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Spielball der Mächtigen

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Immer wieder flackert der Kurdenaufstand auf. Der Westen registriert das kurz - und geht zur Tagesordnung über.

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Immer wieder flackert der Kurdenaufstand auf. Der Westen registriert das kurz - und geht zur Tagesordnung über.

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Süleyman Demirel, Ministerpräsident der Türkei, hat die schwere Auseinandersetzung mit Deutschland wegen des türkischen Einsatzes von Kampfpanzem der früheren DDR-Nationalen Volksarmee gegen „Bergtürken" - Kurden - als „Sturm im Wasserglas" bezeichnet. Bezeichnend, wie da ein völkerrechtliches Anliegen abgehandelt und abgehakt wurde.

Da ist einmal die Überlagerung eines Problems mit dem Konflikt zwischen Nato- und KSZE-Partnern, mit der der eigentliche Anlaß beiseite geschoben wird. Plötzlich ging es nicht mehr um die Bombardierung kurdischer Dörfer in Ostanatolien, um der Terroristen der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) Herr zu werden. Meisterhaft verstanden es türkische Politiker - und die türkische Presse spielte diensteifrig mit -.verletzten Nationalstolz zu mimen. Aus dem Problem der bedrohten kuedischen Minderheit (etwa acht Millionen) in der Türkei war plötzlich ein zwischenstaatlicher Konflikt geworden, bei dem Emotionen hochschwappten.

Es spricht für Deutschland, daß es -wohl wissend um eine mögliche Isolation innerhalb der für Menschenrechtsfragen nicht selten blinden EG und der seit dem Golfkrieg oft beschworenen neuen Weltgemeinschaft - nicht locker gelassen hat. Deutschlands Insistieren hat die EG schließlich doch zu einem Protest gegen die türkische Kurdenpolitik veranlaßt. Da nützte auch nicht, daß türkische Medien die Deutschen hysterisch als „Schweine" bezeichneten und die Türkei die Annahme des EG-Protestes zunächst verweigerte.

Wenn es europäische Menschenrechtsstandards gibt - und als KSZE-Mitglied hat sich die Türkei dazu bekannt -, dann hat sich ein Land, das seit Jahren in die EG drängt und als europäisch gelten will, daran auch zu halten.

Zweifellos verschloß Europa vor dem Kurdenproblem nur allzu lange die Augen. Gerade noch die Spitze des Eisberges wird wahrgenommen. Immer dann wird reagiert, wenn aus dem latenten Konflikt, der vier Länder des Mittleren Ostens betrifft, ein heißer geworden ist. Ein konsequentes Krisenmanagement, sprich: eine international koordinierte Kurdenpolitik, gibt es nicht. Diese Tatsache rächt sich mit Regelmäßigkeit.

Der globale Aufschrei hielt sich in Grenzen, als 1988 in Halabdscha Tausende Kurden einem irakischen Giftgasanschlag zum Opfer fielen. Die Begeisterung für den von den USA gutgeheißenen Aufstand der Kurden gegen Iraks Saddam Hussein war von äußerst kurzer Dauer. Jetzt wollen sogar die UNO-Beobachter im Nordirak das Kurdengebiet verlassen, obwohl Kurdenvertreter davor warnen.

Wird der Krieg der Türkei gegen die Kurden, der sich zu einem regionalen Brand ausweiten könnte, ebenso schnell dem Vergessen anheimfallen? Bleibt nach dem kurzen Wahrnehmen eines schwerwiegenden Konfliktes, der sich wie ein blutigroter Faden durch unser Jahrhundert zieht, nichts anderes als der verbale Streit zwischen Deutschland und der Türkei in unserem Bewußtsein zurück? Lassen wir getrost tote Kurden, Alte, Frauen und Kinder, zurück?

„Die Geschichte der unterdrückten Völker zeigt immer wieder, daß die Niederwerfung einzelner Aufstände in einer bestimmten Region den Anstoß zu weiteren Erhebungen in anderen Regionen und zum Entflammen von Befreiungskämpfen geben kann", schreibt Issam A. Sharif, Exiliraker, ökonomischer Berater bei der Wiener UNIDO und der arabischen Liga, in seinem 1991 in Wien im Eigenverlag erschienenen Buch über „Die irakischen Kurden".

Die internationale Politik, die das Kurdenproblem weitgehend ignoriert - auch jetzt schon ist das brutale türkische Vorgehen gegen Kurdendörfer unserem Bewußtsein entschwunden -oder die Kurden nur als Spielball eigener Interessen benützt (Sharif dokumentiert das ausführlich), ist am Ende dieses Jahrhunderts aufgefordert, den Kurden ihre zu Beginn dieses Jahrhunderts entwendeten Rechte zurückzugeben. An die 25 Millionen Menschen warten darauf. Der Griff zu kriegerischen Mitteln, um sich diese Rechte selbst zu holen, darf niemanden verwundern.

Der meistgesuchte Mann in der Türkei, PKK-Führer Abdullah Öcalan, hat gutausgebildete und vor allem hochmotivierte Kämpfer auf seiner Seite. Zehntausend Mann soll er in den kurdischen Bergen sowie in Ausbildungslagern in Syrien beziehungsweise im Libanon unter Waffen haben: eine ständige Herausforderung und Bedrohung für die gesamte Region.

Die Geschichte der Kurden im 20. Jahrhundert zeigt, daß sich dieses Volk trotz ungezählter Niederlagen und Unterdrückung in vier Staaten nicht unterkriegen ließ. Ohne Lösung sind neue Kriege programmiert. Langes Zuwarten, enttäuschte Hoffnungen, das Gefühl, nur Spielball der Mächtigen zu sein, spielt dem Radikalismus in die Hände.

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