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Staat der Zeloten

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Mit 18 von 120 Knessetabgeordneten spielen die religiösen Kleinparteien Israels Zünglein an der Waage und machen große Politik. Verabschiedet sich der Friede in Nahost?

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Mit 18 von 120 Knessetabgeordneten spielen die religiösen Kleinparteien Israels Zünglein an der Waage und machen große Politik. Verabschiedet sich der Friede in Nahost?

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Der konservative Likudblock Jizchak Schamirs mit seinen Trabanten — der Tchiapartei, der Ze-met und der neuen Moledetpar-tei, die teils für ein Großisrael, teils für einen Arabertransfer eintreten — kommt in der Knesset jetzt auf 47 Mandate.

Die Arbeiterpartei mit ihren Trabanten - der Bürgerrechtspartei Raz, der linkssozialistischen Mapam und der liberalen Schinui — hat insgesamt 49 Mandate. Beide Blöcke brauchen die Religiösen, um eine tragfähige Regierung bilden zu können. Die Gruppe der religiösen Parteien tendiert eher zum Likudblock, mit ihren insgesamt 18 Mandaten spielt sie Zünglein an der Waage.

Die Nationalreligiöse Partei mit fünf Mandaten, die einzige zionistische religiöse Partei in der Knesset, hat mehr oder weniger den militanten Kurs des Li-kud gegenüber den besetzten Gebieten und der seit elf Monaten andauernden Intifada (dem Volksaufstahd der Palästinenser) angenommen. Die Nationalreligiösen wollen ähnlich wie die Ultraorthodoxen eine Reihe von religiösen Gesetzen durchdrük-ken, um den Anliegen ihrer Wählerschaft nachzukommen.

Dabei handelt es sich hauptsächlich um das Gesetz „Wer ist Jude?“, das Juden definieren soll, die ein Anrecht auf Erleichterung bei der Eingliederung als Neueinwanderer erhalten sollen und die laut Rückkehrergesetz bedingungslos nach Israel hereingelassen werden.

Dieses Gesetz erkennt weder die Bekehrung Andersgläubiger zum Judentum durch die liberalen und konservativen Rabbiner an noch andere Funktionen dieser Geistlichen.

Die Ultras stört überhaupt nicht, daß die liberalen oder Reformgemeinden sowie die konservativen Gemeinden heute mehr als 75 Prozent des jüdischen Volkes ausmachen und ein Ignorieren ihrer Geistlichen einen Bruch mit der Mehrheit des Weltjudentums bedeuten würde. Auch die Nationalreligiösen würde das nur wenig stören.

Die drei ultrareligiösen Parteien — die Agudat Israel, die Schas-partei und die Fahne der Thora — sind nicht zionistisch. Das bedeutet, daß sie im derzeitigen Judenstaat keine Lösung für das Judenproblem sehen. Erst mit dem Kommen des Messias werde der von Gott gewollte Judenstaat erstehen. Die Ultras erzwangen schon bei der Staatsgründung vor 40 Jahren eine Befreiung ihrer Talmudschüler vom Militärdienst.

Die sephardische Schaspartei ist mit sechs Mandaten die stärkste der Ultras. Ihr Gründer, der 67jährige Oberrabbiner Ova-dija Josef, segnete bei diesen Wahlen alle, die seine Partei wählten, und hob via Wahlspots im Fernsehen Gelübde jener auf, die eine andere Partei zu wählen sich bereits vorgenommen hat^ ten. Der wahre Ideologe der Schaspartei ist der gemäßigte 91jährige Rabbi Elasar Mena-chem Schach, der als politisch gemäßigt gilt.

Er gründete auch die neue ultrareligiöse Partei Fahne der Thora, um einen Gegenpol zum einflußreichen 87jährigen Rabbi

Menachem Schneerson von Lu-bawitsch, der in Williamsburg sitzt, zu haben. Der Superfalke Schneerson hat sich bei diesen Wahlen der Agudat Israel mit dem Rabbi von Gur an der Spitze angeschlossen. Beide Zeloten versuchen ihren Einfluß auf Agudat Israel geltend zu machen und geben ihre Anweisungen, denen sich die Anhänger diskussionslos fügen.

Während der Likud fast alle Forderungen der religiösen Eiferer akzeptieren kann — auch der Likud ist für das „Wer ist Jude?“-Gesetz —, hat es Schimon Peres mit der Arbeiterpartei schon viel schwerer, Konzessionen zu machen. Erstens sind die Trabanten der Arbeiterpartei nicht blindlings bereit, das „Wer ist Jude?“-Gesetz zu akzeptieren. Und zweitens gibt es in der Arbeiterpartei einen großen Widerwillen gegen den religiösen Zwang, den die Eiferer ausüben.

Religiöser Zwang

Mitglieder der Arbeiterpartei fordern, lieber eine große und starke Opposition zu bilden, als den ständig neu auftauchenden Forderungen der Ultras nachgeben zu müssen.

Der Vorschlag, eine große Koalition zwischen der Arbeiterpartei und dem Likud zu bilden, um innerhalb eines Jahres ein neues Kreiswahlsystem mit Direktwahl des Ministerpräsidenten zu schaffen, ist momentan in weite Ferne gerückt.

Der Likud rechnet sich gute Chancen auf die Ultras aus. Tröstet sich ein Abgeordneter der Arbeiterpartei: „Wir brauchen bei der nächsten Wahl nur 20 Mandate zu verlieren, um dann Zünglein an der Koalitionswaage zu sein und den Kurs diktieren zu können, den wir immer — ohne es zu vermögen — einschlagen wollten.“

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