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Spiele für Einsame

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Flieg durch dein Zimmer zum Fenster hinaus, wein in die Wolken, sing eine Bienenmelodie, aber erzähl niemandem, daß du einsam bist.

Sprich nicht über deine Einsamkeit, alle anderen sind nämlich Fachleute. Wenn man lange genug gewartet hat, zerbricht alles. Das Reden wird zum Geräusch, die Themen so gut wie unhörbar, die Wahrheiten kann man kaufen, aber die Interpretationen, auf die es letztlich ankommt und die von hoch oben zu uns heruntersickern, ändern sich täglich. Deine Einsamkeit gehört dir.

Jeder Mensch läßt seine Einsamkeit erst los, wenn er sie gegen den Tod austauscht. Denn was er versteht, behält er nahe bei sich, was er hingegen hin und wieder sagt, versteht er ja nicht, weder er, noch sonst jemand. Einsamkeit ist wie das Geheimnis des Fußballspielers, man kann sie nicht definieren, man spielt mit ihr. Jeden Tag, wenn man die Straße entlanggeht, kommt man an Hunderten von Einsamkeiten vorbei und nimmt mindestens eine mit. So ärgerlich es sein mag, was man selber für Einsamkeit hält, hält ein anderer vielleicht für Zwiebelkuchen.

Dabei ist Einsamkeit so sinnlos wie ein Hund: Man ist nicht allein, aber die Gesellschaft, die man pflegt, nützt nichts, sie starrt einen nur an und bellt gelegentlich.

„Bell nur“, sagt man dann, „recht hast du!“

Einsam zu sein, ist besser, als vorläufig nicht einsam zu sein. Wer einsam ist, geht zu großen Cocktailparties und besäuft sich, wer einsam ist, hegt Hoffnungen, wer einsam ist, fühlt sich wichtig. Wer aber zur Zeit nicht einsam ist, wird angeschrien, wird viel zu früh am Morgen aufgeweckt, muß telefonieren, er wird, mit anderen Worten, langsam und qualvoll der Einsamkeit ausgeliefert. Denn es gibt ja nur drei Möglichkeiten: Entweder die Leute, mit denen ich verkehre, sind mir überlegen, dann bin ich einsam, oder sie sind mir unterlegen, dann bin ich auch einsam, oder sie sind mir ebenbürtig, dann sind wir alle einsam.

Jeder Mensch, der noch nicht einsam ist, besitzt mindestens einen Hut. Soldaten, zum Beispiel, sind selten einsam, wodurch übrigens bewiesen wird, daß längerer Mangel an Einsamkeit zum Tod führen kann. Einsame Menschen mit Hut sind selten. Auch Kinder verhindern Einsamkeit vorübergehend, denn Kinder kann man belügen oder schlagen, man kann Wettrennen gegen sie gewinnen, wenn sie klein genug sind, Kinder erzählen einem nicht ihre Lebensgeschichten und sie bieten einem keine Zigaretten an. Bei Hüten ist das genauso. Andererseits kann man von Kindern keine finanziellen Vorteile erwarten und dann fühlt man sich in ihrer Gesellschaft wieder einsam.

Einsamkeit muß man lernen. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig. Aber es gibt billige und teure Einsamkeiten.

Eine billige Einsamkeit kann man beispielsweise erleben, wenn man seine Jugendfotos betrachtet. Teure Einsamkeiten kann man im Rausch hinter sich bringen, oder man kann ein großes Haus kaufen und mehrmals täglich durch die vielen Zimmer laufen. Einsamkeit ist also unabhängig vom Geldbeutel. Hast du was, bist du einsam, hast du nichts, bist du auch einsam.

Andererseits bedeutet Einsamkeit Freiheit durch Selbstbestimmung. Du allein bestimmst, wann du einsam sein willst.

Natürlich ist Einsamkeit letzten Endes unheilbar und unentrinnbar, aber sie ist auch vorübergehend verscheuchbar. Nur der Neuling setzt sich hin und bedauert sich, der erfahrene Einsame kann eine ganze Reihe therapeutischer Maßnahmen ergreifen: Er kann schlafen gehen, er kann gurgeln, er kann Schmerzen kriegen, wo er gerade will, er kann die Polizei anrufen und behaupten, daß er ein gesuchter Terrorist ist, er kann ein jung verheiratetes Paar besuchen, ohne sich vorher anzukündigen — dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt.

