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Stabilisierungsheudielei?

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Die Regierung — dieses Gerücht wird hartnäckig kolportiert — plane, die Preisregelung als populäre Absprungbasis für vorzeitige Neuwahlen zu verwenden. Die ÖVP, so werde es heißen, torpediere die Stabilisierungspolitik, da sie der verschärften Preiskontrolle nicht zustimme und somit deren Gesetzwer-dung, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig sei, blockiere.

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Die Regierung — dieses Gerücht wird hartnäckig kolportiert — plane, die Preisregelung als populäre Absprungbasis für vorzeitige Neuwahlen zu verwenden. Die ÖVP, so werde es heißen, torpediere die Stabilisierungspolitik, da sie der verschärften Preiskontrolle nicht zustimme und somit deren Gesetzwer-dung, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig sei, blockiere.

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Tatsache ist, daß die Fristsetzung für die Parteienberatungen diese Möglichkeit erhärtet. Es ist zwar unwahrscheinlich, daß die Regierung ihre absolute Majorität früher als unibedingt notwendig aufs Spiel setzt — es sei denn, sie rechnet sich zu irgendeinem Zeitpunkt vor Ende der Legislaturperiode besonders günstige Chancen aus, wieder die absolute Mehrheit für weitere vier Jahre erringen zu können. Ob dies mit Hilfe des Preisregelungsgesetzes wirklich möglich sein werde, ist die wirklich offene Frage.

Auf alle Fälle wäre es eine sehr unglaubwürdige Absprungbasis: Wie günstig auch immer die Wahlen für die Regierungspartei ausgehen mögen, mit einer 2-Drittel-Mehrheit — wie sie zum Beschluß von Verfassungsgesetzen vonnöten ist — kann sie bestimmt nicht rechnen. Sie wäre also nach einer Wahl wieder in der gleichen Situation wie vorher.

Doch abgesehen von der politischen Taktik: Sind Preiskontrollen wirklich eine wirksame Inflations-remedur? Alle bisherigen Erfahrungen beweisen das Gegenteil. Solange nicht die Ursachen der Inflation beseitigt sind, können amtliche Regelungen auch nacht helfen. Die Tarif-und Gebührenerhöhungen, deren Zurückstellung auf Herbst die Opposition der Regierung nur mühsam abringen konnte, die aber nur aufgeschoben, nicht aufgehoben sind, beweisen deutlich, daß auch der Staat nur mit Wasser kocht und kein Preisdtktat Preissteigerungen wirklich verhindern kann.

Den eklatanten Beweis liefert Jugoslawien. Dieses Land ist ein sozialistischer Staat ohne Privateigentum an Produktionsmitteln, seine Wirtschaft wird daher nicht von „kapitalistischer Profitgier“ bestimmt. Darüber hinaus wurden schon mehrere Male in den letzten Jahren die Preise „eingefroren“. Fazit: 23 Prozent Jahresinflationsrate, somit also mit Griechenland,

Portugal und Island das Spitzenfeld der europäischen Inflation besetzend.

Der Grund dafür — so versichern die jugoslawischen Wirtschaftsplaner — sei die internationale Rohstoffhausse. Wäre dies die alleinige Inflationsursache und wären Abschaffung der Privatwirtschaft sowie Preiskontrollen ein probates Mittel gegen die Inflation, Jugoslawien müßte sich am hintersten Ende des Preissteigerungskonvois befinden. So aber ist genau das Gegenteil der Fall.

Die gleiche Erfahrung machten auch alle anderen Länder, die ihr Heil bei amtlichen Regelungen suchten. Das beste Beispiel sind die USA, die mit der Preiskontrollpolitik ein totales Fiasko erlitten und diese spät, aber doch über Bord werfen.

Die Inflation ist immer so stark wie ihre Ursachen. Und die Ursachen heißen seit eh und je Nachfrage und Kosten. Während die Rohstoffhausse vor allem nachfragebedingt ist, stellt sich die hausgemachte Inifiation der Industriestaaten —' und sie ist noch immer für das Gros der Preissteigerungen verantwortlich — als kostenbedingt dar.

Mit dem Ruf nach „mehr Staat“ läßt sich also das Inflationsproblem nicht lösen. Jede Inflationstherapie, die sich nicht mit dem Kostenproblem befaßt, ist nur eine Symptomkur, die bestenfalls momentane, nicht aber langfristige Erfolge erzielen kann.

Fragen wir nach den Kostenf ak-'toren, die die Inflation verursachen, so steht an der Spitze die immer stärkere Belastung mit Steuern und Abgaben. Die heute so beliebte und erst in den letzten Tagen wieder in Italien exerzierte Inflationstherapie der Steuererhöhungen heißt daher, den Teufel mit Beelzebub austreiben wollen.

Motiviert wird diese dubiose Stabilisierungsmethode mit Abschöpfung der Kaufkraft, also mit Bekämpfung der Nachfrageinflation.

Nun ist aber die Nachfrageinflation

— soweit sie „hausgemacht“ ist — ein Sekundärphänomen, während als primär die Kosteninflation anzusehen ist. Inflationsbekämpfung durch Steuererhöhung ist daher ebenso eine Symptomkur wie die Preiskontrolle und folglich ebenso zum Scheitern verurteilt — um so mehr, als die primäre Ursache — die Kosten — dadurch erst recht gesteigert wird.

Übermäßige Kaufkraft, die die Wirtschaft nicht verdauen kann und die dann einen inflationsbeschleu-nigenden Nachfrageüberhang produziert, soll man nicht abschöpfen, sondern erst gar nicht entstehen lassen. Damit kommen wir zum nächsten entscheidenden Inflationsfaktor: der Lohnpolitik.

Lohnsteigerungen, die über die Produktivitätssteigerung hinausgehen — und dies war, in den letzten Jahren sehr massiv der Fall —, sind ein empfindlicher Kostenfaktor. Besonders stark wirken sich die Lohnerhöhungen in den arbeitsintensiven Branchen aus — und das sind leider in sehr vielen Fällen gerade jene, die lebenswichtige Güter und Dienstleistungen produzieren. Denken wir dabei nur an die Bauwirtschaft oder an die verschiedenen Professionisten

— vom Installateur bis zum Kraftfahrzeugmechaniker —, deren Preise nach jeder Lohnrunde überdurchschnittlich steigen.

Die Marktsituation erlaubt im allgemeinen keine willkürliche Preisfestsetzung. Die Preise sind heute im großen und ganzen ein Reflex der steigenden Kosten, wobei eine starke Nachfrage — die noch gar

kein Nachfrageüberhang sein muß — die Kostenüberwälzung erleichtert. Man darf aber nicht übersehen, daß der geringe Käuferwiderstand gegen Preiserhöhungen ja erst eine Folge der Inflation, ein Ausdruck der Resignation der Konsumenten, nicht deren Ursache ist.

Eine echte Inflationsbekämpfung muß daher den Hebel bei den Kosten ansetzen. Dies aber bedeutet — und darum können wir uns nicht herumschwindeln — Einschränkungen für uns alle. Wir alle müssen auf kostensteigernde Maßnahmen verzichten, auch wenn sie uns zugute kommen. Es genügt nicht, nach Preisstabilisierung zu rufen, wenn man gleichzeitig drauf und dran ist, kostensteigernde Maßnahmen zu fordern.

Diese Fakten müssen der Bevölkerung klar gemacht werden. Preiskontrollen können bestenfalls eine flankierende Maßnahme zur eigentlichen Stabilisierungspolitik, niemals aber diese selbst sein. Sie in den Mittelpunkt^ der Infla'tionsbekämp-fung unter Hintansetzung der eigentlichen Stabilisierungsmaßnahmen zu stellen, beweist nur, daß die Regierung der Bevölkerung Beruhigungspillen verabreichen, die Inflation hingegen höchstens kurzfristig (bis zum nächsten Nationalratswahltermin) zurückstauen, aber nicht wirklich nachhaltig bekämpfen möchte.

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