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Spiel im Sandkasten

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Wie glücklich könnte sich Niederösterreich schätzen, hätte die Frage einer Landeshauptstadt wirklich jene zentrale Bedeutung, die ihr in der künstlich entstandenen und genährten Diskussion beigemessen wird. Hieße das doch, daß unser Bundesland elementare Probleme bereits erledigt hätte, Arbeitsplatzsorgen und Umweltbedrohungen überwunden wären, glückliche und zufriedene Niederösterreicher sich

mit der Gedankenspielerei einer Landeshauptstadt auseinandersetzen könnten.

Die Realität ist davon meilenweit entfernt. Und so müssen sich die Schöpfer und Betreiber dieser Diskussion den Vorwurf gefallen

lassen, die Vorurteile all jener zu nähren, die den Politikern vorwerfen, an den wahren Problemen vorbeizugehen.

Dabei dürften es ja reale Probleme gewesen sein, die Landeshauptmann Ludwig bewogen, der Öffentlichkeit das Fehlen einer niederösterreichischen Hauptstadt als zentrales Problem darzustellen. Zur Ablenkung der Turbulenzen um die eigene Person rückte er die jahrzehntelang kaum vermißte blau-gelbe Metropole medienwirksam in den Mittelpunkt.

So verlockend es wäre, das Thema kurzerhand ins politische Kuriositätenkabinett zu schieben, möchte ich doch einige grundsätzliche Argumente festhalten. Schließlich hat die Diskussion Eigendynamik bekommen, auch sollen falsche Hoffnungen gleich im Ansatz erkennbar werden.

Die Angaben der ÖVP über die Kosten einer Landeshauptstadt schwanken zwischen 20 Milliarden Schilling (Charles Bohatsch im „NÖ-Journal") und 30 Milliarden (Bgm. Wittig, Krems). Wel-

cher Politiker mit dem geringsten Anspruch auf Ernsthaftigkeit könnte es verantworten, diese Summen angesichts der brennenden Probleme des Landes für ein Monsterprojekt mit Namen Landeshauptstadt auszugeben? In unserem Land warten rund 12.000 Familien auf eine Wohnung, viele Gemeinden stehen vor dem finanziellen Kollaps, und in weiten Bereichen fehlt es aus finanziellen Gründen an dringend notwendiger Infrastruktur, die weitere Umweltschädigungen verhindern soll.

Und vor allem: Wenn wir den wirtschaftlich notwendigen

Strukturwandel in Niederösterreich unterstützen wollen, statt zuzusehen, wie Tausende Arbeitsplätze und damit die Schicksale Tausender Famüien auf der Strek-ke bleiben, brauchen wir diese Mittel für wirksame Hilfsaktionen für die Wirtschaft. Schöne Worte auf Enqueten und in Sonntagsreden helfen da nicht: die Taten zählen. In der Vergangenheit fehlten sie sehr oft. Wer den Anteil der Wirtschaftsförderung am Gesamtbudget des Landes senkt— wie das die ÖVP im Voranschlag 1984 getan hat—, sollte sich eigentlich hüten, in großem Stil über Milliardenprojekte zu reden.

Daß das angeblich schwache Landesbewußtsein der Niederösterreicher als Begründung herhalten mußte, hat Kenner der Szene kaum überrascht. Zu oft wurde es schon strapaziert, wenn es darum ging, fragwürdige Ausgaben zu rechtfertigen. Selbst wenn man dieser Argumentation folgt, darf bezweifelt werden, daß die Verlagerung von Verwaltungsgebäuden nach Niederösterreich eine Stärkung des Landesbewußtseins bewirkt.

Nicht neue Ballungsräume brauchen wir in der derzeitigen Situation, sondern möglichst gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilen des Landes. Das ist zumindest das erklärte Ziel der SPÖ in Niederösterreich. Und dafür sollten auch die notwendigen Mittel eingesetzt werden. Wer das nicht erkennen will, muß sich die Frage gefallen lassen, warum er wertvolle Zeit mit Sandkastenspielen verbringt, statt für jene zu arbeiten, die ihn gewählt haben.

Die Schaffung einer Landeshauptstadt ist nur durch Verfassungsgesetz möglich — also nicht ohne Zustimmung der SPÖ. Wie Landeshauptmann Ludwig

durchblicken ließ, faßt man sogar die Möglichkeit ins Auge, die Riesentintenburg zu schaffen, oh-" ne ein Einvernehmen zu suchen. Es hat den Anschein, als ob ihn sein unvermuteter Wahlerfolg blind machen würde für das rechte Maß.

Die Diskussion sollte im übrigen auch auf die Wurzeln zurückgehen, die seinerzeit erfolgte Trennung. Es schiene mir eine Uberprüfung angebracht, wie sich diese damaligen Maßnahmen bewährt haben und ob es nicht für die Bewohner Niederösterreichs besser wäre, wenn Wien und Niederösterreich einander wieder näher kämen, statt weiter auseinanderzutreiben. Gemeinsame Anstrengungen schienen mir da eher am Platz zu sein als die Parole „Los von Wien".

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