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„Spinnen die Steirer?

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„Hätten wir nicht bis zum Exzeß gewirbelt“, kommentiert der steirische Landeshauptmann Josef Krainer die mit dem Bund ausgehandelte Sonderförderung für die Obersteiermark, „hätten wir nichts bekommen. Gar nichts.“ Markige Worte aus der „Grünen Mark“, die gegen Benachteiligungen ankämpft. Und nicht nur gegen den „Draken“.

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„Hätten wir nicht bis zum Exzeß gewirbelt“, kommentiert der steirische Landeshauptmann Josef Krainer die mit dem Bund ausgehandelte Sonderförderung für die Obersteiermark, „hätten wir nichts bekommen. Gar nichts.“ Markige Worte aus der „Grünen Mark“, die gegen Benachteiligungen ankämpft. Und nicht nur gegen den „Draken“.

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Der steirische Landeshauptmann will einen „Staatsvertrag“ mit der Wiener Regierung schließen; die „Grüne Mark“ pflegt ihre regionale Außenpolitik, von der „Alpe Adria“ bis zur „Trigon“-Veranstaltung; Dra- kenfliegen ist über steirischen Köpfen verpönt, da hilft auch die Berufung aufs staatliche Gemeinwohl nichts; die Mehrheitspartei macht Anstalten, aus ihrer Bundespartei auszutreten.

Spinnen die Steirer? Das „wilde Bergvolk hinter dem Semmering“ gibt den Zentralstellen immer wieder föderalistische Rätsel auf: Wie versteht es seine „Landes-

identität“? Sind die selbstbewußten Gesten „echt“? Was soll der ganze politische Zirkus?

Es ist kein Zufall, daß manche Länder, auch die Steiermark, an neuen Landesverfassungen basteln: Der Zeitgeist strebt zum Dezentralen. Statt Föderalismus, Dezentralisierung, Subsidiarität spricht man heute von Regiona- lismus, Autonomie, regionaler Identität. Seit neuestem ist es sogar wieder erlaubt, das Wort „Heimat“ zu verwenden, das so lange als faschistisches Vokabel diskreditiert war; Dialekte blühen am Schlagermarkt; selbst jugendlich-kritische Menschen tragen Tracht, wenn auch zumeist in irgendeiner absurden Abwandlung.

Die Besinnung auf die nähere Umgebung, auf die Wurzeln in Gemeinde, Region und Land befindet sich im Aufschwung; alles ändert sich so rasch in dieser dynamischen Gesellschaft, daß wir uns, soll uns nicht schwindlig werden, an der engeren Umgebung oder an irgendwelchen vertrauten Dingen der Umwelt festhalten müssen. „In den mannigfachen Formen moderner Vergangenheitszugewandtheit kompensieren wir die belastenden Erfahrungen eines änderungstempobedingten kulturellen Vertrautheitsschwundes“, so sagt es der Sozialphilosoph Hermann Lübbe.

Aber handelt es sich nicht doch um einen überholten Provinzialismus, in einer Welt, die immer mehr verflochten ist und neue Lebens- und Denkdimensionen erfordert? Ist es nicht eine Flucht in die Idylle, der Versuch, sich abzukapseln von jenen Problemen, die nur gemeinsam zu tragen sind, in ganz Österreich, ja sogar über sei-

ne Grenzen hinaus? Ist es nicht das Getue stupider Kraftlackeln, deren kosmetische „Urwüchsigkeit“ bestenfalls auf Touristenfesten imponieren kann?

Tatsächlich droht die Landesidentität der Steirer zuweilen in eine Viennophobie abzugleiten, die zuweilen epidemische Ausmaße anzunehmen scheint: Wien als Metropole, die den südöstlichen Hinterwäldlern den Lebensnerv auszusaugen droht; Wien als Agglomeration von Heuchlern und Meuchlern, die einfallsreich bloß in der Intrige sind. Mit weitausholender Geste werden gleich alle „Ostösterreicher“ in solche Verdächtigungen miteinbezogen. Die Steiermark hat kein ganz unbefangenes Verhältnis zum Staatsganzen, und dafür sollen vier Gründe genannt werden.

Erstens beruht das Landesbewußtsein des Bundeslandes, wie der Historiker Ernst Bruckmüller gezeigt hat, auf jahrhundertelanger Entwicklung; es hat seine Wurzel im Selbstverständnis der Landstände, wobei das sich entwickelnde Landesbewußtsein schon seit dem Beginn der Neuzeit zunehmend auch über die adeligen Gruppierungen hinausgriff.

„Das Landesbewußtsein“, so Bruckmüller, „wies in seiner altständischen Ausprägung ebenso wie in den Landtagen ab 1860 stets eine konservative Note auf, defensiv gegen Zentralismus und verschiedene Formen des .Fortschrittes’, die immer wieder von den Zentralstellen ihren Ausgang gefunden hatten.“ Der Zerfall der Monarchie übertrug den Ländern — in der neuen Verfassung von 1920 — die mittelbare Bundesverwaltung und machte die Landeshauptleute praktisch zu den Nachfahren der landesfürstlichen Statthalter.

Es hängt natürlich von der Begabung des Landeshauptmannes ab, wie diese landesfürstliche Rolle ausgefüllt wird: Jedenfalls hat der „Fürst“ SAutz und Trutz zu bieten wider alle Fremden, seien es nun Türken oder Wiener; er hat „stark“ zu sein, und dazu gehört es sich bisweilen, mit der Faust auf den Tisch zu hauen—Landesidentität heißt auch Wir-Gefühl, und beides zugleich wird mit Sorgfalt gepflegt.

Zweitens hat schon Erzherzog Johann das wienerische höfische Leben als unerträglichen Zwang empfunden und kundgetan, daß ihn der „Steinhaufen Wien“ krank mache; und da der kaiserliche Prinz im Steirischen den Status , eines politischen „Heiligen“ einnimmt, zweifelt niemand an der Berechtigung seiner Aussage, daß nur in den Bergen Kraft und Treue, Gesundheit und Unverfälschtheit zu finden seien.

Besonders grün-alternative Gruppierungen nehmen solche Stimmungslagen neoromantischer Prägung begierig auf: In den Städten herrscht der Verfall; ländliche, natürlich gewachsene Kultur steht der degenerierten, verbetonierten Künstlichkeit urbaner Zivilisiertheit entgegen. Kein Wunder, daß die Steirer — dergestalt von allen Seiten beflügelt -jene verirrten Strategen, die im Lande eine Chips-Produktion aufziehen wollten, eilends verscheucht haben.

Drittens hat es über lange Jahre eine politische Konstellation gegeben, in der sich die Dinge gar wundersam fügten: Der Kampf gegen die Bundesregierung war zugleich ein Mittel zur Stärkung des steirischen „überparteilichen“ Zusammengehörigkeitsgefühls und ein Dienst an der eigenen „Gesinnungsgemeinschaft“ — darum führt die große Koalition auch prompt zur Verschärfung der Probleme. Denn in steirischen Landen sind auch die „Sozialdemokraten“ graugrün —, nicht nur im Gesicht, wenn sie ihren Parteitag mangels Beteiligung abbrechen müssen, sondern auch in Tracht und Gesinnung. Und die Mehrheitspartei poliert mit Sorgfalt ihr Image von der vollständigen Identität von Land, Landeshauptmann, Volk, Volkspartei — und reagiert allergisch, sogar bis hin zum bayrisch animierten Exodus, wenn die politischen Geschehnisse diese Gleichung bedrohen.

Viertens schließlich gerät die Steiermark tatsächlich zunehmend in die Rolle des großen Krisenfalls und des Sanierungsopfers: Mit ihren alten Industriegebieten, ihren ländlichen Abwanderungsgebieten und ihren Gebieten an relativ dichten Grenzen stehen die wirtschaftlichen Indikatoren schlecht, und die Angst steigt, daß eine bundesweite Sanierung, die mit regionaler Rücksichtslosigkeit betrieben wird, zu „Teufelskreisen“ der Verelendung führen könnte: „Slumgebiet Obersteiermark“.

Der „Sog der Großstadt“ zieht alles Zukunftsträchtige an sich, von den hochtechnologischen Industrieansiedlungen bis zum Städtetourismus; die Ausrichtung auf die mitteleuropäischen ‘ Zentren verstärkt sich. Der „grünen Mark“ droht bloß das Museale, der Ramsch, das Unangenehme zu bleiben. Sonderbare Drachenkämpfe dienen dann als Ventil für das aus vielen Problemen gespeiste Gefühl, man stehe „im Eck“ — und dies nicht nur geographisch.

Diese vier Aspekte sind zu berücksichtigen, wenn man die Lage verstehen will. Freilich läßt sich ein Unterschied zwischen „regionaler“ und „provinzieller“ Geisteshaltung deutlich machen: Die Region wahrt ihren eigenständigen Charakter, ohne geistige Barrieren an allen Landesgrenzen zu errichten, sie verbindet Abgrenzung mit toleranter und intellektueller Offenheit. Die Provinz hingegen versumpft in der muffigen Selbstgenügsamkeit, und der geistige Horizont reicht bloß vom aarbehausten Dachstein bis zur welschrieslingträchtigen Weinstraße.

Freilich hat eine gewisse Distanz zu den umtriebigen Geschehnissen der „großen Welt“ auch seinen Wert: Das modische Getöse des Zeitgeistes • wird gedämpft, nicht alle Modernismen müssen miterlitten werden. Denn einen Irrtum sollte man nicht begehen: zu glauben, daß der Provinzialismus per definitionem nicht auch in der Großstadt und deren Umgebung beheimatet sein könnte; daß es nicht auch in den österreichischen „Kernlanden“ Anlaß zum Kampf gegen provin- zialistisches Denken gebe.., daß das geistige Leben nicht zuweilen auch zwischen Wien und St. Pölten Anlaß zum Kotzen geben könnte.

Aber kehren wir nochmals zurück ins Steirerland. Hanns Koren, der verstorbene Volkskundler und Politiker, hat sich über den Begriff „wildes Bergvolk hinter dem Semmering“ immer geärgert; er kam ihm läppisch und unbedacht vor, ärgerlich vor allem dann, wenn ihn die Steirer auch noch als auszeichnendes Lobes- wort verwenden. Und er, der diese Identität des Landes wie kein zweiter verkörperte, redete seinen Landsleuten ins Gewissen: „Mit dem Bekenntnis zu Bundesstaatlichkeit, Föderalismus und Landesidentität darf auf keinen Fall einer der dümmsten Komplexe, der in Österreich seit langem sein Unwesen getrieben hat und gelegentlich gefördert und gepflegt wurde, in Zusammenhang gebracht werden: der Anti-Wien- Komplex.

Wir leben nun einmal in abgestuften Identitätskreisen: in Nachbarschaften, Gemeinden, Regionen, Ländern, Staaten. Solche Bindungen sind nicht einseitig zu gewichten, sondern sie bedingen einander: Gerade wer weiß, wo er steht, kann unbefangen in die Ferne blicken, kann Fremden ohne Vorbehalte begegnen. Der Titel eines Bandes von Korens Reden lautet: „Heimat ist Tiefe, nicht Enge.“

Der Autor ist Dozent am Soziologischen Institut der Universität Graz.

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