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Staat außer Kontrolle

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Das derzeit so aktuelle Thema der Kontrolle hat eine tiefere Dimension, die in den Gesamtzusammenhang der Demokratiediskussion der letzten Jahre gehört. Ausgangspunkt der Überlegungen, welche durch die Wirklichkeit bestätigt werden, ist, daß mit der Bestellung von Organen durch das Volk — sei es direkt, sei es indirekt — noch nichts über die Qualität der Entscheidungen ausgesagt ist.

Bei derartigen Organbestellungen handelt es sich neben der Personalauswahl um einen Legitimationsvorgang, so daß alle Akte, die von den demokratisch Bestellten gesetzt werden, als demokratisch legitimiert angesehen werden.

Daß dies eine formale Betrachtung ist, zeigt ein Blick auf die möglichen und in der Politik auch angewendeten Verfahrensweisen, um zu einer Entscheidung zu gelangen: Da steht auf der einen Seite das ernste Bemühen um den Kompromiß, auf der anderen der Abbruch des Gesprächs unter Einsatz der Mehrheit.

Unter der Herrschaft des Mehrheitsprinzips als der größtmöglichen Annäherung an das Prinzip der Freiheit erscheint es daher wichtig, daß die Entscheidungen auch kontrolliert werden können; dabei sollte neben der Rechtmäßigkeit auch die Sachgerechtigkeit der Lösung zur Sprache kommen können.

Bekannt ist die Unterscheidung zwischen Kontrolle von innen und Kontrolle von außen. Ein Beispiel für den erstgenannten Fall ist — außer behördeninternen Revisionen — die Teilhabe aller ins Parlament berufenen Parteien am Ent-scheidungsprozeß im Wege einer Konzentrationsregierung.

Jedenfalls wäre nach dieser Auffassung der Schwerpunkt von einer Gewaltentrennung, die im Verhältnis von Parlament und Regierung (Verwaltung) ohnedies „leerläuft" und im wesentlichen nur mehr der Abgrenzung der Justiz von der Verwaltung dient, auf eine Gewaltausübung aller durch Wahl legitimierten Kräfte zu verlegen.

Derartigen Vorstellungen steht die klassische Fremdkontrolle gegenüber, die im wesentlichen repressiver Natur ist. Die Phänomene sind bekannt: Das Grundmuster ist im politischen Bereich das Westminstersystem, in dem Regierung und Opposition einander gegenüberstehen; dabei wird die sogenannte politische Kontrolle der Regierung mit letztem Ernsi nur von der Opposition ausgeübt.

Ergänzend tritt dazu die Rechnungskontrolle, etwa durch einen Rechnungshof als Hilfsorgan des Parlaments. Auf der anderen Seite steht die Rechtskontrolle durch Verfassungs- und Verwaltungsgericht, die ebenfalls von größter Bedeutung ist.

In den meisten Fällen handelt es sich allerdings um Kontrolle bereits gesetzter Akte. Kontrollthema ist — abgesehen von der politischen Kontrolle — in der Regel die Rechtmäßigkeit, nur bei der Rechnungskontrolle geht es auch um Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Schließlich richten sich die traditionellen Kontrollinstrumente in aller Regel gegen den Staat und nicht gegen gesellschaftliche Großorganisationen, sofern diese nicht durch Gesetz nach Organisation und Funktion genau geregelt sind.

Daß dem Verfassungsgericht und seiner Kontrolltätigkeit ganz besondere Bedeutung zukommt, leuchtet ein. Da die österreichische Bundesverfassung ein relativ dichtes und präzises Regelungswerk ist, ist der Interpretationsspielraum in der Regel etwas geringer als bei Verfassungen, die durch Deklarationen, Staatszielbestimmungen und unbestimmte Rechtsbegriffe charakterisiert sind, ganz abgesehen von einer möglichen Verweisung auf überpositive Normen.

Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß es auch bei enger gezogenen Grenzen in die Hand eines Verfassungsgerichts gelegt sein kann, ob es in einer konkreten, durch Interpretationsprobleme gekennzeichneten Situation durch seine Rechtsprechung mehr zur „Systemerhaltung" oder zur „SystemVeränderung" (Ermaco-ra) beiträgt.

Insgesamt rührt ein gewisses Kontrolldefizit in den meisten westlichen Gesellschaften daher, daß die Kontrollsysteme überwiegend auf rechtlich scharf um-rissene Formen staatlichen Handelns, und zwar auf Akte der Hoheitsverwaltung abstellen. Dies führt zu Schwierigkeiten, den Staat dort zu kontrollieren, wo er in der Privatwirtschaftsverwal-♦ung, also „wie ein Privater" tätig wird, aber auch dort, wo er nicht in den typisierten Rechtsformen (Urteil, Bescheid, Verordnung etc.) handelt.

Wohl deshalb ertönte in den letzten Jahren der Ruf einerseits nach forcierter Verrechtlichung der Privatwirtschaftsverwaltung, andererseits nach Schaffung neuartiger Einrichtungen^ was etwa in Osterreich zur Volksanwaltschaft führte. Hier soll ein Organ, das vom Parlament gewählt und diesem verantwortlich ist, neben Funktionen des Verwaltungsservices, ja mitunter des „Advokaten", auch solche eines Kontrollors von Mißständen erfüllen.

Der Autor ist Universitätsprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg, Institut für Verfassungsund Verwaltungsrecht

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