"Fratelli tutti": Weltverbesserung auf Holzwegen

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Praktisch alle, die sich in Wirtschaft und Politik engagiert um Reformen bemühen, müssten sich durch die neue Enzyklika von Papst Franziskus entmutigt fühlen. Eine kritische Lektüre.

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Praktisch alle, die sich in Wirtschaft und Politik engagiert um Reformen bemühen, müssten sich durch die neue Enzyklika von Papst Franziskus entmutigt fühlen. Eine kritische Lektüre.

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Die Erwartungen an die von Papst Franziskus in Assisi unterzeichnete Enzyklika Fratelli tutti waren hochgesteckt. Wie viele andere versenkte auch ich mich gleich nach Erscheinen neugierig in den Text, war jedoch mit fortschreitender Lektüre davon irritiert und enttäuscht. Es sei mir erlaubt, die formalen wie die inhaltlichen Gründe dafür respektvoll anzuführen.

Zum Formalen: Gerade weil es sich um keinen geschlossenen Text handelt, sondern um eine höchst heterogene Sammlung von Rede-Ausschnitten der vergangenen Jahre hätte das Sammelwerk vor seiner Erhebung in den Rang einer Enzyklika eines sorgfältigen Lektorats bedurft. Ohne dieses Korrektiv wirkt vieles sprunghaft. Es fehlt eine schlüssige Gliederung und die Bereinigung von Redundanzen.

Inhaltlich steht die Grundintention dieser Streitschrift für eine Welt der Geschwisterlichkeit und sozialen Freundschaft völlig außer Streit. Schmerzhaft sind jedoch die Leerstellen fast überall dort, wo es um die Erklärung besorgniserregender Welt-Zustände und deren Ursachen geht. Sosehr nämlich eine allzu einseitig an Finanzinteressen ausgerichtete Wirtschaftsweise ursächlich für viele Fehlentwicklungen ist, so verzerrend ist es, sie für praktisch alles verantwortlich zu machen, was falsch läuft.

Entmutigung der Reformer

Nachdem schon der Satz „Diese Wirtschaft tötet“ aus dem 2013 veröffentlichten Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium für hitzige Diskussionen gesorgt hatte, fiel die Systemkritik diesmal sogar noch schärfer aus – bis dahin, dass sich eigentlich alle, die in Wirtschaft und Politik engagiert um Reformen bemüht sind, entmutigt fühlen müssen. Oder wie anders ließe sich eine auf die Folgen der Coronakrise eingehende Textpassage interpretieren, in der es wörtlich heißt: „Wenn einer meint, dass es nur um ein besseres Funktionieren dessen geht, was wir schon gemacht haben, oder dass die einzige Botschaft darin besteht, die bereits vorhandenen Systeme und Regeln zu verbessern, dann ist er auf dem Holzweg.“ So lesen sich Drohbotschaften, nicht aber Appelle zur realen Verbesserung der Welt.

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