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Digital In Arbeit

Spracharm und bildsüchtig

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Die Bilder der Medien schaffen Lesegewohn-heiten, deren Verweigerung einen aus dem Spiel wirft, zum Privatier macht.

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Die Bilder der Medien schaffen Lesegewohn-heiten, deren Verweigerung einen aus dem Spiel wirft, zum Privatier macht.

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Das neue Design der ORF-Fernsehnachrichten macht auf den ersten Blick einen modernen, weltläufigen Eindruck. In grüblerischen Momenten kann es aber zu kulturanalytischen Interpretationen verführen, werden doch die Nachrichten jetzt, offenbar um bei Gläubigen und Ungläubigen gleichermaßen Akzeptanz zu finden, von Engeln beziehungsweise Astronauten präsentiert. Sie berichten aus dem Weltall, von einer Raumstation. Die Erde, wo das alles passiert, von dem kommentierte Bilder gezeigt werden, liegt tief unten im Dunst, alles höchst naturalistisch und technikpotent.

Suggeriert wird totale Ubersicht, suggeriert wird extreme, unüberbietbar objektive Distanz. Das Volk der Zuseher wird mit emporgehoben, auf gleichsam überirdische Standpunkte, in Sphären, die früher dem Leben nach dem Tode vorbehalten waren. Berichte von den ärgerlichen Details des Daseins sind ins Universum verlagert worden. Bilder tauchen aus dem Nichts auf, anscheinend von überall her. Im Spiel mit Verkleinerungen und Vergrößerungen wird Auffälliges, Zufälliges, Nahes, Fernes, Lächerliches zur Collage einer massenmedial konstruierten Realität.

Inwieweit Gedrucktes dieser Macht der Bilder etwas entgegensetzen kann, scheint nur jene zu bewegen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Die Printmedien in Österreich haben längst einen eigenen Typus des „homo politicus" erzeugt. Wer nicht die Übersicht über die Stories von „Krone", „Täglich alles", „Ganze Woche", „News" und den paar anderen behält, kann

als Teilnehmer des Geschehens nicht mehr ernst genommen werden. Seinen Argumenten fehlt immer irgend etwas. Schlüssiges politisches Denken ist nur mehr als Konsument der großen Massenmedien möglich.

Damit das nicht so auffällt, wird vieles toleriert, was in anderen Branchen verboten ist; zum Beispiel der Verkauf weit unter den Herstellungskosten. Vom Leser werden eigentlich nur noch Spenden verlangt. 70, 80 Prozent der Einnahmen kommen von den Werbekunden. Lesen und Schreiben sind, ökonomisch, also streng genommen, bloß Mittel im Dienste der Werbung, als Umfeld für deren Botschaften. Ermöglicht wird damit immerhin, daß der Medien-

konsum nicht das kostet, was er in steriler Form kosten müßte, was aber kaum wer zahlen würde. Nur sollten die Hauptfinanziers, von denen die Ströme an Werbegeld gelenkt werden (etwa 100 Milliarden Schilling sind es hierzulande jährlich) längst Herausgeberfunktionen haben, um der Transparenz willen. Daß adäquate Rahmenbedingungen für eine differenzierte Mediensituation politisch gefährlich kontraproduktiv wären, gehört zum Grundkonsens; alles hat sich eingependelt, ohne Kartellrecht, mit einem weltweit einmaligen Me-ga-Boulevard, einer nepotistischen Presseförderung und stabil verwobe-nen Monopolen, einschließlich Druck und Vertrieb.

