterthrone. Die Europäer empfanden das Sakrileg nicht, denn in ihren Alpen waren die entlegenen Gipfel keine Symbole der christlichen Religion gewesen, sondern nur des Aberglaubens der Gebirgler, den der aufklärerische Alpinist nicht ernstnehmen mußte. Er ersetzte ihn durch etwas Wertvolleres, durch das Erlebnis des Erhabenen, die Ehrfurcht vor der unbelebten Natur — und im übrigen zierte er die eroberten Gipfel mit Holzkreuzen, die keine symbolische Störung, sondern eine Bestätigung des Kultursystems zu bedeuten schienen.

Die Natur-Ehrfurcht der Goethezeit ist im Bergsteigergeist bis in unser Jahrhundert erhalten geblieben. Aber es ist etwas hinzugetreten oder hervorgekommen. Der extreme Alpinismus gehört zu den großen Spielen unserer Zeit. Zu denen, die mit dem Tod zu tun haben.

Spiele haben meist künstlich abgegrenzte Felder, innerhalb derer die Regeln gelten. In diesem Fall grenzt sich das steile Feld selbst ab — es ist nur schwer möglich, mit Hilfsmitteln, die nicht zum Spiel gehören (Flugzeugen), hineinzugelangen.

Reinhold Messner spricht vom Spielraum, von der Arena des Alpinismus. Es ist eine Arena, aus der man sich nicht immer so leicht zurückziehen kann wie aus einem Sportstadion; man wird dann vom Berg gefangen gehalten.

Aus diesem Raum mag man in die Ferne, ins Wolkenmeer blik-ken, aber in sich ist es ein kleiner, enger Raum, in dem sich der Mensch langsam und vorsichtig bewegt. Einige tausend Meter gelten als riesige Strecke. Alles ist scharf, unnachsichtig gegliedert. Zwischen dem Einstieg und dem jeweiligen Gipfel ziehen sich entscheidende Linien (Routen); sie bedeuten Varianten, die alles umwerten können, sind „ungelöste Probleme“ des Spiels.

Das Spiel selbst ist Bewährung einer Körpertechnik, durch die Schwierigkeiten überwunden werden, die man auf einer Skala nach Graden ermißt. Es ist das, was Goethe tätige Wette nannte, also kein abwartendes Hasardspiel, sondern auf Talent und Leistung beruhend.

Es ist eine Wette, in der meist kein Pfand eingesetzt wird, sondern nur die eigene Person. Man gewinnt oder verliert gegen sich selbst, gegen den Berg, aber auch gegen (nicht anwesende) Konkurrenten. Im äußersten Fall gilt die Wette dem Tod.

Im Gegensatz zu reinen Geschicklichkeitsspielen wie Schach oder Diskuswerfen ist die Gefahr keineswegs ausgeschaltet, und auch nicht der Zufall. Keinen Berg kann man so sicher kennen wie ein Stadion oder eine Rennbahn; Steinschlag, Lawinen, Wetterumstürze lassen sich nicht berechnen, sondern nur fürchten.

Das Pathos des extremen Bergsteigens liegt in der Bedrohung durch den Berg, gegen die auch der Geschickteste nicht gefeit ist.

„Grenzerlebnisse“

Wo persönliche Gefährdung dargestellt wird, findet sich Publikum. Film und Nachrichtenwesen machen das Drama in der entlegenen Arena beobachtbar, sogar vermarktbar, was wiederum das Spiel mitfinanziert.

Paradoxerweise bestehen aber die Akteure (oder mindestens ihr bekanntester Ideologe, Reinhold Messner) darauf, der Sinn ihres Handelns, ihrer Anspannung sei die einsame Auseinandersetzung mit ihrem Selbst. Der Aktionismus des modernen Menschen soll in Meditation umschlagen, zu der man die Herausforderung der höchsten, kältesten Zonen der Erde braucht — ein innerlich-äußerlicher Kampf, von dem die Welt erfahren soll.

Alle politischen, nationalen, militärischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen Zwecke, die der Alpinismus in seinen früheren Formen (mit)verfolgte - und die er bei Russen und Asiaten heute noch haben kann —, sollen aufgegeben werden. Nur einige medizinische und publizistisch-ästhetische Interessen bleiben übrig.

Die ritterliche Aventiure, die ihre überpersönlichen Zwecke einbüßte, verlor ihren Rang, wurde zur Abenteuerlichkeit. Das extreme menschenopfernde Bergabenteuer, dessen erklärter Zweck nur noch wäre, subjektive „Grenzerlebnisse“ hervorzurufen, könnte eines Tages in der Achtung sinken. Die Zuschauer verachten leicht eine Leidenschaft, die zuviel fordert, obwohl sie selbst den Preis nicht zahlen.

Der Autor ist Professor für Soziologie und Kulturwissenschaft an der Universität Salzburg.

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