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Sprachspiele, Spannungen

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Der vierzehnte Lese-Wettbewerb um den IngeborgBachmann- Preis wäre zu ruhig verlaufen, hätte es nicht zuletzt noch kleine Skandale und Krisensitzungen der Jury gegeben. Zwei der 22 Teilnehmer mußten ausgeschlossen werden, weil ihre Texte statutenwidrig schon veröffentlicht worden waren.

In öffentlicher Abstimmung wurde der Hauptpreis der 34jährigen Birgit Vanderbeke aus Frankfurt/ BRD für ihre Erzählung „Das Mu-

schelessen" zugesprochen. Den Preis des Landes Kärnten erhielt der 46jährige Franz Hodjak aus Siebenbürgen. Den dritten Preis bekam der 38jährige Wiener Ludwig Roman Fleischer für einen Ausschnitt aus seinem Roman „Rakontimer" .

Er war der einzige Österreicher, der überhaupt in die engere Wahl gelangte. Drei Stipendien gingen an die bundesdeutschen Autorinnen Ingeborg Harros, Cornelia Manikowsky und Pieke Biermann.

War Franz Hodjak nur deswegen nicht der Hauptpreisträger, weil die Juroren befürchteten, man würde ihnen unterstellen, daß sie einen Ost-Bonus berechneten? Gab es diesmal aus demselben Grund keinen Preis für die DDR, die in den letzten vier Jahren jeweils den Hauptpreis errungen hatte?

Bis in die Schlußrunde kam immerhin der 37jährige Reinhard Jirgl aus Ost-Berlin, der vier Romane in · der Schublade hat, sein fünfter wird demnächst im Aufbau- Verlag erscheinen. Jirgl hat schreckliche Alpträume zu Papier gebracht: „Im offenen Meer" geht es um Gewalt gegen Tiere, gegen Menschen, im würgenden Dunst einer Fleischkonserven-Fabrik wird Tier- und Menschenfleisch für den Export verarbeitet.

Fühlbar waren Spannungen zwischen DDR-Juroren: Helga Schubert, inzwischen Pressesprecherin des „Runden Tischs" in Ost-Berlin, freute sich über die Entwicklung, Walter Liersch vom DDR-Schriftsteller- Verband, wirkte unsicher und verzagt.

Mag es auch schwierig sein, aus Roman-Bruchstücken odt!r aus esoterischen Text-Abschnitten spontan' Schlüsse zu ziehen, so folgten die Juroren sprachlichen Wagnissen doch mit großer Aufmerksamkeit. Sowohl die in Amerika lehrende Ing????borg Harros, die ihren flimmernden und changierenden Text mit allerlei Yuppie-Vokabular angereichert hatte, als auch die nach West-Berlin zugezogene Pieke Biermann, die das aktuelle Ber

Berlinerisch virtuos und stichhaltig beherrschte, konnten Stipendien erringen

Sprachspielerisch war auch der Text von Ludwig Roman Fleischer, der schon früh mit tschechischen, ungarischen, jiddischen Akzenten in Berührung gekommen war, diese mit wachen Ohren gespeichert hatte. Daraus zieht er den Witz seines Porträts eines „schlampigen Genies", das sich durch die Zeiten seit 1 9 1 8 schwindelt

Die Hamburgerin Cornelia Manikowsky Jas eine heikle, zarte Liebesgeschichte zwischen einer reiferen Frau und einem nicht ganz erwachsenen Jungen. Die HauptPreisträgerin Birgit Vanderbeke - sie ist 1963 aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelt - erzählt von einem tyrannischen Vater, einem Familien-Ekel, der es mit allen gut meint. In Abwesenheit - vielleicht ist er einem Unfall zum Opfer gefallen? - wird er von seiner Familie „beredet" und verwünscht

Harmlos und wenig nachhaltig waren diese Texte im Vergleich zu Franz Hodjaks „Die Jacke". Sie ist ein Stück Erinnerung, auf ihr haben sich viele Mithäftlinge verewigt. Man tauschte kleine Fetzen aus und nähte sie auf die eigene Jacke. Als

sie dem Erzähler abgenommen und mit Füßen getreten wird, kämpft er nicht um ein Kleidungsstück, sondern um das Gedächtnis der Mitgefangenen. Auf kleinstem Raum wird hier das Leben in der Diktatur gespiegelt, in der sogar Selbstgespräche belauscht werden.

Einmal mehr hat das Gastgeberland Österreich keine erste Besetzung für die Jury. Gegenüber den elegant und klug formulierenden Schweizern Peter von Matt und Andreas lsenschmid (nicht zu reden von Peter Demetz, Karl Corino, Helmuth Karasek) wirkten Heinz Schwarzinger, vor allem aber der Neuling Niels Jensen fehlbesetzt. Jensen ist Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft österreichischer Autoren (IÖÄA) und fungiert wohl auch als Verbindungsmann zur Grazer Autorenversammlung, die jahrelang die Klagenfurter Veranstaltung boykottierte.

Nun nahm, vorgeschlagen von Niels Jensen, der ,34jährige Georg Bydlinski, Vorstandsmitglied der IOA und der Grazer Autorenversammlung, am Lesewettbewerb teil. Bei den übrigen Juroren begegnete er ratloser Ablehnung. Ein Versuch des Brückenschlagens mit unzulänglichen Mitteln scheiterte.

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