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Stadt der Experimente

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Westlich von Wien (das stets seine Eigengesetzlichkeit in Tradition wie A vantgarde behauptete) stellt Linz einen besonderen Ort künstlerisch-kulturellen A ufbruchs dar. Hier wird im Veranstaltungswesen mit Nachdruck experimentiert, wobei Experimente ganz ähnlich wie in der Wissenschaft das Erproben neuer, bisher noch nicht gewonnener Erfahrungen signalisieren.

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Westlich von Wien (das stets seine Eigengesetzlichkeit in Tradition wie A vantgarde behauptete) stellt Linz einen besonderen Ort künstlerisch-kulturellen A ufbruchs dar. Hier wird im Veranstaltungswesen mit Nachdruck experimentiert, wobei Experimente ganz ähnlich wie in der Wissenschaft das Erproben neuer, bisher noch nicht gewonnener Erfahrungen signalisieren.

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Experimente waren hier die Gründung der heutigen Johannes-Kepler-Universität und ebenso der aus der städtischen Kunstschule hervorgegangenen heutigen Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung. Damit im Zusammenhang ist die bereits kurz nach 1945 in konservativer, der Gegenwartskunst zunächst fast feindlich gesonnener Umgebung ins Werk gesetzte Neue Galerie der Stadt Linz zu nennen, die 1979 im Hochhauskomplex „lentia 2000" ein faszinierend schönes und funktionsgerechtes Domizil fand.

Seitens der jungen, ab 1973 rechtlich anerkannten Gestaltungshochschule aber wurde der neue experimentelle Stil kultureller Aufklärung und Grundsatzüberlegung durch große, exemplarische Ausstellungen vorangetrieben, die internationale Aufmerksamkeit hervorriefen, so zunächst das von Plastikern und Gestaltern aus aller Welt bestrittene „Forum Metall 1977", eine bis heute fortdauernde Freilichtschau großdimensionaler Objekte im Donaupark, die durch enge Zusammenarbeit mit der heimischen Metallindustrie positive Erfahrungswerte eines Symposions zeitigte.

Eine weitere Fortsetzung fand dieser „Forum""Gedanke der Linzer Gestal-•tungshochschule im „Internationalen Forum Design 1980". Wiederum wurde, von der Hochschule selbst sowie von zwei ihr nahestehenden Instituten und der Neuen Galerie, gemeinsam ein universelles Ausstellungskonzept erarbeitet, um den Komplex künstlerischer und industrieller Formgebung in seinen weltweiten Spielarten und scheinbar einander ausschließenden Gegensätzen sichtbar zu machen. Die Architekten-und Designergruppe Haus-Rucker-Co entwickelte eine ästhetisch und funktionell überzeugend geglückte Zelthalle,in der Konzepte, Strömungen und Tendenzen von Design von den ersten Anfängen der industriellen Revolution bis zum Heute ausstellungsmäßig aufbereitet wurden.

Im Verlauf der insgesamt „100 Tage des Forum Design" in Linz gab es bereits ein vielfältiges internationales Echo von Kommentaren und Kritiken, eine Reihe von TV-Filmen wurde an Ort und Stelle gedreht, der Rundfunk, die Tagespresse arbeiteten systematisch ein eher erschreckendes Informationsdefizit der Bevölkerung auf, das freilich auch ein intensiveres Ausstellungsmanagement und Besucherservice erfordert hätte.

Die wissenschaftliche Reflexion der Riesenschau spiegelt sich vorerst im dreitägigen Abschluß-Symposion (25. bis 27. September), zu dem Fachleute aus aller Welt in Diskussionen und Referaten Stellung nahmen, noch deutlicher aber wahrscheinlich im über 700 Seiten umfassenden Gesamtkatalogwerk der Ausstellung, dessen zwei Bände frühestens 1981 die dann wohl aktuellste Basis für weitere Studien und Untersuchungen zum Design-Begriff abgeben mögen.

