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Staatliche Hungerkur

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Derzeit verschlingt der Zinsendienst der Bundesrepublik jede siebente Steuermark. Beteiligungen des Bundes sollen verkauft werden, um die leeren Staatskassen zu füllen.

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Derzeit verschlingt der Zinsendienst der Bundesrepublik jede siebente Steuermark. Beteiligungen des Bundes sollen verkauft werden, um die leeren Staatskassen zu füllen.

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Auch der Bundesrepublik stünde eine Abspeckungskur ähnlich wie Großbritannien (vgl. FURCHE 42a/1985) gut zu Gesicht. Denn mit Fug und Recht läßt sich behaupten: Deutschlands größter Unternehmer ist der Bund.

Der fast 600 Seiten starke Beteiligungsbericht des Bundes weist aus, daß der Bund Ende 1983 an nicht weniger als 171 Unternehmen beteiligt war. Diese Unternehmen verfügen über ein Nennkapital von umgerechnet 87 Milliarden Schilling, von dem 48 Milliarden Schilling oder 54,5 Prozent auf den Bund entfallen. Nimmt man die mittelbaren Beteiligungen hinzu, erhöht sich der Gesamtbestand der Beteiligungen des Bundes auf 487 Unternehmen.

Mit einer breiten Palette seiner Unternehmen (sie reicht von A wie Affenzucht bis Z wie Zementhandel) nimmt der Bund erheblichen Einfluß auf das wirtschaftliche Geschehen. Die Förderungsbzw. Produktionsanteile in bestimmten industriellen Produktionsbereichen belegen dies: 50,3 Prozent beim Hüttenaluminium, 36,3 Prozent bei den PKW/Kombi-Wagen, 28,9 Prozent bei der Stromerzeugung und 21,3 Prozent beim Hohlglas. In anderen Bereichen, wie beispielsweise der Stahlerzeugung, liegen die Quoten nicht sehr viel niedriger.

Die herausragende Stellung des Staates wurde seit geraumer Zeit von verschiedenen Stellen kritisiert und ein Abbau gefordert. Bei den Parteien sind es vor allem die CDU/CSU und die FDP, die seit 1983 gemeinsam in Bonn regieren. Hervorgetan hat sich vor allem auch die ASU, die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer e. V., die schon im Dezember 1983 einen umfangreichen Privatisierungsfahrplan vorgelegt hat, in dem 33 privatisierungsfähige Unternehmen aufgeführt sind.

Andere Verbände und Institute, wie der Bund der Steuerzahler, das Institut für Finanzen und Steuern, haben sich ebenfalls für eine stärkere Privatisierung eingesetzt.

Mit dem Regierungswechsel in Bonn im Herbst 1982 wurden diese Forderungen zum politischen Programm. Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 festgestellt: „Eine Wirtschaftsordnung ist um so erfolgreicher, je mehr sich der Staat zurückhält... Wir wollen nicht mehr Staat, sondern weniger.“

Mit der politischen Ankündigung einer Neuorientierung der Beteiligungspolitik des Bundes wurde eine Privatisierungsdebatte eingeläutet, die bis heute die Gemüter bewegt. Die letzte größere Privatisierungsaktion hatte es in den sechziger Jahren gegeben. Im Jahr 1965 hatte der Bund seinen Anteil am größten deutschen Konzern (Energieversorgung), an der VEBA, von 51 auf 43,8 Prozent reduziert.

So hoch war auch noch, als im Oktober 1983 der Beschluß gefaßt wurde, 13,8 Prozent der Bundesanteile zu verkaufen und damit den Anteil auf 30 Prozent zu reduzieren, sodaß der Konzern aktienrechtlich vom Bund unabhängig wurde. Der erklärten Absicht folgte somit ein großer Schritt zur Entstaatlichung.

Der Verkauf der Anteile brachte Finanzminister Gerhard Stoltenberg umgerechnet rund 5,4 Milliarden Schilling in die Staatskasse. Experten schätzen, daß der Verkauf aller Beteiligungen mehr als umgerechnet 140 Milliarden Schilling an Privatisierungserlösen einspielen könnte. Die Größenordnung demonstriert, daß neben der ordnungspolitischen Forderung nach weniger Staat auch handfeste finanzpolitische Aspekte mit im Spiel sind.

Die durch Privatisierung erzielbaren Haushaltsentlastungen sind weitaus größer als die reinen Verkaufserlöse. Denn in der Vergangenheit hat sich der Beteiligungsbesitz des Bundes unter haushaltsmäßigen Gesichtspunkten als eine Nettobelastung erwiesen. Zwar standen dem Bund Dividenden und Gewinnausschüttungen zu, die sich für den Zeitraum 1970 bis 1982 auf insgesamt umgerechnet 17 Milliarden Schilling belaufen. Sie reichten aber nicht aus, die fälligen Kapitalzuführungen im Umfang von insgesamt 46 Milliarden Schilling im gleichen Zeitraum zu finanzieren, so daß ein Nettobelastungssaldo von 29 Milliarden Schilling verblieb.

Noch hält die Privatisierung in der Bundesrepublik einem Vergleich mit dem ungleich forscheren Vorgehen in Großbritannien nicht stand. Aber die Privatisierungsliste von Finanzminister Gerhard Stoltenberg ist lang. Kritik im eigenen Koalitionslager hat der Minister mit seiner Absicht hervorgerufen, eine Teilprivatisierung der Deutschen Lufthansa AG — eine Perle im Beteiligungsbesitz des Bundes — ins Auge zu fassen.

Lufthansa verkaufen

Derzeit ist der Bund an der Lufthansa zu 74,31 Prozent (einschließlich der Anteil seiner Sondervermögen Bundesbahn und Bundespost mit 76,91 Prozent) beteiligt. Eine vollständige Privatisierung aller Anteile würde nach Expertenschätzungen umgerechnet 13 bis 17 Milliarden Schilling erbringen. Eine Reduzierung der Anteile auf 51 Prozent, um Mehrheitsaktionär zu bleiben, brächte immerhin noch geschätzte 4,3 bis 5,6 Milliarden Schilling an Privatisierungserlösen.

In jedem Fall stellt sich aus ökonomischer Sicht die nicht unbedeutende Frage nach der richtigen Verwendung der erlösten Mittel. Schlecht angelegt wären die freiwerdenden Gelder zweifellos, wenn sie statt in produktive ipvestive Verwendungen in den Staatskonsum (Errichtung neuer Planstellen) fließen würden.

Der Autor ist Leiter des Referats öffentliche Haushalte im Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

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