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Stärkt doch die Basis!

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Vizekanzler und Außenminister Alois Mock und sein Team haben vor kurzem in der Politischen Akademie der ÖVP eine Tagung über die entwicklungspolitische Szene Österreichs veranstaltet (FURCHE 15/ 1987). Die Ausgangslage der österreichischen Entwicklungshilfe ist denkbar schlecht.

Die statistische Quantität der staatlichen Hilfe (Official Development Assistance/ODA) ist von 0,35 Prozent des Bruttosozialproduktes im Jahr 1985 auf 0,24 Pro-

zent im vergangenen Jahr gesunken und würde überhaupt nur 0,18 Prozent betragen, wenn alle berechtigten kritischen Einwendungen des Development Assistance Committee (DAC) der OECD gegen die Anrechenbarkeit einiger Elemente der österreichischen öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) berücksichtigt würden. Die Abnahme erklärt sich aus dem Rückgang der nach den neuen strengeren Kriterien des DAC noch anrechenbaren Exportförderungskredite — also aus Zahlen, die größere Leistungen nur vorge- täuscht haben.

Von der Basis 0,18 Prozent soll und will Mock nach seinen eigenen Worten bis 1990 (oder etwas später) jenes quantitative Mindestziel anpeilen, zu dem ihn der am 6. März 1986 vom Nationalrat einstimmig gefaßte Beschluß verpflichtet, nämlich den DAC-Staa- ten-Durchschnitt von 0,35 Prozent auf einer auch qualitativ einwandfreien Berechnungsgrundlage zu erreichen. Wie er das angesichts der Budgetsanierungsund Einsparungspolitik erreichen will, bleibt unklar.

Die jährliche Steigerung der

Leistungen aus dem Budget müßte nämlich akkumulativ mindestens 500 Millionen Schilling betragen und vor allem der bilateralen Projekthilfe zugute kommen, die sich seit Jahren auf einer Höhe von etwa 200 Millionen Schilling bewegt. Jedenfalls ist eine jährlich beachtliche Erhöhung dieser bilateralen Technischen Hilfe eine conditio sine qua non, wenn nicht die gesamte, verbal entwicklungsländerfreundliche Außenpolitik Österreichs angesichts der konkurrenzlos schlechten Entwicklungshilfe-Leistungen unglaubwürdig werden soll.

Es ist natürlich richtig, wenn Mock dann wenigstens die Qualität der Hilfe erhöhen will. Aber wie bringt man die beiden Enden der Vorbedingungsreihe zusammen? Die Hilfe soll einerseits der armen und ärmsten Bevölkerung und den am wenigsten entwickelten Ländern zugute kommen und andererseits Österreichs Wirtschaft nützen (letzteres war auf der Tagung unüberhörbar). Die Hilfe soll aber auch einerseits an den Bedürfnissen der Menschen und andererseits am Grad verwirklichter Demokratie oder wenigstens am erkennbaren demokratischen Prozeß gemessen werden.

Soll Österreich dabei den innenpolitischen Zustand eines Landes, das sich erst vor kurzem von der Kolonialherrschaft oder einer langjährigen Diktatur oder einer alle Ressourcen für sich in Anspruch nehmenden Oligarchie befreit hat, an seinem erst nach Jahrhunderten und in den letzten Jahrzehnten erreichten Stand von

Pluralismus, Liberalität und Sozialpartnerschaft oder gar an der Konformität mit den geopoliti- schen und strategischen Interessen der westlichen Vormacht messen? Es ist doch offenkundig, daß die zumutbaren und angemessenen Kriterien für Demokratie und Eigenständigkeit im Grad der Teilhabe der Bevölkerung an allen Entscheidungen und Gütern sowie in der freien Rede zu suchen und zu finden sind.

Wo wurde die traditionelle Macht der Großgrundbesitzer gebrochen und die unumgänglich notwendige Bodenreform ernstlich in Angriff genommen? In manchen Fällen sind sicherlich auch mit den meist verfälschten und verfremdeten Spielregeln der formalen Demokratie einige Fortschritte erzielt worden. Entscheidend aber bleibt die mögliche Eigeninitiative des Volkes, die Mitbestimmung an der Basis in jedem Dorf und in jedem Stadtteil und auf jeder sozialen oder politischen Ebene.

Es fragt sich natürlich dann, wo die Freiheit und die Chancen eines demokratischen Prozesses, den Österreich fördern will, größer sind, in Nikaragua oder in Guatemala, um nur zwei Bespiele zu nennen. Soll ersteres nunmehr vernachlässigt und letzteres bevorzugt werden, nur weil es einen formal demokratisch gewählten

Präsidenten christdemokratischer Couleur hat, der sich der militärischen Zwangsjacke aber kaum erwehren kann und fast alles beim alten lassen muß? Selbstverständlich gibt es aucji in diesem Land Eigeninitiativen, die aufhorchen und hoffen lassen.

öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) kann bekanntlich nur von Regierung zu Regierung gegeben werden und erreicht daher die Basis oft nicht. Darum sind die Entwicklungsprojekte der Nicht- Regierungs-Organisationen (NGO) so interessant, weil sie die Selbsthilfe, das Selbstbewußtsein, die Eigeninitiative und damit den demokratischen Prozeß an der Basis fördern, und das ohne Ansehen des politischen Systems oder der geopolitischen, wirtschaftspolitischen und strategischen Position des betreffenden Landes.

Die österreichischen NGO müssen allerdings dankbar anerkennen, daß die zuständigen staatlichen Stellen bisher beachtliche Mittel der an sich kargen Technischen Hilfe im Sinne des Subsidiaritätsprinzips ihnen zur Verfügung gestellt oder entsprechende Projekte über sie abgewickelt haben.

Sie hoffen selbstverständlich, daß sich diese Zusammenarbeit noch verstärken und verbessern wird. Dann wird man auch von einer wirklichen Förderung der Basisdemokratie und der Eigenständigkeit durch die österreichische Entwicklungshilfepolitik sprechen können.

Der Autor war Leiter des österreichischen Instituts für Internationale Zusammenarbeit (HZ).

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