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Spionagekrieg: „Olegs“ brachten London Glück

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Zwischen Moskau und London ist der Krieg um angebliche und wirkliche Spione mit einer Schärfe ausgebrochen, die jedes entspannte Verhältnis zwischen den beiden Ländern schonungslos zunichte macht.

Die Briten wiesen letzte Woche 25 Sowjetbürger - Diplomaten, Geschäftsleute und Journalisten —wegen erwiesener Spionage aus. Der Kreml antwortete darauf mit vorher selten gesehener Kompro-mißlosigkeit, indem er zahlenmäßig mit gleicher Münze zurückschlug; was die Briten mit weiteren sechs Ausweisungen beantworteten.

Die Retourkutsche der Sowjets zeigt auch nicht den leisesten Versuch, die Spionageanschuldigung gegen die Gäste zu beweisen und das Gesicht zu wahren. Diese beinharte Reaktion wurde zu allererst durch die Wut über den Absprung eines hohen Geheimdienst-Agenten zu den Briten hervorgerufen.

Dieser Mann, Oleg Antono-witsch Gordjewski, seit 1984 oberster KGB-Mann in Londons sowjetischer Botschaft, hat den Skandal ausgelöst. Nicht umsonst wird sein Wechsel der Seiten als der seit langem größte Coup westlicher Geheimdienste gepriesen:

Gordjewskij hat den Briten nicht nur die wirkliche Identität der mittlerweile verstoßenen Pseudo-Diplomaten, -Journalisten und -Geschäftsleute verraten, sondern auch, welche Person in Londons sowjetischer Gemeinschaft im Dienste des KGB beziehungsweise dessen kleineren Bruders, des militärischen Aufklärungs-Dienstes (GRU), steht.

Gordjewski kennt das gesamte System der britischen Kontaktleute, „Maulwürfe“ in Ministerien, Organisationen und Produktionsstätten, das weite Netz der sogenannten „Illegalen“, das heißt jener Agenten, die vom KGB unter Deckaktivitäten ins Inselreich eingeschleust worden sind. Der Triumph von MI-5 (britische Gegenspionage) ist jedoch kurzlebig: Mit Gordjewskis Asylgesuch verlieren die westlichen Dienste möglicherweise den wichtigsten Informanten im Herzen des KGB.

Der „Fall Gordjewski“ ist so faszinierend, wie ihn kein John Le Carre oder Ian Fleming auszudenken vermag. Sofort nach dem Studium begann Gordjewskis Aufstieg im KGB. Er arbeitete in der Dritten Abteilung des Ersten Hauptdirektorates, welche geheime Operationen in Skandinavien, Großbritannien, Neuseeland und Australien ausheckt und durchführt. Parallel dazu lief die diplomatische Karriere, ab 1966 in der Sowjetmission in Kopenhagen, von 1982 an in London.

Dem dänischen Justizminister Erik Ninn-Hansen verdankte die Öffentlichkeit eine erstaunliche Erklärung: Seit 13 Jahren, vielleicht noch länger, versorgte Gordjewski den dänischen und britischen Geheimdienst mit wertvollem Geheimmaterial. Darüber hinaus gab der Mann gezielte westliche Fehlinformationen an seine Zentrale weiter.

Gordjewski, der „gevifteste sowjetische Diplomat, den ich je getroffen habe, fast zu verwest-licht, um wahr zu sein“, so der britische Journalist Narbrough, war zuletzt möglicherweise der mächtigste sowjetische Geheimdienstmann in Europa, in der Hierarchie der gefürchteten Organisationen nur noch wenige Stufen von Chef und Politbüromitglied Tschebri-kow entfernt.

Was kann einen Privilegierten veranlassen, auf alles zu verzichten und sich auf das lebensgefährliche Spiel eines Doppelagenten einzulassen? Habgier? Frauen (wie teilweise im Fall des UNO-Diplomaten Arkadi Schewt-schenko)? Erpressung? - Sicher nicht! Wohl aber Uberzeugung.

Die Londoner „Times“ malt die ungewöhnlichen Anforderungen dieser Doppel- oder Triple-Rolle als Diplomat, Tschekist und Informator der Gegenseite an Intellekt, Geschick und Nerven aus und gelangt zum Urteil: „Unter solchem Druck in dieser Position zu bleiben, fordert moralische

Stärke und die vollkommene Uberzeugung, daß der Sache zu dienen gerecht ist!“

Der Vorname Oleg scheint die Glücksbezeichnung des ansonsten von Pannen verfolgten MI-5 zu sein. An Zielbewußtsein und Einfluß in der Parteispitze könnte GRU-Oberst Oleg Penkowski das Vorbild sein. 1961 hat Penkowski streng geheime Informationen an MI-5 über Sowjetraketen in Kuba geliefert und namentlich über hundert Spione entlarvt. Der wichtigste sowjetische Doppelagent nach dem Krieg wurde entdeckt, zum Tode verurteilt und 1963 erschossen (obwohl die Gerüchte nicht abreißen, daß der Oberst noch lebt).

Flucht nach Südengland

Anfang der siebziger Jahre ver-anlaßte die Denunzierung des Uberläufers Oleg Ljalin, ein Mitglied des KGB, den damaligen Außenminister Lord Home, 105 sowjetische Diplomaten und Geschäftsleute nach Moskau zurückzuschicken.

In London hat Gordjewski eine wichtige Rolle in der „Affäre Bet-taney“ gespielt, MI-5-Agent Bet-taney bot 1983 dem damaligen höchsten KGB-Mann auf der Botschaft, Arkadi Guk, wertvolles Geheim-Material als Empfehlung für künftige Agententätigkeit in sowjetischen Diensten an.

Offensichtlich auf Einfluß von Stellvertreter Gordjewski fanden die Sowjets das Angebot als zu gut, um nicht „provokativ“ zu sein. Eine potentiell äußerst gefährliche Situation, durch einen Möchtegern-Spion verursacht, war abgewendet. Bettaney wanderte für 32 Jahre hinter Gitter, Guk wurde bloßgestellt und ausgewiesen. Gordjewski stieg zum Hauptstrategen seiner Organisation in Westeuropa auf.

Was zum vorzeitigen Abbruch, zum offenen Seitenwechsel Gordjewskis geführt hat, bleibt im dunkeln. Mitte Juli dürfte etwas eingetreten sein, was die Flucht an einen sicheren Platz im südlichen England unvermeidlich machte. War Moskaus Mißtrauen gegen einen seiner großen Geheimpolizisten geweckt?

Es scheint nicht wahrscheinlich, daß der Ubertritt des westdeutschen Spionagejägers Hans-Joachim Tiedge nach Ostberlin zur Entscheidung Gordjewskis geführt hat. Der notorisch löchrige deutsche Geheimdienst wurde mit Sicherheit nicht über den großen Fisch des MI-5 im KGB-Teich informiert.

Mit Wien, Genf und Berlin streitet London um den zweifelhaften Rekord, größter Tummelplatz sowjetischer und osteuropäischer Agenten in Europa zu sein. Daran hat Frau Thatchers Großreinemachen nichts geändert. Wie es zum Spiel der Spione gehört, werden die Ausgestoßenen bald durch andere Komplizen ersetzt werden. Wird darunter auch ein neuer „Oleg“ sein?

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