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Spiel mit den Spielregeln

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Mit der ihm eigenen sprachlichen Eleganz sagte Bundeskanzler Kreisky unlängst vor Journalisten: „Vorzeitige Neuwahlen sind kein Malheur.“ Wirklich nicht? Wahlen sind freilich natürliche Lebensäußerungen der Demokratie. Mit vorzeitigen Wahlen ist es schon ein wenig differenzierter. Es kommt dabei auf die näheren Umstände, auf die Ursachen an. Sind solche Wahlen ein letzter Ausweg aus dem Dilemma, in dem sich eine Volksvertretung befindet, dann sind vorzeitige Neuwahlen tatsächlich kein Malheur, eher im Gegenteil. Die Wähler werden zu den Urnen gerufen, um das Problem lösen zu helfen. Es ist dann eine Art Plebiszit, durchaus nichts Natürliches, denn im parlamentarischen System wählt das Volk seine Repräsentanten für die Dauer einer Legislaturperiode, damit diese ihrem vorher verlautbarten Programm entsprechend regieren, das heißt vornehmlich, Gesetze beschließen, sofern sie die Mehrheit im Parlament dar stellen, oder opponieren, sofern sie bei den Wahlen in Minderheit geblieben sind. Die öffentliche Meinung wacht darüber, daß dies entsprechend den Spielregeln der Demokratie geschieht.

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Mit der ihm eigenen sprachlichen Eleganz sagte Bundeskanzler Kreisky unlängst vor Journalisten: „Vorzeitige Neuwahlen sind kein Malheur.“ Wirklich nicht? Wahlen sind freilich natürliche Lebensäußerungen der Demokratie. Mit vorzeitigen Wahlen ist es schon ein wenig differenzierter. Es kommt dabei auf die näheren Umstände, auf die Ursachen an. Sind solche Wahlen ein letzter Ausweg aus dem Dilemma, in dem sich eine Volksvertretung befindet, dann sind vorzeitige Neuwahlen tatsächlich kein Malheur, eher im Gegenteil. Die Wähler werden zu den Urnen gerufen, um das Problem lösen zu helfen. Es ist dann eine Art Plebiszit, durchaus nichts Natürliches, denn im parlamentarischen System wählt das Volk seine Repräsentanten für die Dauer einer Legislaturperiode, damit diese ihrem vorher verlautbarten Programm entsprechend regieren, das heißt vornehmlich, Gesetze beschließen, sofern sie die Mehrheit im Parlament dar stellen, oder opponieren, sofern sie bei den Wahlen in Minderheit geblieben sind. Die öffentliche Meinung wacht darüber, daß dies entsprechend den Spielregeln der Demokratie geschieht.

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Bekanntlich geschieht dies in Österreich seit mehr als einem Jahr nicht mehr ganz im Sinne dieser Spielregeln. Das wäre noch immer „kein Malheur“, wenn diese Übergangszeit — nämlich der „Zustand“ der Minderheitsregierung, etwas Verkehrtes im System der parlamentarischen Demokratie, in der ja die Mehrheit regieren und die Minderheit opponieren soll und nicht umgekehrt — wirklich nur eine Übergangszeit wäre, von kurzer Dauer und zu etwas gut, nämlich zur Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit am Ende. Dem ist aber bei uns nicht so, und es sieht auch nicht so aus, als könnten die von der Regierungsseite her seit langem schon eifrig propagierten vorzeitigen Neuwahlen hier eine wirkliche Wende zum Besseren herbeiführen.

Eine akrobatische Leistung

Was dabei nämlich vergessen oder mit Absicht verschwiegen wird: Wahlen in Österreich konnten in Österreich bisher schon nur in besonderen Ausnahmefällen — ein solcher Ausnahmiefäll war das Wahlergebnis von 1966 — zu echten Mehrheiten führen. Das geltende Verhältniswahlrecht ist dem Vorhaben, eine Alleinregierung zu bilden, nichtsgünstig. Nun ist in Österreich ungefähr VOT einem Jahr zweierlei geschehen: Die SPÖ, nur im Besitze einer knappeh relativen

Mehrheit, das heißt, nach den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie allein nicht regierungsfähig, bildete mit Hilfe des Bundespräsidenten trotzdem eine Alleinregie- rung und beschloß dann kurze Zeit später mit Hilfe der kleinen Oppositionspartei eine bedeutsame Änderung der herrschenden Wahlrechts- ordnung, die den mehrheitsbildenden Effekt dieser ohnehin schon mehr- heitsfeindlichen Wahlordnung beinahe auf Null reduziert. Gleichzeitig aber erklärte der Bundeskanzler bei jeder Gelegenheit, er könne sich als Kanzler einer Koalitionsregierung zumindest in dieser Legislaturperiode nicht vorstellen. Nach den nächsten Wahlen würde er diese Frage allerdings neu überdenken.

Man wird sich auch in unserer kurzlebigen Zeit noch erinnern dürfen, daß Dr. Kreisky zu den beredten Anhängern der großen Koalition gehörte. Aber die Zeiten ändern sich, und heutzutage -orientiert man sich nach dem schwedischen oder nach dem Bonner Muster oder strebt eine besondere österreichische Variante an. Diese österreichische Variante — ein Trapezkunststück sondergleichen — wiar bisher die Minderheitsregie- rung. Der Bundeskanzler scheint sich dieser seiner akrobatischen Leistung durchaus bewußt zu sein: „Mit einer Mehrheit kann jeder regieren“, sagte er unlängst in einem Kreis von staunenden Journalisten. Es fragt sich nur, ob solche akrobatischen Leistungen der Demokratie guttun. Für kurze Zeit vielleicht ja, eine belebende Wirkung, Neubesdnnung können von solchen Ausnahmesituationen ausgehen. Als Dauerzustand wird die Sache sinn- und fruchtlos und daher viel zu kostspielig.

