6841391-1975_46_05.jpg
Digital In Arbeit

Sprung über viele Schatten

Werbung
Werbung
Werbung

OVP-Klubobmann Koren: Prognose ohne Risiko

Photo: Waschel

1976 das Budgetdefizit rund acht Milliarden Schilling ausmachen, in der Bundesrepublik Deutschland dagegen rund 280 Milliarden Schilling. In beiden Staaten diskutiert man bereits das Thema der „Grenzen der Verschuldung“, obwohl selbst diese beiden Extrembeispiele — in der Schweiz nach unten, in Deutschland nach oben — mit der tristen Situation des österreichischen Staatshaushaltes nicht zu vergleichen sind. Gemessen am Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland und an deren Budgetdefizit dürfte das österreichische Defizit im nächsten Jahr nicht über 35 Milliarden Schilling liegen; tatsächlich aber wird es mehr als das Eineinhalbfache des BRD-Defizits ausmachen.

Während man in der Schweiz und in Deutschland Steuersenkungen im Dienste der Konsum- und Investitionsankurbelung ins Auge faßt, geht Finanzminister Androsch in Österreich den entgegengesetzten Weg:

Heftig ins Wanken gerieten bei den Nationalratswahlen am 5. Oktober die ÖVP-Bastionen im „Kernland“ Niederösterreich. Nach der ersten Stimmenzählung am Wahlabend verbuchte die SPÖ ein knappes Stimmenplus, das erst nach der Auszählung der Wahlkarten zu einem nicht minder knappen Stim-menvorsprung der ÖVP korrigiert wurde. Für die sonst so selbstbewußte ÖVP-Führung in Niederösterreich (Trademark: „Die Könner“) war das die zweite Schlappe nach dem ebenfalls enttäuschenden Wahlausgang bei der Landtagswahl vom Juni 1974. Nun, wenige Wochen nach dem 5. Oktober 1975, zog der geschäftsführende Landespartei-obmann der Niederösterreichischen ÖVP, Georg Prader, persönliche Konsequenzen, faßte den einsamen Entschluß, die Parteiführung abzugeben und sich allein auf die Funktionen eines ÖAAB-Landesobmanns und eines Nationalratsabgeordneten zurückzuziehen. Das endgültige Ausscheiden des stets so konsequenten Georg Prader aus dem politischen Leben dürfte mit Ende der laufenden. Legislaturperiode, also 1979, zu'erwarten sein.

Die letzten ÖVP-Schlappen in Niederösterreich sind zweifellos nicht auf zimperliche Machtausübung zurückzuführen. Im Gegenteil: an der Fähigkeit, auch mit knapper Mehrheit ein Bundesland nach eigenen Vorstellungen zu führen, hat es der ÖVP-Spitze in Niederösterreich nie gemangelt. Eher schon am Talent, auch politische Außenseiter anzusprechen, Kontakte mit liberalen Kreisen zu pflegen und — schließlich und vor allem — den gesellschaftlichen Strukturwandel in Niederösterreich auch auf der personalpolitischen Ebene nachzuvollziehen. So kam es, daß das eigene Machtbewußtsein in einem „Mir-san-mir“-Denken mündete und gleichzeitig die Sicht für machtgefährdende Realitäten verstellte.

Ob es politisch richtig und gut ist, daß ein Bauer Landeshauptmann in einem von Arbeitern und Angestellten dominierten Land ist, steht hier vorerst gar nicht zur Debatte. Auch im Mittelindustrie- und Groß-Frem-denverkehrsland Tirol regiert mit Eduard Wallnöfer ein Bauer, und ohne Zweifel so gut, daß fast zwei Drittel aller Tiroler Wähler in seinem Parteilager stehen. Die Frage lautet vor allem, wie beweglich ein Politiker an der Spitze eines Bundeslandes sein muß, um bei der Wähler-Mehrheit das Gefühl zu erwecken, gut vertreten zu sein. Offensichtlich gelingt es Eduard Wallnöfer besser als Andreas Maurer, nach dem Prinzip des „Teilens und Herrschens“ stimmenakkumulierend zu regieren. Wahrscheinlich deshalb, weil er, ähnlich wie einst Josef Krainer in der Steiermark, über die oft engen Parteigrenzen hinaus wirkte und reüssierte. Dem im übrigen sehr durchschlagskräftigen Landeshauptmann Andreas

Maurer scheint es an diesem Talent ein wenig zu mangeln. Sonst hätte ihm beispielsweise der „Fall Kurt Wedl“ in Melk nicht geschehen dürfen; der Fall eines gewiß unbotmäßigen, doch in weiten Kreisen der niederösterreichischen Bevölkerung ob seiner Eigenwilligkeit respektierten Politikers, der schon bei einer Gemeinderatswahl in Melk weit mehr Stimmen als die offizielle ÖVP erhielt. Weil aber der Stab über Kurt Wedl bereits gebrochen war, wollte die offizielle ÖVP in Melk eher einen gestandenen Sozialisten zum Bürgermeister küren als ein ewig ra'isonierendes Enfant terrible aus den eigenen Parteireihen.

Bei der Nationalratswahl vom 5. Oktober verlor die ÖVP in Melk rund sieben Prozent ihrer Stimmen; bei der Gemeinderatswahl am 16. November 1975 wird sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wiederum hinter dem mit einer eigenen Liste kandidierenden Wedl, aber noch vor den Sozialisten, nur zweitstärkste Partei sein. Und der Infight um die Besetzung der Funktion eines Melker Bürgermeisters kann erneut beginnen, wenn nicht endlich Landeshauptmann Andreas Maurer in dieses gefährliche Spiel eingreift. Er wird dazu um so eher gezwungen sein, als er nach Georg Prader nun auch für die Funktion des niederösterreichischen ÖVP-Landespartei-obmanns kandidiert. Gar kein Zweifel, Andreas Maurer wird dieses Amt übertragen erhalten. Er wird dann mit einer so großen Machtfülle ausgestattet sein, daß er — möglicherweise contre cceur — die leidige Melker Affäre ohne Rücksicht auf parteieigene Strömungen lösen können müßte. Das mag ihn dann im eigenen Parteilager möglicherweise Kritik eintragen, für die niederösterreichische Öffentlichkeit aber hätte er gezeigt, wer Herr im Hause ist und daß die niederösterreichische Volkspartei eine durchaus offene Partei ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung