6929923-1982_25_10.jpg
Digital In Arbeit

Stadtplanung ohne die Kirche ?

19451960198020002020

Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym verwies anläßlich einer Besichtigungsfahrt am Wiener Stadtrand auf grundsätzliche Probleme der Zusammenarbeit.

19451960198020002020

Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym verwies anläßlich einer Besichtigungsfahrt am Wiener Stadtrand auf grundsätzliche Probleme der Zusammenarbeit.

Werbung
Werbung
Werbung

Uber mangelnde Kooperationsbereitschaft der Gemeinde Wien— von der Stadtplanung bis zu den Bezirksvorstehungen — klagt Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym, der für die Bautätigkeit in der Erzdiözese Wien zuständig ist. Die Erzdiözese bekomme keinen Einblick in die Konzepte der Stadtplanung, in der Wiener Raumordnung seien — im Gegensatz zu den Bundesländern und zum Ausland — keine „Vorbehaltsflächen für Körperschaften öffentlichen Rechts” vorgesehen, die dann für den Bau von Kirchen oder Seelsorgezentren in den neuen Wohnsiedlungen am Stadtrand von Wien vorgesehen werden könnten.

Obwohl bis zu 15.000 Menschen diese Satellitenstädte im Nordosten und Süden Wiens, im 10., 11., 12., 21., 22. und 23. Bezirk vor allem, bevölkerten, müßten häufig erst mühselige Verhandlungen mit den Bezirksvertretungen hinsichtlich der Überlassung von Bauplätzen geführt werden, oder würde in schwierigen und kostspieligen Tauschaktionen jahrelang zäh verhandelt. Selbst in dem von Planungsstadtrat Rudolf Wurzer bis zum Jahr 2000 reichenden Stadtplanungskonzept sei nicht an Kirchen oder Seelsorgezentren gedacht!

Diese mangelnde Einbeziehung kirchlicher Stellen ins Stadium der Planung neuer Wohnhausanlagen dieser Größe bringt nach Aussage von Erzbischof-Koadjutor Jachym als großen Nachteil mit sich, daß Kirche oder Seelsorgezentrum fast immer an den Rand der Anlage geraten — wo sozusagen noch Platz ist, also besonders für ältere Besucher von Gottesdiensten oder kleinere Kinder vielfach zu weit entfernt sind, zumal unter den Witterungsverhältnissen in den Wintermonaten.

So ist beispielsweise in Simme-ring das von der Pfarre Altsimmering mitbetreute Seelsorgezentrum St. Josef auf der Heide am Seeschlachtweg völlig außerhalb der neuen Wohnsiedlung zwischen den Glashäusern und Feldern der dort ansässigen Gärtner. Auch dort konnte nur durch den langwierigen Tausch pfarreigener Grundstücke der nötige Bauplatz herbeigeschafft werden.

Ein weiterer Nachteil dieser Vorgangsweise in den Neubaugebieten am Stadtrand ist die zeitliche Verzögerung, mit der die Kirche dadurch in Kontakt zu den Gläubigen kommt. St. Josef auf der Heide beispielsweise wurde 1979 fertiggestellt, die ersten Bewohner der betreffenden Neubauten bezogen 1967 ihre Wohnungen. Auch hat im Wohnpark Alt-Erlaa (23. Bezirk), um ein anderes Beispiel zu nennen, erst vor kurzem der Bau der Räumlichkeiten für diese Sprengelgemeinde begonnen, die Fertigstellung ist bis 1983 vorgesehen, aber die ersten Bewohner zogen bereits 1978 hier ein. Jetzt feiert man Gottesdienst in einem gemieteten Verkaufslokal.

Das entspannte Verhältnis kirchlicher Amtsträger zu den Spitzen der Regierungspartei und zum Bürgermeister der Stadt ist leider noch nicht bis an die Basis von Bezirksorganisationen durchgedrungen, wenn Erzbischof-Koadjutor Jachym als besonders krasses Beispiel der Nichtkooperation auf den bis ins Jahr 1925 zurückreichenden Kampf um einen Baugrund anstelle der Notkirche Zum Heiligen

Kreuz, Laaer-Berg-Straße 222, im 10. Bezirk, verweist.

Die 80 Sitzplätze umfassende Gottesdienststätte ist in Notbaracken aus dem Ersten Weltkrieg (!) untergebracht, deren sanitäre Verhältnisse die Benutzung während der Wintermonate immer wieder in Frage stellen. Die zuletzt geäußerten Bedenken der sozialistischen Bezirksorganisation gegen von der Erzdiözese Wien vorgelegte Pläne mit einem Versammlungsraum unterhalb der Kirche legen allerdings den Verdacht nahe, daß Konkurrenz für parteieigene Versammlungsräume befürchtet wird.

Die Bewohner der neuen Wohnsiedlungen selbst fällen ihre Entscheidung für oder gegen die Kirche jedenfalls in sehr deutlicher Form: der Mehrzweckraum der neuen Pfarrexpositur St. Christoph am Rennbahnweg im 22. Bezirk beispielsweise ist mit seinen 300 Sitzplätzen bei weitem zu klein, 270 Erstkommunikanten und 50 Firmlinge gab es heuer, etwa 10.000 Bewohner hat die Anlage.

Unter städtebaulichen Gesichtspunkten müßte gerade die Wiederentdeckung des Kleinräu-migen, des „Grätzels”, nachdenklich machen, und ein Umdenken im Bereich der Stadtplanung zu locker um zentrale Orte oder Plätze angeordnete Wohnblocks mit sich bringen. Die Nutzung der gestaltenden Wirkung von Kirchen und Seelsorgezentren innerhalb neuer Stadtrandsiedlungen müßte so naheliegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung