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Sprachen im Umbruch

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Die Sprache ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für gegenseitiges Verstehen, das Wort ein Ausdrucksmittel des Geistes und damit auch allen geistigen Wandlungen und Strömungen ausgesetzt. Die „Neue Linke“ sieht die Sprache einerseits als Mittel zur Ausübung und Absicherung von Herrschaft durch Verschleierung und Manipulation an, andererseits, als Strategie der „Aufklärung“, als Voraussetzung zur Beseitigung von Herrschaft In den Hessischen Rahmenrichtlinien für den Unterricht in der deutschen Sprache wird die Deutschstunde zur Magd der Gesellschaftspolitik: „Förderung der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit ist nur durch Beseitigung der gesellschaftlichen Ursachen bestehender Kommunikationsgrenzen möglich.“ Die Wörter ändern ihre Bedeutung und bekommen einen neuen Sinn. Wie weit diese Entwicklung bei uns bereits gediehen ist, zeigt am deut-lichsten ein Vergleich zwischen west-und ostdeutschem Duden. In der neuesten Ausgabe des Leipziger Wörterbuches fehlen 4500 einst gängige Wörter der deutschen Umgangssprache oder sind ideologisch umgefärbt und entscheidend umgedeutet worden.

Die Umwertung aller Werte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat in vielen Sprachen tiefgreifende Veränderungen hervorgerufen, die zum Teil den gesellschaftlichen Wandel widerspiegeln, die zum Teil im politischtechnischen Bereich hegen.

In Griechenland hat man, zum hellen Entsetzen aller Altphilologen, die auf dem klassischen Griechisch beruhende Hoch- und Schriftsprache, die „Katharevusa“, die „Reinsprache“, zugunsten der im Tagesverkehr gesprochenen Volkssprache „Dimotiki“ durch Dekret abgeschafft Beide Spracharten sind aus der „Kini“ hervorgegangen. Die Reinsprache wurde in der Kirche, im amtlichen, schriftlich-geschäftlichen und gesellschaftlichen Verkehr, in einem kleinen Teil der schönen und fast der gesamten wissenschafüiclien Literatur und zum Teil auch in den Zeitungen verwendet In den letzten Jahrzehnten hat sich aber, insbesondere auch in der schönen Literatur, immer mehr die Volkssprache durchgesetzt Sie wird nun auch ausschließlich in den Schulen gelehrt. Diese „Demokratisierung“ der Sprache wirft naturgemäß eine Fülle von Problemen auf, die einigermaßen und mit vielen Einschränkungen zu vergleichen sind mit jenen, die in der deutschen Sprache durch die von Hitler befohlene Abschaffung der Frakturschrift entstanden sind: für die jüngste Generation ist ein Großteil der Bibliothekbestände kaum mehr lesbar.

In England hat man, als Folge der politischen Wandlungen, ein anderes Problem: mehr als zwei Millionen (neu-)englischer Staatsbürger können ihre „Muttersprache“ weder lesen noch schreiben. Für den gesamten englischen Sprachbereich aber bereitet die sich ständig vergrößernde Kluft zwischen dem in England gesprochenen Englisch und dem „Amerikanischen“ Sorge: die Zahl der Amerika-nismen wird immer größer. Hier wird eine Entwicklung vorweggenommen, die durch die politische Trennung auch der deutschen Sprache droht.

Auf der anderen Seite nimmt die Zahl der Anglizismen, vor allem in der deutschen Sprache, ständig zu. Nach einer Untersuchung von H.Fink fanden sich 1963 bei drei untersuchten deutschen Zeitungen vier Anglizismen auf jeder Seite. 1971 waren es nach einer Studie von B.Carstensen und H.G.Meyer bereits zehn und 1975 stellten Studenten des Anglistischen Seminars der Grazer Universität bei der „Presse“ 26 Anglizismen pro Seite und bei der „Kleinen Zeitung“ 16 fest. Dazu ist bedauerlicherweise noch anzumerken, daß in der österreichischen Presse wesentlich mehr Anglizismen verwendet werden als in der westdeutschen.

Die Grazer Studenten haben 32 der gebräuchlichsten Anglizismen 193 Testpersonen vorgelegt Personen ohne Matura gaben für nur 46 Prozent der abgefragten Wörter richtige Definitionen. Maturanten kannten 69 Prozent und Akademiker 77 Prozent. Zu den Anglizismen kommen aber auch noch die zahlreichen PolitrKürzel und der Wörterbrei aus dem Soziologen-Chinesisch: die Sprache wird dadurch weder schöner noch verständlicher.

In Frankreich ist man da viel hellhöriger. Der Franzose hat aber auch viel mehr Gefühl für die Schönheit und die Reinheit der Sprache. Die Academie Francaisesah es immer als ihre_vor-nehmste Aufgabe an, über che Reinheit der Sprache zu wachen, eine Aufgabe, der sich neuerdings auch die Wiener Akademie der Wissenschaften verpflichtet fühlt. /

Seit einigen Jahres gibt es jetzt in Frankreich ein Gesetz, das das traditionelle Französisch gegen modische Einflüsse aus dem Ausland abschirmen soll. Es wendet sich vor allem gegen die immer stärkere Verwendung von Anglizismen, gegen das „Fran-glais“. In Frankreich ist es nun nicht mehr gestattet, ausländische Sprachen im internen Verkehr zu verwenden. Ausländische Begriffe zu benutzen ist vor allem dort verboten, wo es gleichwertige französische gibt. Besonders aber ist man darauf bedacht, englische Bezeichnungen in der Werbung auszumerzen. Ausländische Kritiker befürchten, daß die rigorose Sprachreinigung Ausdruck übertriebenen Nationalgefühls wäre. Wie immer es aber sei, daß Gesetz wirkte wie ein Alarmsignal, einem der wichtigsten Kulturgüter der Nation in Hinkunft mehr Beachtung zu schenken.

Schließlich ist die Sprache nun auch in das Blickfeld der Frauen-Emanzipation geraten. Die höchste Beamtin der Vereinten Nationen, die Finnin Helvi Sipilä,,zog erst vor kurzem gegen jene Vokabeln heftig zu Felde, die ihrer Ansicht nach eine Sprachdiskriminierung der Frauen darstellen. Der „Feuerwehrmann“ soll der „Feuerwehrperson“ weichen, das „Vaterland“ ist verpönt und „Jedermann“ muß sterben. Ob die UN nicht andere Sorgen haben?

Die Emanzipation hat aber auch in der Literatur Einzug gehalten. Beim Literatursymposion „Steirischer Herbst“ plädierte Marielouise Jans-sen-Jurreit für eine Frauensprache, die sich bewußt gegen die der Männer abhebt. Man sprach von der Durchsetzung der Literatur mit „männlichen“ Vokabeln und männlichen Weltverständnis und kritisierte die „Mannla-stigkeit“ der Sprache. Bei allem Verständnis für die Emanzipation der Frau, für ihre Gleichberechtigung in Beruf und Alltag, die sich dann und wann auch gegen sie auswirken kann, den „gewissen Unterschied“ zwischen Mann und Frau kann man ja doch nicht leugnen. Der überlieferte Sprachgebrauch ist sich dessen auch bewußt, wenn er vom „Vaterland“ und der „Muttersprache“ spricht.

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