Es gibt natürlich auch unbrauchbare Versuche, die manche Menschen unternehmen, um ihre persönliche Einsamkeit loszuwerden. Wenn Millionäre Kommunisten werden wollen oder Kommunisten Millionäre, so ist das naiv und meistens zum Scheitern verurteilt. Wer sich zu so etwas entschließt, wird einsam sein, bevor er überhaupt damit anfängt. Es wäre dann wesentlich einfacher, mittagessen zu gehen und eine alte Dame im Restaurant mit Spinat zu bekleckern.

Große Änderungen in deinem Lebensablauf haben keinen Einfluß auf deine Einsamkeit. Wenn dir nichts anderes einfällt, laß deine Einsamkeit in Ruhe, dann wird sie einschlafen und du kannst ein Bier trinken gehen, bis sie wieder aufwacht.

Sehr schöne Menschen sollten umgehend einsam gemacht werden, sonst sind sie eine Gefahr für den Durchschnittseinsamen. Wenn man einen sehr schönen Menschen sieht, kann man vor ihm niederknien, mit der Zeit wird er sich daran gewöhnen und dann ist er auf dem besten Weg, normal einsam zu werden. Wenn das nicht wirkt, sollte man versuchen, sehr schönen Menschen aus dem Weg zu gehen. Auf keinen Fall sollte man mit sehr schönen Menschen intime Gespräche führen.

Wenn ein sehr schöner Mensch Anstalten zu so einem Gespräch trifft, kann man ihm rasch ein Buch über irgendeine Philosophie schenken, um ihn abzulenken. Am besten ist es, zwei sehr schöne Menschen zusammenzubringen, denn dann verlieben sie sich ineinander, und ihre Einsamkeit ist gewährleistet.

Zweifellos ist Einsamkeit auch eine Wissenschaft, denn sie kann wissenschaftlich bewiesen werden. Man kann ins Badezimmer gehen, eine Zigarette in den Mund stecken, und dann, wenn sie niemand anzündet, eine gewisse Einsamkeit daraus ableiten. Überlegungen dieser Art sind nützlich, und man wird wahrscheinlich nicht einsam werden, solange man so theoretisiert. Erst wenn man die Theorien der Mitwelt zugänglich machen will, wird man das Gefühl der Einsamkeit kaum vermeiden können.

Trotzdem ist die Theorie der Einsamkeit als Wissenschaft nie sehr populär geworden. Das liegt vielleicht daran, daß Wissenschaftler meistens humorlose, manchmal auch unappetitliche Menschen sind, wohingegen dem Begriff der Einsamkeit ein etwas kränklicher Humor nicht abgesprochen werden kann.

Man hat auch versucht, die Einsamkeit als Kunst zu definieren, was aber auch auf Schwierigkeiten stieß, da Dichter, mit denen man über Einsamkeit sprach, sofort in aller Öffentlichkeit Gedichte über sie schrieben, was von wirklich einsamen Menschen als Störung der persönlichen Einsamkeitssphäre empfunden wurde. Die Musik und die bildende Kunst lösten das Problem zwar besser, lieferten aber auch keine neuen Erkenntnisse, nur neue Selbstmorde.

Wer lange keine Einsamkeit fühlt, sollte sie suchen gehen. Sie ist nicht schwer zu finden. Es gibt Diskotheken, die rund um die Uhr geöffnet sind und die sich auf Einsamkeit spezialisieren. Man kann auch einen besonders geschwätzigen Friseur oder einen insensiblen Zahnarzt aufsuchen, man kann in ein Krankenhaus gehen und sich neben einen Toten setzen, Einsamkeit ist fast überall. Wenn Menschen nämlich längere Zeit nicht einsam sind, dann sind sie meistens auch nicht glücklich. Dann streiten sie oder zahlen ihre Steuern oder sitzen in der Oper.

Wenn sie sich dann plötzlich einsam fühlen, kann man merken, wie sie aufatmen. Jeder intelligente Mensch erkennt bald, daß die Einsamkeit seine Freundin ist.

Aus dem Band „Worte ohne Lieder“, der demnächst im Paul Neff-Verlag, Wien, erscheint.

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