Ähnlich den Großausstellungen und Symposien der Linzer Gestaltungshochschule (die auch in ihrer Ganzheit auf den neuen Design-Begriff zugeschnitten ist), bedeuten die Internationalen Brucknerfeste der Stadt Linz seit sechs Jahren eine unaufhörliche experimentelle Auseinandersetzung zwischen konservativ-traditioneller Konzertprogrammierung und avantgardistischen Neuerungen. Die Linzer Veranstaltungsgesellschaft (LIVA) hat im Zeitraum von über einem halben Jahrzehnt bisher die weitbesten Großorchester, Dirigenten und Solisten nach Linz gelotst. Man entwickelt hier so etwas wie eine eigene Aufführungskultur für sämtliche Werke Anton Bruckners, des oberösterreichischen Hauskomponisten.

Nicht weniger als hundert Werke seiner Hand haben bis heute noch immer nicht ihre Uraufführung erlebt. Man gründete mit Hilfe verschiedener Mäzene und Institutionen, etwa der österreichischen Akademie der Wissenschaften, ein „Anton-Bruckner-Institut Linz" mit Räumen mitten im Brucknerhaus selbst zur genauen Erforschung sämtlicher mit Persönlichkeit und Werk Bruckners verbundenen Fragen.

Entscheidend ist aber der bewußt gesuchte veranstalterische Kontrast zur wichtigsten Begleitveranstaltung des Internationalen Brucknerfestes, nämlich der „Ars electronica", die 1980 bereits zum zweiten Mal in Linz neueste Tendenzen elektronischer Technologie und Kreativität im Bereich der Musik wie auch der bildenden Kunst und der Literatur auf Demonstrationsbasis erarbeitete.

Schwerpunkte dieses gänzlich neuartigen Veranstaltungsgeschehens waren bisher die beiden „Klangwolken" 1979 und 1980, elektronisch gespeiste Open-Air-Konzerte für Hunderttausende von Menschen, denen eine Bruckner-Symphonie im Donaupark und an verschiedensten Plätzen der Stadt zu Gehör gebracht wurde. 1979 war es Bruckners Achte, heuer die Vierte. Dazu komponiert wurden jeweils gigantische Darbietungen einer Licht- und Objektkunst vor dem Hintergrund des Nachthimmels, der 1980 zur leicht verregneten Kulisse für Otto Pienes „Linzer Sky Symphony" geriet. Dabei hievte man bis zu 60 Meter hohe, mit Helium und Luft gefüllte Plastikhüllen.in die Luft.

Dank massiver Beteiligung des ORF kam es 1980 im Rahmen der „Ars electronica" noch zu zwei weiteren exemplarischen Weltpremieren.

Der Deutsche Klaus Schulze, ein Elektronik-Komponist und Interpret von internationalem Ruf, verwirklichte im Großen Saal des Brucknerhauses eine „Linzer Stahlsinfonie", wobei visuelle Vorgänge und Geräusche der Arbeitswelt aus dem größten Linzer Industriebetrieb, der Voest Alpine, live in den Konzertsaal übertragen und spontan in eine adäquate Musik verwandelt wurden. Dabei ergaben Bild- und Klang- oder Geräuschverarbeitung eine Synthese des vorher scheinbar Unvereinbaren von Kunst- und Arbeitswelt.

Der deutsche Komponist und „Vater" der beiden „Klangwolken", Walter Haupt aus München, dirigierte außerdem auf dem menschenübersäten Linzer Hauptplatz das erste „Mach-Mit-Konzert" für wiederum Tausende vorwiegend junger Menschen, die mit selbstgebastelten Musikinstrumenten sich bemühten, eine graphische Gesamtpartitur - Motto: „Musica crea-tiva"! - nach seinem Willen zu verwirklichen.

Aus derartigen Massenspektakeln, die auch die begeisterte Zustimmung der Kulturpolitiker vom Linzer Bürgermeister über den Landeshauptmann bis zum Unterrichtsminister fanden, darf nicht fälschlich der Schluß gezogen werden, das Bruckherfest brauche demagogische Alibis. Die Gesamtprogrammierung des Festes belehrt eines Besseren - sowohl, was die Zusammenstellung origineller Konzerte und überraschender Workshops als auch kulturell-wissenschaftliche Symposien und aktuelle Ausstellungen betrifft.

Linz lebt also kulturell durch kreative Unruhe. Es bedarf starker Anstöße und es entwickelt allmählich seine künstlerischen Aufbrüche als neues Erkennungszeichen über der schon längst vertrauten Horizontlinie von Industrie und Wirtschaft.

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