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Staat schnitzt Bischof

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Ausländischen Journalisten gegenüber gibt er sich trok-ken und schweigsam. Auf offene Konflikte — etwa den „Fall Bulä-nyi“ — angesprochen, reagiert er abweisend.

Dieser Mann, Läszlö Paskai, Koadjutor der ungarischen Erzdiözese Kalocsa (er regiert das Bistum de facto seit Erkrankung des Ordinarius Jözsef Ijjas), wird von den ungarischen Behörden — namentlich vom staatlichen Kirchenamt - als der logische Nachfolger des am 30. Juni dieses Jahres verstorbenen ungarischen Primas und Erzbischofs von Esz-tergom, Kardinal Läszlö Lekai, gehandelt Der Staat ist in diesem Fall gewissermaßen „Bischofsmacher“.

Das staatliche ungarische Fernsehen versäumt kaum einen öffentlichen Auftritt des neuen Vorsitzenden der Ungarischen Bischofskonferenz, die Zeitungen verweisen auf Paskais internationale Reputation — besonders auf des Weihbischofs Auftreten beim jüngsten Dialog zwischen Marxisten und Christen in Budapest. Eine Claque bejubelt „spontan“ das Erscheinen des Bischofs.

Der 59jährige Weihbischof hat auch in der Ungarischen Bischofskonferenz sofort seine Anhänger gefunden, als es galt, nach dem Tode Lekais diesem Gremium ein Oberhaupt zu geben. Nach dem freiwilligen Verzicht auf die Kandidatur für dieses Amt seitens des Bischofs von Pees (Fünfkirchen), Jözsef Cserhäti, war der Weg für Paskai frei. Cserhäti gilt im ungarischen Episkopat als der Erfahrenste im Umgang mit dem Staat.

Cserhäti selbst nahm wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes von einer Kandidatur Abstand. Er wollte auch nicht Anlaß für Streitereien sein, wenn er seinen Anspruch auf das Amt des Vorsitzenden der Bischofskonferenz anmeldete.

Paskai ist bisher bei der Bischofsweihe am 14. September in Wien als Repräsentant der Ungarischen Bischofskonferenz in Erscheinung getreten, war danach zwei Wochen in Rom — ohne vorher konkret über das Ziel dieser Reise sprechen zu wollen. Gegenüber der FURCHE gab er zu verstehen, daß seine römischen Konsultationen nichts mit Sondierungsgesprächen über die Lekai-Nachfolge zu tun hätten.

Aus Rom zurückgekehrt, nahm sich Paskai in Budapest zunächst den „häretischen“ Piaristenpater György Bulänyi (FURCHE 42/86) vor. In einem Gespräch unter vier Augen in der Budapester Katholischen Akademie redete Paskai dem in Wehrdienstfragen aufmüpfigen Bulänyi so ins Gewissen, „wie es der Kirchenamtsleiter Im-re Miklös nicht besser gekonnt hätte“—so Bulänyi gegenüber der FURCHE.

Paskai habe seiner Bitte nach einem Gespräch im Freien — um etwaigen Abhörversuchen zu ent-gegehen - nicht entsprochen. „So konnte kein Gespräch unter Brüdern stattfinden. Und wenn das Gespräch abgehört wurde, hat der Staat sicher nichts an der Haltung Bischof Paskais auszusetzen gehabt.“

Die Kritik Bulänyis am Weihbischof von Kalocsa ist sehr hart. Es gibt aber auch im ungarischen Episkopat Stimmen, die mit den ersten öffentüchen Erklärungen ihres neuen Vorsitzenden nicht zufrieden sind.

Offenbar spürt man in den Worten Paskais doch eine zu große Willfährigkeit gegenüber staatlichen Intentionen. „Lekais Politik der kleinen Schritte soll offenbar zum Trippeln gebracht werden“, meinte ein hoher Repräsentant der ungarischen Kirche gegenüber der FURCHE.

Bei den demnächst beginnenden routinemäßigen Herbstgesprächen zwischen Vertretern des ungarischen Staates und des Vatikans wird zweifellos die Frage der Nachfolge Kardinal Lekais im Mittelpunkt stehen. Es geht dann nicht nur um die Fortsetzung jener prinzipiellen Grundlagen der ungarischen Kirchenpolitik, die von Partei und Regierung auf lange Sicht geplant sind, sondern um jene Person, die eine Durchführung der staatlichen Beschlüsse am ehesten garantiert.

Die ungarische Kirchenpolitik — hat Staatssekretär Miklös unlängst betont — ist nicht an eine Person gebunden, wiewohl mit Kardinal Lakai eine neue Epoche begonnen habe.

Das bedeutet natürlich, daß es der künftige ungarische Primas — falls er eine eigene neue Linie vertreten sollte — besonders schwer mit dem Staat haben wird. Dazu kommt noch, daß viele Gläubige in Ungarn in den sogenannten „geordneten Verhältnissen“, die sich im Laufe der letzten Jahre entwickelt haben, eine besondere Gefahr für die Freiheit der Kirche sehen; zumal die Kirche ständig von Kompromissen abhängig ist.

In der Frage der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen zeigt sich eine besonders tiefe Kluft zwischen dem ungarischen Episkopat und einem Teil der Gläubigen. Ein am 5. November dieses Jahres veröffentlichtes „Bekenntnis“ einer Initiativgruppe von 17 Personen — unter ihnen György Bulänyi, die Pfarrer Läszlö Koväcs, Andräs Gromon, Ferenc Dombi sowie Lehrer, Ingenieure und Techniker — spricht sich entschieden gegen die am 30. Oktober 1986 veröffentlichte Erklärung der Ungarischen Bischofskonferenz aus, in der sich der Episkopat deutlich von jenen abgrenzt, die ein Recht auf Verweigerung des Militärdienstes fordern.

Die ungarischen Bischöfe stünden mit dieser Deklaration „eindeutig im Gegensatz zur Lehre des Konzils“ — heißt es in dem „Bekenntnis“ - sowie ,4m vollen Gegensatz zur Lehre der katholischen Kirche“ (in diesem Zusammenhang wird auf entsprechende Äußerungen der Bischofskonferenzen der BRD, der USA, der DDR, Irlands und der Niederlande verwiesen).

Das „Bekenntnis“ zur Gewalt-losigkeit — es hebt den sofortigen Jubel von Regierungsvertretern über die Bischofserklärung hervor - wendet sich „mit Angst an den Vatikan: Werden die ungarischen Bischöfe auch nach dem Tode Kardinal Lekais die Politik dieser kleinen Schritte fortsetzen?“

Wer immer Lekais Nachfolger sein wird, in kirchlichen Kreisen wird befürchtet, daß es hinsichtlich staatlicher „Zugeständnisse“ an die Kirche künftig Einschränkungen geben könnte.

Der neue ungarische Primas wird sich an bisher getroffene Entscheidungen halten müssen. Sein Weg ist präjudiziell. Mit einem vom Staat geschnitzten Primas wird es die Kirche in Ungarn nicht leicht haben.

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