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Stagflation in Österreich?

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Die Konjunktur wird schwächer, die Preise steigen ipimer stärker, die Sparlust nimmt ab, kurzum: die „Stagflation“ (Stagnation plus Inflation) kommt auch auf uns zu, aber von einer konjunkturgerechten Wirtschaftspolitik ist weit und breit nichts zu sehen. Dieser kurzgefaßte Befund ergibt sich aus dem jüngsten Monatsbericht des Instituts für Wirtschaftsforschung, der die Zeit um die Jahresmitte behandelt.

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Die Konjunktur wird schwächer, die Preise steigen ipimer stärker, die Sparlust nimmt ab, kurzum: die „Stagflation“ (Stagnation plus Inflation) kommt auch auf uns zu, aber von einer konjunkturgerechten Wirtschaftspolitik ist weit und breit nichts zu sehen. Dieser kurzgefaßte Befund ergibt sich aus dem jüngsten Monatsbericht des Instituts für Wirtschaftsforschung, der die Zeit um die Jahresmitte behandelt.

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Zunächst die Abschwächung: der Zuwachs der Industrieerzeugung wurde deutlich vermindert und dämpft auch den Bedarf an Energie und an Transportleistungen. Die Ausfuhr lag im Juni auf dem Vorjahresstand, wogegen die Zuwachsrate der Einfuhr zwar auch schon geringer geworden ist, aber noch immer 11 Prozent betrug; eine recht ausgiebige Diskrepanz zwischen Aus- und Einfuhr also.

Daß die Konjunkturdämpfung von der Ausfuhr ausgeht, ist für ein außenhandelabhängiges Land mit noch dazu chronisch passiver Handelsbilanz besonders unerfreulich, zumal diese Entwicklung noch vor jenen amerikanischen Einfuhr- erschwemissen in Gang kam, durch die das Klima des gesamten Welthandels nun noch rauher werden wird; es verheißt schlechte Zeiten für die österreichische Handelsbilanz, wenn diese schon vor dem Wettersturz so trübe aussah (das Passivum war im Juni um 890 Millionen Schilling oder fast 40 Prozent höher als ein Jahr vorher).

Auf eine Talfahrt weist auch die Entwicklung in den einzelnen Gruppen hin: bei der Erzeugung von Anlagegütern schwaches Wachstum, bei Verbrauchsgütern anhaltender Aufschwung — ein Wirtschaftsbild, das die rückläufige Phase im Konjunkturzyklus kennzeichnet; bei Eisen und Maschinen gab es nur noch einen geringfügigen Zuwachs, bei Buntmetall- und Gießereierzeugnissen gar einen Rückgang (immer im Vergleich zum Vorjahr).

Dasselbe Bild auch bei der Einfuhr: Die Zuwachsraten bei Rohstoffen und Anlagegütern deutlich schwächer (Erze und Spinnstoffe sogar absolut rückläufig), dagegen weiterer Anstieg der Konsumgütereinfuhr.

Reaktion der Sparer

Die erzeugende Wirtschaft stellt sich also, wohl meist wegen eines sinkenden Auftrageinganges, auf einen künftig schwächeren Umsatz ein, die Vorratslager werden daher weniger aufgefüllt, bei der Anschaffung neuer Maschinen und sonstiger

Ausrüstungen wird gezögert. Die Verbraucher hingegen, vorab die Unselbständigen, deren Löhne erneut kräftig gestiegen sind (Tariflöhne im Juli um 10,5 Prozent höher als vor einem Jahr, die effektiven Stundenverdienste schon im April sogar um 14 Prozent höher), sparen trotzdem, vergrämt über die Preissteigerungen, weniger und flüchten in den Konsum; die Zuwachsrate der Spareinlagen gegenüber dem Vorjahr nahm weiter ab, der Anleihenkauf ging absolut zurück. Der Sparer ist eben doch inflationsempfindlicher, als die Wirtschaftspolitiker der Regierung glaubten (und hofften).

Die Verschuldung, vor allem der Wirtschaft, nimmt zu: trotz sinkender Investitionslust wuchs das kommerzielle Kreditvolumen stärker als vor einem Jahr; das mag teils auf die in Gang gekommene Umschuldung vom Ausland ins Inland, teils aber auch auf die infolge der stark steigenden Kosten sinkenden Erträge und auf den daraus entstehenden erhöhten Bedarf an Fremdmitteln zurückgehen.

Trotz Konjunkturdämpfung steigen aber die Preise munter weiter. Die tatsächlichen Verhältnisse werden freilich durch die heuer sehr günstigen Saisonwarenpreise noch verschleiert; klammem wir diese jedoch aus, so lagen die Verbraucherpreise im Juli schon um 5,1 Prozent über dem Vorjahr, haben also die zu Jahresbeginn für heuer sehr großzügig bei 5 Prozent festgesetzte

Inflations-„Schallmauer“ bereits durchbrochen. Da weitere einschneidende Teuerungen vom Handelsminister mit geschickten Winkelzügen vorläufig noch in der Paritätischen Kommission zurückgehalten werden, müssen wir nach den Wahlen abermals mit einem recht kräftigen Ruck dies Index nach oben rechnen.

Das einzige, was nicht in das international gewohnte Stagflationsbild paßt, ist die Überbeschäftigung. Nun ist diese dank dem erstaunlichen Aufschwung der österreichischen Wirtschaft in den letzten zwanzig Jahren gewissermaßen strukturell geworden, so daß auch in Zeiten schwacher Konjunktur der Arbeitskräftemangel andauert, wir sogar dann gezwungen sind, Ausländer in großer Zahl zu beschäftigen.

In dieser Lage müßte eine sachgerechte Wirtschaftspolitik der öffentlichen Hand bestrebt sein, durch ihre Maßnahmen den Arbeitsmarkt so wenig wie möglich zu belasten. Genau das Gegenteil ist bei uns geschehen: wohl schon im Hinblick auf die seit langem angepeilten Herbstwahlen, wurde die Bauwirtschaft ohne Rücksicht auf den Arbeitsmarkt zum Zwecke eines bequemen Leistungsalibis angeheizt, womit die Wirtschaftspolitiker einen handfesten Beitrag zur Inflation und zum wachsenden Defizit der Handelsbilanz leisten. Hier wird mit falschen Mitteln und am falschen Ort eine kurzlebige Wirtschaftsblüte hervorgezaubert, für die wir noch die Zeche sehr teuer zu bezahlen haben werden.

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