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Sport hat zwei Gesichter

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FURCHE: Pater Maier, wie lange sind Sie schon Spitzensportler-Seelsorger?

P. BERNHARD MAIER SDB: Seit 1982. Ich hatte im Auftrag des Ordens ein Doppelstudium gemacht (Theologie und Sportwissenschaften) — 1972 war es kirchenrechtlich noch möglich, neben Theologie ein zweites Fach zu studieren. Für unser Gymnasium in Unterwaltersdorf brauchte man einen ausgebildeten Sportlehrer. Ich hätte aber nie gedacht, daß so eine Aufgabe auf mich zukommt.

FURCHE: Macht es Ihrer Meinung nach einen Unterschied für Sportler, ob sie zu Olympischen Spielen oder anderen Großveranstaltungen fahren?

MAIER: Einen ganz großen. Olympische Spiele sind für einen Spitzensportler der Höhepunkt schlechthin, das, wofür er so lange trainiert. Einer, der sportliches Talent bekommen hat, viel Zeit investiert und dann eine Medaille erreicht, oder sogar nur die Teilnahme, der zehrt auch in seinem Leben davon.

FURCHE: Gewinnen Sie im Laufe so einer Veranstaltung zu allen Sportlern Kontakt?

MAIER: Zu fast allen. Ich habe jetzt die vierten Olympischen Spiele vor mir. Es ist natürlich am Anfang sehr schwer gewesen. Der Vorteil, den ich hatte, war, daß ich vom Sport doch relativ viel verstanden und daher den Kontakt über den Sport gefunden habe, nicht als Geistlicher.

Manche sind sofort sehr offen, aber man muß sich einen gewissen Stand erarbeiten und vor allem das Vertrauen gewinnen, auch bei Funktionären und Trainern. Das war meine schwierigste Erfahrung 1984 in Sarajevo.

Beim zweiten und dritten Mal kennt man die Funktionäre schon, auch reißt der Kontakt nach solchen Spielen nicht mehr ab.

Seit Calgary sehe ich diesbezüglich keine wesentlichen Probleme mehr. In Calgary haben sicher 80 Prozent der Sportler und Betreuer wenigstens einmal einen Gottesdienst besucht — einmal sogar 100 Prozent, es gab ja auch einen Totengottesdienst für einen Arzt, da waren alle dabei.

Ich halte jeweils Samstag und Sonntag Gottesdienst und versuche, die ganze Woche darauf hinzuarbeiten. Jeden Tag begleite ich eine oder zwei Mannschaften zum Training oder zum Wettkampf, bin also in diesen Wochen fast pausenlos mit den Sportlern zusammen und komme mit allen Gruppen in Kontakt.

FURCHE: Worum geht es vorwiegend bei Ihren Gesprächen mit Sportlern?

MAIER: Uber die persönlichen Probleme will und kann ich nicht sprechen. Man darf sich auch nicht vorstellen, daß die sich bei mir anstellen, und dann laufen die Gespräche ab. In den allermeisten Fällen geht die Kontaktsuche von mir aus. Ich habe bei vielen Sportlern erfahren, daß sie gläubig sind, nur in ihrem Wettkampfgetriebe doch relativ wenig Zeit haben, den Glauben zu praktizieren. Sie verlieren den Glauben nicht, aber sie kommen aus der Übung. Und da versuche ich zu motivieren.

FURCHE: In der Öffentlichkeit entsteht zuweilen der Eindruck, daß Spitzensportler total vom Ehrgeiz zerfressene Menschen sind, denen jedes Mittel recht ist, um zum Erfolg zu kommen...

MAIER: Der Eindruck, der manchmal medial entsteht, ist sicher nicht richtig. Ich habe unter den Spitzensportlern viele wirklich sympathische Menschen kennengelernt. Mit einem der christlichsten habe ich mich in Calgary unterhalten. Pirmin Zurbriggen hat mir gesagt, daß man schon ein Egoist sein muß, um etwas zu erreichen, daß man eine große Portion Ehrgeiz haben muß. Das, würde ich sagen, ist durchaus legitim. Es gibt aber auch sogenannte Erfolgstrainer, die mit allen Mitteln kämpfen. Der Sport hat sicher zwei Gesichter.

FURCHE: Gibt es Sportarten, mit denen Sie Probleme haben?

MAIER: Mit Boxen habe ich grundsätzliche Probleme, vor allem mit dem Profiboxen. Als Jugendlicher habe ich mir auch ganz gerne Boxkämpfe angesehen. Ich Sabe aber dann begreifen gelernt, durch die Beschäftigung mit Sportethik und den Erkenntnissen der Sportmedizin, daß die Zertrümmerung eines Menschen, und zwar dort, wo es um so sensible Dinge wie Gehirn und Sinnesorgane geht, daß dies sinnlos und menschenunwürdig und für mich kein Sport mehr ist. Es gibt diesen Boxsport, und ich kann ihn nicht ändern, aber ich habe Probleme damit — auch mit dem Automobilsport.

FURCHE: Sehen Sie eine völkerverbindende Wirkung der Olympischen Spiele?

MAIER: Die Sportler wohnen im olympischen Dorf beisammen und kennen einander ja vom ganzen Jahr her von Wettkämpfen. Es gibt genug Begegnungsmöglichkeiten. Ich konnte auch als Seelsorger internationale Kontakte mit Südtirolern, Italienern, Spaniern schließen. Man muß das so realistisch sehen, wie es das Zweite Vatikanum gesehen hat, das gesagt hat, daß der Sport ein Anknüpfungspunkt brüderlicher Beziehungen ist. Der Sport und die Olympischen Spiele sind nicht Friedensbringer, sondern Anknüpfungspunkte. Gäbe es sie nicht, wäre die Welt sicher um vieles ärmer.

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