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Sporträtsels Lösung

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In Montreal wurde deutlich, daß außer den USA kein Land des Westens dem unaufhaltsamen Siegeszug der DDR Einhalt gebieten kann. Allenfalls die UdSSR selbst, die Mutter aller kommunistischen Staaten, womit die Frage sich jedoch nur verschärft: was führte zum spektakulären Aufstieg Osteuropas im Sport?

Zwei Beobachtungen seien an den Anfang gestellt. Zunächst: ein Wiedersehen mit Verwandten in der DDR nach längerer Zeit der Trennung. Ein muskelbepacktes, breitschultriges Mädchen begrüßt als erste den Gast; die Mutter im Hintergrund erklärt mehr seufzend als beglückt, dies sei ihre Tochter Maria. Knapp 15 Jahre alt, eine athletische Erscheinung, pausenlos von einer Schulung zur anderen geschleppt und ohne jede Chance, jemals aus eigener Kraft sich loszusagen.

Die zweite: bei 20 Grad Kälte laufen am Ufer des Mures in Rumänien junge Mädchen und junge Männer tagaus, tagein ihre Trainingsstunden ab. Kein Trainer ist zu sehen, sie tun es aus Freude und Hingabe. Solange sie Sport treiben, fragt man nicht nach ihrem „gesellschaftlichen“ Engagement. Im Klartext: Sport ist

an sich schon eine politische Leistung und befreit weitgehend von anderweitiger politischer Indoktrination. Vorwiegend intelligente junge Menschen sind daher — und nicht nur in Rumänien — unter den Sportlern anzutreffen. Statt sich von Doktrinen anöden lassen zu müssen, können sie eigene Leistungen produzieren. Die einzige Leistung, notabene, die in

Osteuropa im Zeichen wirklicher Konkurrenz steht und entsprechenden Lohn verheißt.

Sport als einziges Ventil, durch das der Dampf von Leistungsfreude und Ehrgeiz entweichen kann. Das ist die eine Erklärung und des Rätsels Lösung, warum Osteuropas Menbchen bei Wettkämpfen nicht zuletzt aber auch bei den Olympiaden zunehmend die Spitzenränge besetzen. Hier allein, auf dem Rasen und an den Geräten, kann man wirklich zeigen, was in einem steckt. Hier zählt nicht die Gesinnung und Herkunft, sondern meßbarer Erfolg. Hier ist obendrein der Freiraum des Spiels in einem Staat, der sonst alles mit tierischem Ernst betreibt und regelt.

Eben dieser Staat hat nun das, was allein dem ideologischen Gleichschritt Widerstand leisten könnte, längst in seine Dienste gestellt. Die DDR vorneweg: was ihr auf dem Weg zur politischen Anerkennung jahrzehntelang versagt war, erreichte sie auf dem Umweg über die Wirtschaft und den Sport. Weil fhre Verfemung größer war als die der anderen osteuropäischen Staaten, vervielfältigte sich auch ihr Einsatz auf diesen beiden Gebieten — mit Erfolg, wie man sah und erlebte.

Zuletzt muß natürlich auch an die längst bekannte Tatsache erinnert

werden, daß kein Leistungssportler Osteuropas auch nur annähernd so ettuas wie ein Amateur ist. In den Betrieben werden die Sportler als Ingenieure und Facharbeiter mit guten Gehältern geführt, ohne am Arbeitsplatz mehr als eine Gastrolle zu spielen. Die Studenten der Sporthochschulen stehen unter eisernem Erfolgszwang und müssen noch in einem Alter Leistungen erbringen, in

dem hierzulande längst andere Aufgaben auf sie warten würden. Prämien und Zuwendungen, Renten und militärischer Aufstieg rihne entsprechenden Einsatz in Uniform: dies und vieles mehr machen das sportliche, oft genug unbarmherzige Engagement wiederum so attraktiv, daß es den Staaten Osteuropas auch in Zukunft nicht an Anwärtern auf olympische Ehren fehlen wird.

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