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Digital In Arbeit

Ständig droht Ausweisung

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Der Autor dieses Beitrages, seit 1969 Korrespondent der Londoner „Times“ in Moskau, wurde kürzlich aus der Sowjetunion ausgewiesen. Er schildert die Schwierigkeiten, mit denen die Presseleute aus dem Westen bei ihrer Arbeit zu kämpfen haben.

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Der Autor dieses Beitrages, seit 1969 Korrespondent der Londoner „Times“ in Moskau, wurde kürzlich aus der Sowjetunion ausgewiesen. Er schildert die Schwierigkeiten, mit denen die Presseleute aus dem Westen bei ihrer Arbeit zu kämpfen haben.

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Seit ich im März 1969 in der Sowjetunion ankam, habe ich die Ausweisung der Korrespondenten der „Washington Post“, von „La Stampa“, „Aftenposten“, „Newsweek“, des Columbia Rundfunksystems und des „Toronto Telegramm“ miterlebt. Meine eigene Ausweisung ist nur Glied einer systematischen Politik, mit der westliche Journalisten stets zu rechnen haben. Diesen Ausweisungen liegt ein fundamentaler Konflikt zwischen der Arbeitsweise westlicher Journalisten und den sowjetischen Behörden zugrunde. Die Auslandskorrespondenten in Moskau genießen zwar keine diplomatische Immunität, doch werden ihnen gewisse Privilegien und Freiheiten zugestanden, die Sowjetbürger nicht besitzen.

Offiziell sind aber die den westlichen Journalisten in Moskau eingeräumten Arbeitsbedingungen niemals definiert worden. Einem westdeutschen Korrespondenten, der ungefähr gleichzeitig mit mir in Moskau ankam, wurde bedeutet, er dürfe mit keinem sowjetischen Bürger Kontakt aufnehmen, wenn dazu das' Außenministerium nicht ausdrücklich seine Zustimmung gegeben habe. Mir hingegen ist derartiges niemals offiziell oder inoffiziell gesagt worden.

Wie kann man also in einer so unklaren Lage arbeiten? In einer westlichen Hauptstadt nimmt man zunächst Kontakt mit den zuständigen Beamten auf. In Moskau gibt es hingegen keinerlei informelle Kontakte mit sowjetischen Beamten. Hintergrundsinformationen zur Außenpolitik werden von den sowjetischen Beamten grundsätzlich nicht erteilt.

Um überhaupt mit Sowjetrussen über innere und äußere Angelegenheiten diskutieren zu können, ist man auf den Kontakt mit sowjetischen Journalisten angewiesen. Diese aber sind professionelle Propagandisten, die auch nicht die geringste Information ohne Genehmigung von oben preisgeben. Mehr noch, nach meiner und der meisten meiner Kollegen Erfahrung wird man bei solchen Unterhaltungen häufig nicht informiert, sondern irregeführt. Sie werden außerdem dazu benutzt, dem westlichen Korrespondenten Vorhaltungen wegen seiner Berichterstattung zu machen.

Aus diesem Grunde wird oft gefragt, ob es überhaupt Sinn habe, Korrespondenten in Moskau zu unterhalten. Ich glaube dennoch, daß diese Funktion nützlich ist, weil man trotz aller Behinderungen von innen mehr als von außen sehen kann.

Was also kann man machen? Man kann täglich die Presse lesen. Daraus lassen sich oft mehr Informationen gewinnen, als man annehmen möchte, wenn man erst einmal gelernt hat, gewisse Wendungen richtig zu interpretieren. Der Korrespondent hat den Vorteil, daß er gewisse Tatsachen immerhin an Ort und Stelle überprüfen kann, was für den Sowjetologen in London oder Washington nicht möglich ist. Er fühlt die Atmosphäre und wird daher gewisse Irrtümer vermeiden können, die fast unausweichlich sind, wenn man die sowjetische Presse nur im Ausland liest. Allerdings kann der Auslandskorrespondent nur Zeitungen und Zeitschriften abonnieren, die in Moskau erscheinen. Die gesamte Provinzpresse, einschließlich sogar der Leningrader Zeitungen, ist für ihn gesperrt.

