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Spontan & bewußt

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Rund eineinhalb Stunden dau- ert die Führung durch die Egon Schiele-Ausstellung in der Wiener Albertina, bei der Schüler und Schülerinnen in kleinenGrup- pen angeregt werden, „Edith Schie- le in gestreiftem Gewand", „Schie- le, ein'Aktmodell vor. dem Spiegel zeichnend" oder die „Wasser- schlangen" des Künstlers eingehend anzusehen und über das zu reden, was ihnen zu diesen Bildern ein- gefallen ist, was sie bei der Be- trachtung dieser Bilder empfunden haben. Mit den Lehrerinnen und Lehrern werden diese Eindrücke dann diskutiert, die Fragen der Schüler werden sachkundig beant- wortet. Der Stoff von Edith Schie- les Kleid kann anhand eines Mu- sters angegriffen, das Zeichnen nach einem Spiegelbild ausprobiert werden. Schieies Mal- und Zeichen- technik, seine Biographie als Anlaß für das Entstehen seiner Werke, die Einflüsse auf andere und die Beein- flussung durch andere Künstler kommen zur Sprache, kunstge- schichtliche Begriffe wie Expres- sionismus oder Jugendstil werden geklärt.

Junge Menschen haben auf diese Weise selbst einen sehr persönli- chen Zugang zum Werk eines Bahn- brechers der Moderne und zu seiner Zeit höchst umstrittenen österrei- chischen Künstlers gefunden. Fern- ab von Kunstlexika und einschlä- giger Fachliteratur werden sie in Zukunft mit seinem Namen eine bestimmte Darstellungsweise ver- binden. Und sie werden vielleicht weiterhin Freude daran entwickeln, auf diese Weise - spontan im eige- nen Erleben, bewußt im Anschauen - Kunstwer- ken zu begegnen: den Funden der Archäologen ebenso wie den monu- mentalen Kirchen und Palästen des Barock, den silbrigschimmernden Prunkharnischen ebenso wie den Grafiken der Mo- derne.

Kindern und Jugendli- chen Hilfen für diesen Umgang mit Kunstwer- ken zu bieten, ist eine der Aufgaben des Museums- pädagogischen Dienstes, einer von Unterrichts- und Wissenschaftsmini- sterium gemeinsam ge- tragenen Einrichtung. Von den dafür ausgebil- deten Mitarbeitern wer- den Studierende der Kunstgeschichte, aber auch anderer Fachrich- tungen, und Lehrerinnen und Lehrer einer Aus- und Weiterbildung un- terzogen, die spezifische Kenntnisse und päda- gogische Voraussetzun- gen für solche vom übli- chen Schema abweichen- de Museumsführungen vermittelt.

„Publikumsarbeit", wie Museumspädagogik eigentlich besser heißen müßte, soll sich aber nicht nur an Kinder und Jugendliche wenden. Ihr Ziel ist es auch, erwachsene Museumsbesucher anzusprechen, darunter auch solche, die norma- lerweise nur selten in Museen oder Ausstellungen gehen. Es gibt be- reits Museen, wie etwa das Museon in Den Haag, in denen festange- stellte Museumspädagogen aus ver- schiedenen Fachbereichen in die Planung der Ausstellungen von Anfang an miteinbezogen sind.Sie sorgen für eine auch dem Laien verständliche Darstellung und Auf- bereitung des Ausstellungsthemas und planen Räume ein, in denen Besucher beispielsweise gezeigte Objekte oder deren Nachbildungen berühren, Materialien in die Hand nehmen und miteinander diskutie- ren können.

Bei einem kürzlich vom Mu- seumspädagogischen Dienst im Wiener Belvedere veranstalteten Barockfest haben Erwachsene die ausgeteilte Schokolade ebenso ger- ne getrunken wie die Kinder.

Im European Museums Network, einem neuen Forschungsprojekt, sind Museen international über Computer zusammengeschlossen. So könnte etwa das „Weltgerichts- Triptychon" des Hieronymus Bosch aus der Akademie der Bildenden Künste in Wien per Bildplatte mit einem Werk desselben Künstlers im Prado von Madrid verglichen wer- den, Werke anderer Künstler zum Thema könnten auf diesem Weg optisch gegenübergestellt werden. ■ Bewußt sei sowohl zuständigen Beamten der beiden Ministerien wie auch den Museumsdirektoren, daß für entsprechend qualifizierte Mit- arbeiter, für Räumlichkeiten und technische Hilfsmittel mehr Geld bereitzustellen wäre, meint Had- wig Kräutler vom Museumspäda- gogischen Dienst.

Aber die notwendige Setzung von Prioritäten in den öffentlichen Sammlungen Österreichs bringe es mit sich, daß die Arbeit für und mit dem Publikum gegenüber baulichen Sanierungen, Aufstockungen bei- Wissenschaftlern und Aufsichtsper- sonen oder bei Ankäufen Nachrang habe.

Ein eben zuende gegangenes Eu- roparats-Symposion in Salzburg hat sich mit den Bedingungen und Entwicklungen der Publikumsar- beit an den Museen als Teil der Kulturpolitik auseinandergesetzt. Als „konstiuierenden Faktor der Museumsarbeit" bezeichnete dort der Leiter der Abteilung Museen im Wissenschaftsministerium, Sek- tionschef Johann Marte, die Mu- seumspädagogik.

Ob dies im Bewußtsein der öster- reichischen Museumsleiter tatsäch- lich ausreichend verankert ist, ver- mag auch Museumspädagogin Kräutler nicht zu sagen.„Museen als Orte des Erlebens"(Marte) se- hen das Publikum mit seinen Wün- schen und Ansprüchen als Partner. Aber diese offenere Haltung ist vor- derhand noch eher rar.

So war erst jetzt, nach vierjähri- ger Zusammenarbeit, bei den Ver- antwortlichen im Wiener Belvede- re das Vertrauen in den Museum- spädagogischen Dienst genügend gewachsen, um der Veranstaltung dieses barocken Festes - ohne Angst um die gezeigten Objekte - zuzu- stimmen.

Eine Ausnahme stellt das Wiener Naturhistorische Museum dar. Schon 1974 war dort der „Kinder- saal" eingerichtet worden, derzeit arbeiten in seiner Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Wissens- vermittlung drei Fixangestellte. Eine notwendige Voraussetzung für die Publikumsarbeit an den Mu- seen stellt deren Verankerung im Gesetz zwecks Berücksichtigung bei der Budgetierung dar.

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