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Spielraum für Sozialpolitik

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Bevor zum geringeren Wirtschaftswachstum und dessen sozialpolitischen Konsequenzen Stellung genommen werden kann, muß untersucht werden, welcher Art die Energiekrise nun tatsächlich ist. Das ölembargo der arabischen Länder ist nur vorübergehend und somit könnte der Engpaß in der Energieversorgung bald zu Ende sein. Viel nachhaltiger ist die Wirkung der Preiserhöhungen für Erdöl. Für die Wirtschaft der großen Industrienationen war bisher Erdöl die billigste Energiequelle, für das Budget dieser Staaten war es eine reichlich fließende Steuerquelle.

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Bevor zum geringeren Wirtschaftswachstum und dessen sozialpolitischen Konsequenzen Stellung genommen werden kann, muß untersucht werden, welcher Art die Energiekrise nun tatsächlich ist. Das ölembargo der arabischen Länder ist nur vorübergehend und somit könnte der Engpaß in der Energieversorgung bald zu Ende sein. Viel nachhaltiger ist die Wirkung der Preiserhöhungen für Erdöl. Für die Wirtschaft der großen Industrienationen war bisher Erdöl die billigste Energiequelle, für das Budget dieser Staaten war es eine reichlich fließende Steuerquelle.

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Die ölproduzierenden Länder im trauten Verein mit den internationalen öilkonzernen haben nun die Preise für Erdöl und Erdölprodukte enorm in die Höhe getrieben. Die Folge ist eine Verteuerung der Produktionskosten wie auch des Konsums. Der Grad der Belastung richtet sich nach dem Umfang des Verbrauches dieses Kraftstoffes.

Jedenfalls zeigt das Ausscheren Frankreichs aus dem EG-Hartwährungsblock, welche Wirkungen die Preissteigerungen auf die Zahlungsbilanzen der Länder haben.

Aber das ist nur die eine Seite der Wirkungen des kurzfristigen Ölboy-kotts. Die westlichen Industrieländer erkannten, in welche Abhängigkeit sie von ihren öllieferanten geraten sind und sie werden nun alles unternehmen, um ihre eigene Energieversorgung zu verbessern. Speicherkraftwerke, Atomkraftwerke und die Forschung nach anderen Möglichkeiten, wie die Nutzung der Sonnenenergie oder die der Erdwärme, kosten Geld. Die Erschließung neuer Energiequellen ist ein weiterer Faktor des Kostenauftriebes. Die Umstrukturierung der Wirtschaft wird daher ein Nachlassen des Wirtschaftswachstums mit sich bringen.

Der Engpaß in der Energieversorgung wirkte deshalb so drastisch, weil wir unvermittelt und unvorbereitet in ihn gerieten. Aber er Ist nur einer der Engpässe, in welche die Wirtschaft kommen wird, denn die Rohstoffreserven schwinden dahin und die Umweltverschmutzung stellt ihre Probleme. Unsere gesamte Produktionsstruktur, gleichgültig ob an Gutem, Waren und Dienstleistungen,bedarf einer Umstellung. Nicht die Höhe der Wachstumsrate, sondern die Art und Weise der Expansion ist entscheidend: ob sie sich in konventionellen Bahnen bewegt oder zukunftsträchtige Wirtschaftszweige erfaßt und schließlich auch, ob sie dem Wohle des Menschen dient, also die Qualität des Lebens hebt.

Die Zunahme des Bruttosozialproduktes sollte ein echter Gewinn sein und zu einer fortschrittlichen Entwicklung beitragen. Vorläufig ist allerdings eine genaue Abgrenzung zwischen gesundem und schädlichem Wachstum nicht durchgehend möglich. Als „gesund“ ließe sich immerhin alles qualifizieren, was der „Lebensqualität“ dient, dem Menschen kulturell und ästhetisch nützt, ihn auf ein im Gegensatz zum Materiellen auf ein höheres ethisches Lebensniveau stellt, zugleich aber auch die Entwicklungsbedingungen kommender Generationen berücksichtigt. Somit der Umwefltverseuchung und Auspowerung der Güter der Erde entgegenwirkt.

Nun zu sagen, „schädlich“ sei das Gegenteil, hieße übersehen, daß ohne materielle Basis, also rein materielle Besserstellung durch Nutzung der vorhandenen Ressourcen kein qualitatives, das heißt gesundes Wachstum möglich ist. Wie schon betont, läßt sich eben eine klare Trennungslinie zwischen quantitativ und qualitativ nacht ohne weiteres ziehen.

Die Hebung der Lebensqualität kann an sich schon als sozialer Fortschritt betrachtet werden. Es wird immerhin besonderer Anstrengungen bedürfen, damit weiter „der Kuchen entsprechend größer wird“. Wir hätten bald darauf vergessen, daß die Wirtschaft kein „permanentes“ rasches Wachstum kennt, sondern es auch für sie ein Auf und Ab in der Entwicklung gibt. Der Rückgang des Wachstums Wird um so geringer sein, je mehr wir bereit sind, die Leistungen zu steigern und hiefür nicht immer sofort eine überhöhte Rechnung zu präsentieren. Statt größtmögliches müßte bestmögliches Wachstum durch Konjunktursteuerung erreicht werden. Das setzt auch eine entwicklungskonforme Lohnpolitik voraus.

Gelingt es, durch Rentabilitätsmaßnahmen einschließlich steigender Arbeitsproduktivität den Aufwand für die Umstrukturierung der Wirtschaft teilweise aufzufangen und auch die Erhöhung der Lebenshaltungskosten in tragbaren Grenzen zu halten, so bleibt ein entsprechender Spielraum für sozialpolitischen Fortschritt.

Gerade in der kommenden Phase vermehrter wirtschaftlicher Schwierigkeiten wird die Zusammenarbeit der Sozialpartner von größter Bedeutung sein. Die Lohnpolitik der Gewerkschaften kann auf eine stetige Hebung der Lebenshaltung nicht verzichten. Da sie von einer kontinuierlichen Wachstumsrate abhängig ist, müssen die Anstrengungen dahin gehen, wirtschaftliche Expansionen in vernünftigem Rahmen aufrechtzuerhalten.

Ebenso werden die Sozialverpflichtungen des Staates weiter anwachsen — aber auch sie müssen im Einklang mit dem Wirtschaftswachstum stehen.

Natürlich könnten in der jetzt beginnenden Phase der Entwicklung sozialpolitische Forderungen erfüllt werden, die sozusagen „nichts kosten“, aber deren gibt es wenige.

Die betriebliche Mitbestimmung ist über die parlamentarische Bühne gegangen. Es bestünde nun die Möglichkeit, sie mit echtem Leben über den Rahmen des Gesetzes hinaus zu erfüllen. Unter Umständen wird ideeller Fortschritt mehr gewertet als materieller.

Prioritäten zu setzen ist schwer. Soweit sozialpolitische Gesetzentwürfe vorliegen oder Lohnverhandlungen laufen, wäre es nicht opportun, in den Gang der Verhandlungen durch einen Diskussionsbeitrag einzugreifen. Was darüber hinaus kommen wird, hängt von der labilen wirtschaftlichen Entwicklung der nächsten Zukunft ab.

Jedenfalls kann es ein Nullwachstum weder für die Wirtschaft noch für die Sozialpolitik geben.

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