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„Wie lange werden wir hier noch wohnen können?“ Das ist die immer wieder gestellte Frage, wenn sich zwei oder mehr Bewohner des Wiener Rathausviertels treffen.

Das Viertel rund um Rathaus und Parlament droht zu veröden, obwohl es im Paragraph 6 der Wiener Bauordnung ausdrück-

lieh heißt: „Als Wohnungen verwendete Aufenthaltsräume in Schutzzonen dürfen nicht als Büros oder Geschäftsräume verwendet werden.“

„Im Jahre 1960 wohnten in der gesamten Innenstadt noch mehr als 50.000 Menschen. Heute, 20 Jahre später, ist die Bevölkerung auf weniger als die Hälfte ge

schrumpft“, klagt Innenstadt-Bezirksvorsteher Heinrich A. Heinz.

Um den besonderen Charakter der Altstadt, die schönen Bauten der Gründerzeit zu erhalten, wurde das gesamte Gebiet der Wiener Innenstadt am 30. November 1973 einstimmig zur Schutzzone erklärt. Diese architektonisch hervorragenden Häuser sollen jedoch allmählich zu Tintenburgen umfunktioniert werden. Statistische Zahlen untermauern die Sorgen der Bewohner und des Bezirksvorstandes: Mit 18,3 Prozent Bevölkerungsverlust in acht Jahren liegt dieses Gebiet an der Spitze der innerstädtischen Wohnbezirke.

Es hat den Anschein, daß es nicht allzu schwer ist, das Schutzzonengesetz zu umgehen. Unter dem Titel „höherer Bedarf“ können nämlich Wohnungen in Büroräume umgewandelt werden.

So wurden etwa aus dem Haus

Reichsratstraße 9 im Vorjahr die letzten Mieter ausgesiedelt. Dieses Haus liegt direkt hinter dem Parlament und soll nun für die Bedürfnisse der Volksvertretung adaptiert werden.

Allein im Rathausviertel sind in den vergangenen zehn Jahren mehr als 25 Prozent der Wohnhäuser von Banken, Versicherungsgesellschaften und ähnlichen Instituten aufgekauft worden.

Zu oft schon wurden bei Neuerwerb die alten Mieter allmählich ausgesiedelt. Durch die freie Mietzirisvereinbarung ist es in diesem Gebiet sehr oft Familien nicht mehr möglich, den heute verlangten Zins zu bezahlen, was sich jedoch Firmen leichter leisten können.

An der Ecke Stadiongasse 2 wurde etwa vor einem halben Jahr eine große Filiale der Zentralsparkasse eröffnet. Bis auf ei

ne 92jährige Mieterin und ein altes Ehepaar ist dieses Haus von sämtlichen Mietern entleert worden.

„Wir haben keinen Einfluß darauf, ob ein Eigentümer sein Haus vermietet oder leerstehen läßt“, sagte Bezirksvorsteher- Stellvertreter Paul Skorepka.

Es handelt sich in diesem Gebiet keinesfalls um abgewohnte Base- nawohnungen, die den heutigen Mindestnormen nicht mehr ent- -sprechen. Im Gegenteil: Es sind zum überwiegenden Teil größere Appartements von mindestens 100 Quadratmetern Wohnfläche. Die meisten dieser Häuser sind mit Etagen- und Zentralheizung versehen und mit Lifts ausgestattet. Offensichtlich findet auch das Prestigedenken vieler Firmen im „Nobelviertel“ oder dessen Nähe eine Niederlassung zu besitzen, da und dort eine Gesetzeslücke. Dies ließ die Mieten und auch eventuelle Ablösen in unglaubliche Höhen schnellen. Mieter wurden unter Druck gesetzt, frei werdende Wohnungen wurden als Geschäftsoder Büroräume adaptiert, zum Teil in Untervermietung unter persönlichem Namen um ein Vielfaches der früheren Mieten gewinnbringend verwertet.

Unter die Räder kamen ältere

Leute und Familien, die der nervlichen Belastung nicht gewachsen waren und schließlich entmutigt, recht oder schlecht abgefertigt, in andere Bezirke zogen.

Es stellt sich die Frage, ob nicht frei werdende Büroräume wieder in Wohnungen zurückverwandelt werden sollten, ob tatsächlich „höherer Bedarf“ in jedem Fall gegeben ist, ob die vor mehr als zehn Jahren zugestandene Baubewilligung für Büros nicht neuerlich einer strengeren Prüfung unterzogen werden- müßte und wie viele Büros durch Untervermietung entstehen?

Für eine Revitalisierung sind aber jüngeren Familien die Mieten derzeit schon einfach zu hoch. Obwohlgerade dieses Viertel eine ausgesprochen familienfreundliche Wohngegend wäre: der Rathauspark liegt ebenso wie der Volksgarten, zwei bis fünf Gehminuten entfernt.

Diese Chancen nicht zu nützen, dafür aber Pläne für die Verbauung von Grünraum, der Steinhofgründe (FURCHE 45/1981) etwa, zu wälzen, ist kennzeichnend für die offizielle Wohnungspolitik des Wiener Rathauses.

Es mangelt nicht an den Möglichkeiten. Es fehlt der Wille.

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