Interviews müssen grundsätzlich durch die Presseäbteilung des Außenministeriums oder durch die Presseagentur Novosty organisiert werden. Kein Sowjetbürger wird wagen, in einem solchen Interview auch nur ein Wort zu sagen, das nicht der offiziellen Linie entspricht. Im übrigen machen Interviews geradezu phantastische Schwierigkeiten. Ich wollte einmal einen Beamten finden, der mir genau sagen konnte, wie viele Pelzarten die Sowjetunion exportiert. Die Sache dauerte Monate und als ich schließlich den richtigen Mann gefunden hatte, verweigerte er jede Auskunft. ,

Interviews sind fast unmöglich

Mit solchen absonderlichen Bedingungen würden sich die Korrespondenten noch abfinden, wenn sie nicht durch die Heuchelei der sowjetischen Behörden unerträglich gemacht würden. So wurde einem kanadischen Korrespondenten durch einen Mitarbeiter von Novosty gesagt, es stehe ihm frei, jeden Sowjetbürger zu interviewen, der dazu bereit sei. Der Korrespondent wollte daraufhin ein Mitglied des nichtoffiziellen Komitees für Menschenrechte sprechen. Das wurde ihm prompt abgeschlagen.

Noch immer ist die beste Methode, etwas über die Sowjetunion zu erfahren, das Reisen im Lande. Offiziell könnte man ziemlich viele Orte besuchen. In der Praxis aber ist der Besuch von 95 Prozent der Sowjetunion für Ausländer verboten. Die amerikanische Botschaft zeichnete auf Grund einer offiziellen Sowjetnote 1966 eine Karte, auf der man die Gebiete sieht, deren Besuch erlaubt ist. Entsprechend dieser Karte müßten drei Viertel des Landes für Besuche von Ausländern offenstehen. Offizielle Ausnahmen sind nur Grenzgebiete, wie etwa die baltischen Staaten, wo man nur die Haupstädte besuchen darf. Ferner Gebiete, in denen sich größere Arbeitslager befinden sowie Gebiete von besonderem militärischen Interesse, wie etwa die Städte Gorki und Wladiwostock. Obwohl also der bei weitem größere Teil des Landes als „offenes Gebiet“ bezeichnet wird, muß doch jeder Ausländer damit rechnen, von der Polizei festgehalten zu werden, der dort hinzureisen versuchte. Auf einigen größeren Überlandstraßen, die Ausländer benutzen dürfen, ist es streng verboten, auszusteigen, und sei es auch nur, um Picknick an der Straße zu machen.

Ist dies schließlich gelungen, so kann man mancherlei erleben, wovon man in Moskau nie etwas hört. Nur so konnte ich zum Beispiel in Erfahrung bringen, daß es östlich von Irkutsk in Sibirien in den Staatsläden nirgends frisches Fleisch zu kaufen gibt. In den großen Städten an der Wolga soll es ähnlich sein, doch dürfen dorthin nur sehr selten Ausländer reisen.

Außerhalb Moskaus sind die Leute Ausländern gegenüber weit weniger mißtrauisch und sprechen über ihre Lebensbedingungen ein wenig offener. So kann man zum Beispiel in den nichtrussischen Republiken einiges darüber erfahren, was die Leute über die Russifizierung denken.

Die sowjetischen Behörden nehmen das meist tolerant hin. Die Schwierigkeiten beginnen erst dann, wenn ein Korrespondent der ständigen Routine leid wird und sich dafür zu interessieren beginnt, ob es eine echte politische Opposition zum Sowjetsystem gibt. Es scheint mir* daher nötig, Mißverständnisse über das Verhältnis zwischen Auslandskorrespondenten und Oppositionellen aufzuklären. Die Sowjetregierung hat eine künstliche Situation geschaffen. Sie verweigert sowohl dem eigenen Volk wie der übrigen Welt Informationen über Dinge, die von wirklichem Interesse sind. Daraus ergeben sich unvermeidlich immer wieder Zusammenstöße mit den westlichen Korrespondenten, die in der Sowjetunion nach denselben Prinzipien arbeiten wollen, die sie zu Hause gelernt haben.

Die Auslandskorrespondenten in Moskau laufen im allgemeinen nicht mit der Absicht herum, Oppositionelle aufzufinden und sich damit selbst Ungelegenheiten zu schaffen. In den letzten Jahren scheint aber eine gewisse Zahl von Sowjetbürgern keine Angst mehr zu haben, westliche Korrespondenten aufzusuchen und ihnen Informationen über die Lebensumstände in der Sowjetunion anzubieten.

