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Spiele, Spiele, Spiele

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Der Mensch ist dort ganz Mensch, wo er spielt, schreibt Friedrich Schiller in seinen „Ästhetischen Briefen“. In Nürnberg traf sich heuer bereits zum 34. Mal die spielende Welt: Man gustiert, probiert, kauft ein und beobachtet neue Trends. Brutale und charmante Produkte stehen nebeneinander, Videospiele überschwemmen den Markt. Spielen ist ein Kulturfall.

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Der Mensch ist dort ganz Mensch, wo er spielt, schreibt Friedrich Schiller in seinen „Ästhetischen Briefen“. In Nürnberg traf sich heuer bereits zum 34. Mal die spielende Welt: Man gustiert, probiert, kauft ein und beobachtet neue Trends. Brutale und charmante Produkte stehen nebeneinander, Videospiele überschwemmen den Markt. Spielen ist ein Kulturfall.

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Der homo ludens, der spielende Mensch, hat wieder eine Chance. Jahrelang des kindischen Verhaltens bezichtigt, eröffnet sich nun seit geraumer Zeit für den verspielten, kreativen und geselligen Konsumenten ein Horizont an Freizeitmöglichkeiten, die für jeden Geschmack das richtige Etwas bieten.

Die Nürnberger Spielwarenmesse, einziger ernstzunehmender Barometer der Branche, bietet auch heuer vor allem bei den Erwachsenenspielen viel Neues, wenngleich Herausragendes, wie 1982 der sogenannte Zauberwürfel des Budapester Architekten Ernö Rubik, nicht festzustellen war.

Mit äußerst vorsichtigem Optimismus versucht die Branche dort Akzente zu setzen, wo Gewinne buchstäblich auf Knopfdruck zu erwarten sind: Der Videomarkt kam, sah und siegte -selbst wenn die Würfel bei den Gesellschaftsspielen noch immer fleißig fallen.

Einmal aussetzen müssen hat am Videosektor noch niemand. Alle großen Spielproduzenten, — Parker, Ravensburger, MB, Schmidt — arbeiten, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, in diesem Bereich. So verursacht die laufende Innovation dem PR-Mann der Parker Spiele, Bodo Bimboese, Kopf schütteln: „Unsere Marketingziele sind auf dem Videosektor innerhalb von zwei Wochen fünf mal nach oben korrigiert worden. Ein vor zwei Wochen erstellter Katalog ist heute nicht mehr aktuell."

So ist etwa ein Spielklassiker nun in der Elektronikausführung erhältlich: „Monopoly". Der Computer entscheidet, spekuliert, trickst Gegner aus Fleisch und Blut aus. Vor allem aber der klassische Markt entwickelt neue Produkte: Strategiespiele, deren Ziel die Ausschaltung des Gegners (oder vielleicht besser: Spielpartners) ist. Interessante Schöpfungen, die auf Widerspruch stoßen.

Die einen meinen, logisches Kombinationsvermögen, das Entwickeln von Strategie und Taktik und ein sinnvolles Hinführen zu Problemlösungen würden dadurch gefördert. Andere sprechen von „faschistoiden Zielen", die „Vernichtung des Gegners und Egoismus" würden dadurch sublimiert. Die Wahrheit dürfte — wie so oft - in der Mitte liegen. Schließlich ist Schach - der traditionsreiche persische Vorreiter der Strategiespiele — in Persien verboten, in Europa ein Klassiker. Schwieriger wird es bei Produkten wie „Risiko": Für den Schreiber dieser Zeilen eine interessante Schöpfung, mehren sich nun in der Bundesrepublik Stimmen, die das Spiel gerne in die Liste der „Jugendgefährdenden Schriften" aufgenommen wissen wollen. Begründung: Die Auf gabenkarten sprechen von „Erobern Sie Südamerika und Asien und einen Kontinent Ihrer Wahl". Das lasse unangenehme Erinnerungen aufleben. Der Hersteller, Parker, schaltete schnell: Er änderte die Regeln. Auf den Aufgabenkarten ist das Wort „erobern" durch „befreien" ersetzt. In Österreich wurden bereits mehrere tausend Stück von „Risiko" abgesetzt.

Schlimm wird es bei Erzeugnissen wie „Provopoli", ein als Satire gedachtes Gegengewicht zum „Kapitalisten-Klassiker Monopoly". Von der Redaktion eines linken Magazins entwickelt, entpuppt sich für viele Pädagogen in „Provopoli" eine Aufforderung zum Terrorismus. Text einer Ereigniskarte: „Entführen Sie den Polizisten Nr. 3 und bringen Sie ihn in die rote Parteizentrale. Verhandeln Sie anschließend über die Freilassung eines inhaftierten Genossen." Der Autor testete das Spiel: Er bekam die roten Steine, Vertreter der Anarchistenszene; der Partner ist blau, die Staatsmacht.

Polizist Nr. 3 wurde entführt, Blau schmuggelte indessen einen Sprengkörper in die rote Parteizentrale (auch Bomben und Straßensperren sind als Plastikfiguren für den Spielzweck einzusetzen). Da noch verhandeln? Solche Extrem(isten)beispiele sollen nicht über die pädagogischen Aufgaben — selbst unter Erwachsenen — von Spielen und Verspieltem hinwegtäuschen: Ein Ziel von Ravensburger. Der deutsche Riese unter den einschlägigen Produzenten feiert sein 100. Jubiläum.

Neu von Puzzle-Spezialist Ravensburger: ein 12.000-Teile-Puzzle, das Hyronimus Bosch „Die Versuchung des Heiligen Antonius" abbildet. Die süddeutsche Firma ist überhaupt sehr rührig bezüglich Spielen, die gleichermaßen für Erwachsene und Kinder geeignet sind. „Hase und Igel", eines der intelligentesten Spiele auf dem Markt, erhielt 1979 von einer deutschen Journalistenjury das Prädikat „Spiel des Jahres". Das wesentlichste Merkmal des graphisch buchstäblich fabelhaft gestalteten Brettes: Der Langsamere gewinnt.

Wer bedächtig langsam voranschreitet, verbraucht weniger Karotten. Und die sind wichtig: Hier wird nicht gewürfelt, sondern mit Karotten gefahren. Für jedes zurückzulegende Feld muß eine gewisse Anzahl Vitamine bezahlt werden. Wer große Sprünge machen will, muß aufpassen, denn die Kosten für mehrere Felder steigen unverhältnismäßig schnell. Wem da der Biosprit ausgeht, muß zurück zu einem Igelfeld, neue Karotten kassieren und weiterziehen.

1982 erhielt „Sagaland" die begehrte Auszeichnung. Die Spieler müssen im Wald nach Gegenständen aus der Fabelwelt suchen und dem König Bericht erstatten: eine Mischung aus „Mensch-ärgere-dich-nicht" und „Memory". Während Kinder die bessere Merkfähigkeit aufweisen, machen sich die Erwachsenen systematisch an die Arbeit, — die Chancen bleiben für alle gleichermaßen gewahrt.

Abseits der Märchenwelt zeichnen sich in Nürnberg freilich auch Trends ab. Vom Elektronikmarkt abgesehen, ist eine Art „Medienverbund" im Kommen: Die My-stifikations-Fernsehserie „Dallas" hinterläßt auch im Spielesektor Spuren. Ein entsprechendes Spiel verlangt Mißtrauen und Schlitzohrigkeit.

Steven Spielbergs Film „E.T.", die Geschichte vom häßlichsanftmütigen Männchen aus einer anderen Welt, der Freundschaft mit einem Erdenkind schließt, ließ Hersteller auf Lizenzjagd gehen. T-Shirts, Puppen, Brettspiele, Quartette und ein Buch, vom österreichischen Verlag Ueberreuter herausgegeben, sollen dazu beitragen, Marsmenschen gesellschaftsfähig zu machen.

Mitten im kommerziellen Trubel heben sich noch ureigene, verspielte Persönlichkeiten ab: Franz Josef Holler etwa, ein gewichtiger Münchner, der sowohl Spiele aus dem vergangenen Jahrhundert in Originalaufmachung produziert, wie auch kleine, originelle Mitbringsel schöpft. Und Hans-Jörg Nürnberger, der alte Ideen neu zusammenmischt.

Das Ganze vermengt er mit optisch ansprechenden Holzbrettern, das Spielfeld wird mit Siebdruck aufgetragen. Damit und mit seiner Marionettenproduktion verdiente er in drei Jahren durch Heimarbeit zwei Millionen Schilling. Spielen zahlt sich aus.

Die einmalige Investition des Endverbrauchers von 300 bis 400 Schilling durchschnittlich wird durch vergnügliche Abende wieder (buchstäblich) eingespielt.

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