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Stadterneuerung ohne Kahlschlag

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Die Stadterneuerung bildet eine der großen Herausforderungen für die Kommunalpolitik unserer Zeit, mit der fast alle europäischen Großstädte konfrontiert sind. Wien ist glücklicherweise eine Stadt, in der trotz der Zerstörung des Weltkrieges und der enormen Bautätigkeit der Nachkriegsjahrzehnte noch sehr viele alte Viertel ihre spezifisch Urbane Qualität bewahrt haben.

Andererseits wären manche Gebiete zweifellos von Verfalls-

erscheinungen bedroht, würde man nichts dagegen unternehmen. Für mich ist Stadterneuerung kein Programm, dem ich mich erst seit meinem Amtsantritt als Bürgermeister widme. Schon in meiner Funktion als Kulturstadtrat war mir die Altstadterhaltung, die Förderung der Renovierung alter Häuser aus den Mitteln des Altstadterhaltungsfonds, eines meiner wichtigsten und zutiefst persönlichen Anliegen, dessen erfolgreiche Umsetzung, dessen Annahme und Weiterführung durch private Initiativen mich mit besonderer Freude erfüllt.

Wer heute mit offenen Augen durch diese Stadt geht, wird in jeder Gasse merken, daß Stadterneuerung längst schon kein Schlagwort mehr ist, sondern lebendige, tägliche Realität.

Die Stadterweiterung in den 60er und frühen 70er Jahren brachte in Wien eine entscheidende Verbesserung der Wohnverhältnisse für Hunderttausende Menschen, die aus Bassenawohnungen in moderne Wohnhausanlagen am Stadtrand gezogen sind. Ohne Zweifel war die Stadterweiterung jener Zeit notwendig, ebenso sicher würde man aber 1 heute manches anders bauen.

Ich habe persönlich nie ein Hehl daraus gemacht, kein begeisterter Anhänger industrialisierter Fertigteilbauweisen zu sein, die allzuleicht zu einer Diktatur des Krans, zu einer Architektur ökonomischer Zwänge führen. Für mich ist die nun vollzogene Wende zur Stadterneuerung auch ein wesentlicher Fortschritt aus der Sicht der Stadtökologie: Die Revitalisierung bestehender Bausubstanz und das Bauen auf kleinen Bauplätzen, in gewachsener Umgebung, bedingen geradezu zwangsläufig auch differenziertere Baumethoden, eine stärkere Betonung des Handwerklichen und einen höheren Stellenwert der Ästhetik — kurz: humanere Bauformen.

Die Aufgaben, die auf dem Gebiet der Stadterneuerung noch vor uns liegen, sind gewaltig. Wenn wir uns für die Realisierung einen Zeitraum von etwa zwanzig Jahren vornehmen, müssen wir mit jährlich rund 13.500 Einzelwohnungsverbesserungen, 3.000 Wohnungszusammenlegungen und 1.000 Totalsanierungen rechnen, die aus öffentlichen Mitteln zu fördern sind. Dazu kommt der Wohnungsneubau, auf den natürlich trotz des Vorrangs für die Stadterneuerung nicht verzichtet werden kann. Das bedeutet, daß wir den Wienern in Zukunft jährlich mehr als 20.000 neue oder erneuerte Wohnungen zur Verfügung stellen werden.

Die neuen Wohnbaugesetze werden die finanziellen Voraussetzungen für die Stadterneuerung in Wien zweifellos verbessern. Dennoch bedeuten sie in meinen Augen erst einen ersten Schritt zur Anpassung des Förderungsinstrumentariums an die Erfordernisse der Stadterneuerung. Besonders wichtig erscheint mir, den Menschen auch steuerliche Anreize zur Eigeninitiative bei der Stadterneuerung zu bieten. Hier werden noch Verhandlungen notwendig sein, eine grundsätzliche Bereitschaft, solche Anreize zu schaffen, wurde mir aber seitens des Finanzministers zugesichert.

Wir haben uns in Wien für die sanfte Stadterneuerung entschieden, ohne Kahlschlagsanierungen ganzer Stadtviertel. Wo immer es möglich und sinnvoll ist, soll die vorhandene Bausubstanz erhalten und im Zusammenwirken mit den Betroffenen saniert werden. Ich habe aber immer betont, daß Stadterneuerung nicht ausschließlich in der Reparatur alter Häuser bestehen kann. Es gibt beispielsweise auch Zinskasernen aus der Gründerzeit, die einfach nicht erhaltungswürdig sind. Stadterneuerung - das bedeutet die Schaffung zeitgemäßer, vollwertiger Wohnungen in einer gewachsenen, Urbanen Umgebung und schließt selbstverständlich auch den Abbruch und Neubau von Häusern ein.

Stadterneuerung basiert auf dem Bekenntnis zur Stadt als einer zutiefst humanen, menschengerechten Umwelt. Ich bin ein leidenschaftlicher Städter, ich liebe Wien und die Wiener, ich möchte in keiner anderen Umwelt leben. Durch die weitere Forcierung der Stadterneuerung wird diese Stadt noch schöner und noch liebenswerter werden. Die Entwicklung der modernen Technik, der Arbeitswelt, der Motorisierung hat für unsere Zivilisation nicht nur materiellen Wohlstand, sondern auch eine Fülle großer Probleme gebracht. Die Stadterneuerung als Besinnung auf ursprüngliche Urbane Werte ist eine der notwendigen Strategien zu deren Bewältigung.

Die Renovierung alter Häuser, die Wiederentdeckung und Betonung der Ästhetik in Städtebau und Stadtgestaltung gehören ebenso dazu wie die Reduzierung der Umwelt- und Verkehrsbelastungen oder die Schaffung von Grünflächen und Parks im dichtbebauten Gebiet. Ich werde als Bürgermeister meine ganze Kraft dafür einsetzen, diese Aufgaben zu bewältigen und zweifle nicht daran, daß dies gemeinsam mit den Wienerinnen und Wienern gelingen wird.

Der Autor ist Bürgermeister von Wien.

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