Solche Informationen sind natürlich für die Redaktionen zu Hause und für die Leser von besonderem Interesse. Ein redlicher Korrespondent wird sich verpflichtet fühlen, auch solche Informationen zu übermitteln, wenn er sie für ernsthaft begründet hält. Macht er das nicht, so wird er sich den Vorwurf der Ängstlichkeit gefallen lassen und sich vorhalten lassen müssen, daß er Tatsachen unterdrückt, um einem totalitären Regime gefällig zu sein.

Sieht man die Sache unter humanitären Gesichtspunkten, so gibt es zahllose Fälle, bei denen Sowjetbürger vor brutalen und (auch nach sowjetischem Recht) illegalen Akten nur dadurch gerettet worden sind, daß ihre Schwierigkeiten im Ausland bekannt wurden. Es gibt allerdings auch viele Fälle, wo diese Art von Publizität die Opfer ;der Unterdrückung nicht zu schützen vermochten. Immerhin entstand dann aber eine den Sowjetbehörden oft sehr unangenehme Situation. Auch in Moskau verfolgt man die Weltmeinung.

Kontakte zur Opposition

Sobald man mit der Opposition erst einmal in Berührung gekommen ist, ergibt sich aus einem Kontakt sofort der nächste. Man stößt auf ganze Ketten von Leuten, die einander kennen und rückhaltslos vertrauen. Man erfährt mehr und mehr Fälle von Unterdrückung und viele dieser Fälle sind dann auch eine Nachricht wert. Hat man erst einmal mit dieser Art von Berichterstattung begonnen, so gibt es kein Ende mehr.

Die sowjetischen Behörden halten dies für eine Einmischung, in ihre inneren Angelegenheiten, vor allem, weil Nachrichten über Vorgänge, d'e bisher geheimgehalten wurden, durch ausländische Radiostationen dann schließlich doch in der Sowjetunion bekannt werden.

Die Korrespondenten sind gewissermaßen die Gefangenen der in der Sowjetunion bestehenden Situation, weil für sie die Pflicht zur Berichterstattung über wesentliche Vorgänge besteht. Sie haben weder das Recht, Tatsachen zu unterdrücken und die Verhältnisse in Rußland besser darzustellen als sie sind, noch haben sie das Recht, sie schwärzer zu malen als es der Wirklichkeit entspricht.

Zuletzt noch ein Wort über die Technik der Einschüchterung. Bei neuen Korrespondenten wird meist versucht, sie mit Provokateuren in Kontakt zu bringen, damit sie sich entweder kompromittieren oder davon abgeschreckt werden, mit Rus- i sen überhaupt Kontakt zu suchen. Da diese Technik meist nicht mehr verfängt, wird dann häufig versucht, sie in illegale Transaktionen, in Spionage oder in Verhältnisse zu russischen Frauen zu verwickeln.

Druck auf die Korrespondenten

Führt das nicht zum Ziel, muß man auch mit physischer Gewalt rechnen. Sie wird nicht extrem angewandt, ist aber unerfreulich genug. Häufig sind die Leidtragenden russische Freunde. Dabei wird dann versucht, solche Freunde mit Drohungen umzudrehen und in Provokateure zu verwandeln.

Eine andere Technik besteht darin, verleumderische Gerüchte über einen Korrespondenten zu verbreiten. Er wird dann beständig beschuldigt, er sei ein Lügner, obwohl er nur versucht hat, die Wahrheit zu berichten. In solchen Fällen erscheinen dann ;n der Sowjetpresse scharfe persönliche

Attacken gegen die Berichterstattung des Korrespondenten oder auch gegen seine persönliche Lebensführung. Im Westen könnte man dagegen klagen. In der Sowjetunion ist dies kaum möglich, weil die Gerichte in fast allen politischen Fällen ihre Urteile nach geheimen Anweisungen des Staatssicherheitsdienstes oder der Partei fällen.

Bei Angriffen auf einen Korrespondenten in der Presse werden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und verdreht oder sogar einfach erfunden. In meinem Falle beruhten die Angriffe der „Literaturzeitung“ hauptsächlich auf frei erfundenen Zitaten. Gibt der Korrespondent bei seiner Berichterstattung nicht nach, so erfolgt schließlich die Ausweisung. Die einzig mögliche Gegenwehr ist die genaue Befolgung aller sowjetischen Gesetze. Die persönliche Lebensführung muß tadellos sein, und vor verdächtigen Fremden, mit denen man nicht durch vertrauenswürdige Personen bekannt gemacht wurde, muß man sich hüten. Der beste Rat, den ich geben kann, lautet: „Bewahren Sie die Ruhe!“

(Aus: Times Newspapers Ltd.)

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