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Brandt: eine Fehlbesetzung?
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, war wahrscheinlich bereits die Nominierung Brandts als Kanzlerkandidat ein Fehler. Es ist nämlich der CDU/CSU, nicht zuletzt über den Passauer Zeitungsverleger Kapfinger, durch ständige Angriffe gelungen, Brandt ins Zwielicht zu bringen. (Dabei spielte es keine Rolle, daß Kapfinger selbst eine höchst umstrittene Persönlichkeit ist.) Es ist eine Tatsache, daß bei Befragungen Brandt weit weniger Stimmen in der Bevölkerung für sich hat als seine Partei, während es bei der CDU und Ludwig Erhard gerade umgekehrt ist. Es wäre daher vom
Standpunkt der SPD geschickter gewesen, Fritz Erler zu benennen, der auch in Karlsruhe als Redner durch seine ruhige Sachlichkeit mehr überzeugt hat.
Im Schatten des Labour-Sieges
Ein weiterer Einwand gegen eine SPD-Regierung bietet der Vergleich mit.der englischen Labour-Regierung. War man anfangs geneigt, den Sieg der Labour-Party als ein gutes Omen für die SPD zu werten, so haben die ersten Maßnahmen Wilsons genügt, um die Lage der SPD weniger günstig zu gestalten. Die großen finanziellen Schwierigkeiten,
denen sich England gegenübersieht, gehen ja nicht zuletzt auf die Ankündigung der Verstaatlichung der Metallindustrie zurück, die einen Abzug des internationalen Kapitals und damit den Sturz des Pfunds zur Folge hatte. Es ist nicht schwer, nach diesem Vorbild ähnliches für Deutschland nach einem SPD-Sieg zu prophezeihen, auch wenn die Verhältnisse anders liegen und die SPD gar nicht an Verstaatlichungen denkt. Nichts aber wirkt in Deutschland heute so tödlich, wie eine auch nur angedeutete Gefährdung der wirtschaftlichen Prosperität.
So steht der SPD ein sehr unangenehmer Wahlkampf bevor, der nicht allein mit Siegeszuversicht zu gewinnen ist. Eine Reihe überdurchschnittlicher Wahlsiege bei Landtags- und Kommunalwahlen und die politische Lage haben der SPD unzweifelhaft eine günstige Ausgangslage verschafft. Ihre Haltung war auch in Karlsruhe deutlich von taktischen Überlegungen überschattet, die in einem Wahlkampf, den man auf Sieg anlegt, fehl am Platze sind. Brandts Devise: „Wir wollen regieren, nicht nur mitregieren“, fehlte daher eine erforderliche Glaubwürdigkeit.
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