Das Europa der Fernsehbilder macht solche Vorgänge zur generellen Perspektive. Angesichts des glorreichen europäischen Angebots müßten positiv ausgehende EG-Abstimmungen eigentlich Erstaunen erwecken. Nur manchmal, wenn irgendwo Spuren der vielzitierten kulturprägenden Vielfalt bemerkbar werden, blitzen Möglichkeiten auf. Ohne Kabel und Satelliten hätte es Europa leichter. Vergleiche machen nicht glücklich. Um Initiativen in der Produktion geht es trotz Milliardenaufwandes und Nachfrageexplosion kaum irgendwo. Noch nie ist soviel Medienware konsumiert worden; das sich Wiederholende sichert Wachstumsraten. „Produktives" ist der seltene, trostlose Zwänge bestäti-

gende Sonderfall. Wahrscheinlich schafft erst eine Inflation von 500 Sendern, daß das obskure Allgemeine wieder einmal spezieller wird. Interessant werden die Sättigungsgrade. Interessant wird das Zusammenspiel von Linearität und Eruptionen bei der Ausprägung der visuellen Kultur, mit nachhaltigen Rückwirkungen auf die Sprache, auf Rationalität, auf ein Verstehen. Die mediale Durchdringung der Gesellschaft ist irreversibel, offenbar auch die Immunisierung ihrer monströsen Strukturen.

Die Regionalisierung, als angeblicher Gegenpol, folgt kolonialistischen Regeln. Je österreichischer es am Bildschirm zugeht, um so ausgeprägter wird der tanten- und onkelhafte Tonfall; selbst bei Nachrichten gibt es diese Hierarchie. Senioren werden tendenziell als Pflegefälle behandelt, ähnlich wie die Wirtschaft, das ewige Sorgenkind. Freunde des Sports sind den sprachlich-emotio-nellen Eigenheiten der Spezialisten für Fußball, Schifahren, Autorennen, Tennis ausgeliefert. Kultur wird nasal, gedankenschwer, cool präsentiert, fast immer aber gewollt anders. Normalität darf sich nirgends durchsetzen. Bilder werden nur selten alleingelassen, unkommentiert, so als ob ihnen mißtraut würde. Ohne Ton wird vieles aussagefähiger.

Daß Fernsehen nach ästhetischen Kategorien funktioniert, spracharm und bildsüchtig, wird durch Antiquiertheiten ausbalanciert, zum

Beispiel über Sprechweisen, über die Präsenz vertrauter Akteure. Solche Rekonstruktionen von Privatheit verstärken die virtuelle Intimität. Bildschirmfiguren ersetzen die Großfamilie. Die Emotionen werden in einen vormodernen Kontext zurückversetzt. In vielem bilden sich Sehnsüchte nach einer Agrargesellschaft ab, auch nach Analphabetentum. Angst vor Urbanem bleibt spürbar.

Medienpraxis, Medientheorie, Medienkunst gehen sich daher konsequenterweise eher aus dem Weg. Jedes dieser Felder lebt von' seiner Eigendynamik. Medienmacht entzieht sich jedem analytischen Gegenüber. Mediale Wirkungsweisen bleiben Spezialwissen, dessen kommerzialisierbare Teile Verwendung finden. Medienpolitische Tatbestände - „Schlüssel der Macht sind heute die Verteilungsstraktur der Informationen und die Kontrolle des Wissens"; „Souverän ist, wer über das elektromagnetische Spektrum entscheidet" (so der Medienphilosoph Norbert Bolz) - werden eher reaktionslos hingenommen. Die Dinge entwickeln sich. Macht verkörpert sich nicht mehr. Je komplexer die Systeme, desto mehr Macht liegt bei Untergebenen. Macht verteilt sich im Netz. Was getan werden könnte, weiß anscheinend immer der, der es nicht zu tun braucht. Selbstgenügsame Systeme wollen das so. Die herauskommenden Bilder sind von solcher Quantität, daß wie zufällig immer wieder doch Qualität entsteht.

Christian Reder

ist Professor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, Verstand der Lehrkanzel für Kunst und Wissenstransfer, Leiter der Abteilung Visuelle Kommunikation. Mitherausgeber der Stadtzeitung „Falter". Sein Beitrag wurde redaktionell leicht gekürzt

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