Nun will freilich Dr. Kreisky selbst den „Zustand“ — man erinnert sich an diese spöttische Bezeichnung, mit der die Sozialisten vor Jahren den damaligen vertragslosen Zustand zwischen Ärzten und Krankenkasse bedacht haben — so rasch wie möglich beenden, bietet aber dafür, obwohl er wissen muß, daß die neue Nationalratswahl- ondnung für die Erlangung der Mehrheit durch eine Partei denkbar ungeeignet ist, vorzeitige Neuwahlen als Schlüssel zur Lösung an. Das kann aber nur bedeuten, daß er entweder doch auf die Erlangung einer absoluten Mehrheit durch seine Partei hofft, oder aber nach der Wahl eine Koalitionsregierung bilden will, die, nach den gegenwärtig sichtbaren Vorzeichen, nur eine kleine und daher ebenfalls sehr beschränkt arbeitsfähige Koalition zwischen SPÖ und FPÖ sein kann. Demnach wäre der einzige Grund für die Neuwahl, die FPÖ von den Fesseln ihrer stolzen Erklärung, „kein roter Bundeskanzler“ in dieser Legislaturperiode, endlich zu befreien. Denn mit der großen Oppositionspartei hat

Dr. Kreisky vorher schon Besonderes vor.

… oder eine noch billigere Koalition

Diese Partei hat der Chef der Min- derheiitsregierung nämlich aufigefor- dert, das Budget 1972 zu unterstützen und dazu bereits jetzt, viele Wochen vor der parlamentarischen Einbringung des Budgetentwurfes und fast ein halbes Jahr vor den entscheidenden Abstimmungen im dafür einzig zuständigen Parlament, bindende Erklärungen albzugeben. „Die Benützung der hygienischen Einrichtungen des Parlaments ist nicht der Weg zur Budgetzustimmung“, bemerkte Dr. Kreisky vor Journalisten. Dieser ein wenig vulgäre Hinweis besagt, daß es ihm nicht genügt, wenn einige Abgeordnete vor der Abstimmung den Saal verlassen und dadurch eine Mehrheitsbildung der Regierungspartei ermöglichen, nachher aber die Oppositionspartei das Budget durch verschiedene Initiativen zu gefährden trachtet.

Mit anderen Worten: Kreisky verlangt von der großen Oppositionspartei eine uneingeschränkte Zustimmung zum Budget, das bekanntlich das „in Zahlen gegossene Regierungsprogramm“ für das kommende Finanzjahr ist, ohne Umschweife und zu einem sensationell niedrigen Preis, dessen Zustandekommen ihm anscheinend als eine weitere Zirfcus- nummer vorschwebt. Was verlangt er nämlich? Er verlangt von der Oppositionspartei völlige Mitverantwortung für die Taten einer Regierung, an der sie nicht beteiligt ist und auf die sie auch sonst keinen Einfluß ausüben kann. Also eine Koalition zwischen zwei Partnern, von denen der eine alles, Macht, Einfluß, Bewegungsfreiheit, der andere nichts hat. Wenn man sich nun erinnert, mit welcher oft lächerlich anmutenden Zähigkeit die SPÖ früher bei monatelangen Koalitionsver- handlunigen auch an kleinsten Zipfeln einer Einflußmöglichkeit auf echten oder eingebildeten Machtbefugnissen festhielt, dann ist erst zu ermessen, welchen „Gesinnungswandel“ ein sozialistischer Politiker durchgemacht haben muß, um ein solches Koalitionsangebot, das jetzt freilich schamhaft als Budgetpakt bezeichnet wird, einem künftigen Partner anbdeten zu können. Stimmt die ÖVP zu, dann ist das Geschäft perfekt, die Sensationsnummer vollendet, das Volk darf staunen. Stimmt sie nicht zu, dann hat die Regierung die gesuchte Absprungbasis in die Neuwahl. Totz der Wahlanfechtung durch die niederösterreichische Landesregierung beim Verfassungsgerichtshof, die möglicherweise eine Wiederholung der Wahl notwendig machen würde. So einfach ist das. Wie sagte denn der Bundeskanzler (in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“)? „Die Österreicher werden sicherlich im ersten Augenblick negativ zu Neuwahlen stehen. Man muß dann eben mit den Österreichern reden und ihnen die Situation erklären, dann werden sie es schon verstehen.“

So sprach jemand, der anscheinend an seine Fähigkeit glaubt, den Österreichern eine Aneinanderreihung von Bravourkunststücken als konstruktive, dem Gemeinwohl nützliche und dringend notwendige Staats- und Reformpolitik verkaufen zu können. In Wirklichkeif handelt es sich dabei um einen Abnützungsund Abwertungsprozeß, an dem alle schuld sind, die aus Unfähigkeit oder Gleichgültigkeit die parlamentarische Demokratie zu einem Spiel ohne Spielregeln degradieren lassen.

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