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Sprung über den eigenen Schatten

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Die innere Schulreform soll auch das beziehungslose Nebeneinander der einzelnen Unterrichtsfächer überwinden: ein Abschied vom oft sehr einseitigen Spartendenken.

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Die innere Schulreform soll auch das beziehungslose Nebeneinander der einzelnen Unterrichtsfächer überwinden: ein Abschied vom oft sehr einseitigen Spartendenken.

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Nach dem Abschluß der Strukturreform der Schule steht die „innere Reform" (FURCHE 39/ 1982) auf der Wunschliste. Ein hierbei oft genanntes Stichwort ist das vom „fächerübergreifen-den Unterricht ', der das beziehungslose Nebeneinander der einzelnen Unterrichtsfächer überwinden soll.

Der Zielparagraph für die allgemeinbildende höhere Schule in den Schulgesetzen von 1967 stellte fest: „Das Bildungsziel... kann nur durch planvolles Zusammenwirken aller Unterrichtsgegenstände als Vermittler der Kultur-und Bildungsgüter erreicht werden." Die Praxis in der Schule sieht mitunter anders aus.

„Es gibt Lehrer, die ohne Rücksicht auf andere Unterrichtsgegenstände dui^ch besondere Strenge bei der Leistungsbeurteilung ihr eigenes Fach zum Um und Auf einer Klasse machen. Es gibt Konstrukteure, Ingenieure, Erfinder, die ihr Geistesprodukt der Menschheit aufbürden, ohne sich die Frage zu stellen, ob ihr Werk dem Menschen oder der Mensch dem Werk zu dienen hat", heißt es in einer Studienarbeit der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft (SWA), die konkrete Modelle für die innere Schulreform anbietet.

Und weiter: „Von Galileo Galilei bis Wernher von Braun, von Ovids ,ars amandi' bis zum Pornofilm finden sich genug Beispiele, wo sich ein — gewiß berechtigtes — Werk zum Schaden vieler ausgewirkt hat, weil es unüberlegt in eine unvorbereitete Gesellschaft gesetzt ward... Der ausgebildete Fachmann muß wissen, aus wie vielen Bereichen des Wissens und Könnens sein geschaffenes Kulturgut erwachsen ist und auf wie viele Bereiche es Auswirkungen hat."

Der Unterricht in der Schule hat nicht nur Wissen in bestimmten Fächern zu vermitteln. Er muß auch bestimmte Erziehungs- und Bildungsaufgaben erfüllen, die — als Unterrichtsprinzipien — im Zusammenwirken vieler oder aller Gegenstände bewältigt werden sollen. Dazu gehören die Gesundheitserziehung, die Lese-, Medien- und musische Erziehung, die Politische Bildung, die Sozial-und Umwelterziehung, Sprecherziehung, die Verkehrs- und Wirtschaftserziehung. Das sind durchwegs legitime Anforderungen an die Schule, aber es wäre unmöglich, jedem dieser Anliegen ein eigenes „Fach" zu widmen.

Wie aber sollen sie bewältigt werden, wenn die einen Lehrer „am Bildungsziel aus Bequemlichkeit vorbei" lehren, da es umständlich ist, gemeinsam mit den Kollegen Lehrstoffinhalte zu entwickeln, oder „andere aus geistiger Unbeweglichkeit" wegen ihres unref lektierten Festhaltens an der Tradition, wieder andere „aus Enttäuschung darüber, daß sie kein Echo im Kollegenkreis für

ihre Ideen finden"?

Die SWA-Studie weist darauf hin, daß im Schulunterrichtsgesetz ausdrücklich Klassenlehrerkonferenzen vorgesehen sind, die „den Willigen für die Durchführung ihrer innovatorischen Pläne helfen, die geistig weniger Beweglichen aufwecken, die Bequemen zur Arbeit verpflichten" könnten.

Die Möglichkeit der Klassenlehrerkonferenzen seien noch lange nicht voll ausgenützt, heißt es weiter. „Viel wäre damit getan, am Anfang des Unterrichtsjahres die einzelnen Lehrstoffverteilungen in Klassenkonferenzen auszutauschen, zu besprechen, aufeinander abzustimmen. Jahresschwerpunkte könnten gesetzt, Uberforderungs- und Leerlaufzeiten der Schüler vermieden werden."

Die Autoren geben auch praktische Anregungen:

„Eine Klasse, in der es etwa am mündlichen Ausdruck besonders mangelt, könnte während eines Semesters oder eines ganzen Jahres durch Absprache der Lehrer im Unterrichtsprinzip .Lese- und Sprecherziehung' besonders trainiert werden. Dem Deutschlehrer kommt in diesem Fall zentrale Bedeutung zu, die andern unterstützen ihn durch entsprechende Aufgabenstellung und Bewertungen des mündlichen Ausdrucks auch in ihren Fächern."

Oder ein Modellbeispiel zum Unterrichtsprinzip Politische Bildung — hier könnte die gemeinsame Planung so aussehen:

Kerngebiete sind hier Geschichte und Sozialkunde mit der Behandlung der Entwicklung der politischen Parteien und ihrer Programme, ferner Geographie und Wirtschaftskunde mit den Wirtschaftskonzepten der Parteien und der wirtschaftlichen Lage des Landes in einem bestimmten Zeitabschnitt.

Ergänzend dazu könnten im Deutschunterricht Formen des Gesprächs, der Diskussion und Debatte geübt, Argumentation und Manipulation behandelt werden. Als Lektüre paßte hier Büchners „Dantons Tod" hinein. Im Rahmen der Medienerziehung könnte eine „Club 2"-Diskussion analysiert werden.

Aber auch der Unterricht in Englisch oder Französisch kann mit der Analyse von Zeitungsartikeln oder Politikerstatements mithelfen, der Lateinunterricht mit der Lektüre aus Cicero oder Sallust; im Religionsunterricht sollten Politik und Moral behandelt. Aussagen Jesu daraufhin untersucht werden. Selbst die Bildnerische Erziehung böte einschlägige Themen.

Möglichkeiten zum Zusammenarbeiten gibt es überall — in der Umwelterziehung zwischen Biologen, Chemikern, Geographen, Historikern, Germanisten, beim Bemühen um die Charakterbildung und Werterziehung zwischen Religion und Philosophie, Deutsch und Latein, selbst Musik und Bildnerischer Erziehung.

„Bereicherungen für Wissen und Verhalten der Lehrer durch geistige Kooperation mit Kollegen aus anderen Fächern sind ein gewiß auftretender wertvoller Nebeneffekt, der als reicher Lohn für die paar Stunden der Mehrarbeit für Klassenkonferenzen betrachtet werden darf", meint die Studie abschließend.

Modelle zur inneren Studienreform. Pädagogische Reihe Nr. 6. Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft, Johannesg. 4/1/2/1. 1010 Wien. 1982; 62 Seiten.

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