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Stand oder Klasse?

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Die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs, mit der sich die jüngste Veröffentlichung Anton Pelinkas be-schäftitg, war bis 1938 Teil jener so-zialreformatorischen Bewegung, der kein Geringerer als Otto Bauer bestätigt („Der Kampf“, Juni 1911), sie hätte zum erstenmal große Massen ins politische Leben geführt, den volksfremden Liberalismus gestürzt, die großen sozialen Probleme auf die Tagesordnung gesetzt usw. Von diesem Erstgeburtsrecht ist bei Pelinka ebensowenig die Rede, wie von der staatstragenden Bedeutung dieser Bewegung: Bei der Verteidigung des multinational empire gegen jene nationale Revolution, die 1918 und 1945 Europa ins Chaos stürzte; vom sozialen Aufbauwerk in der langjährigen Ära des christlichsozialen Sozialministers Josef Resch; vom Widerstand gegen den Hitlerismus, der ihren Führern Verfolgung und Tod kostete; und von dem Erbe, das heute seinen respektablen Rang in der ÖVP und im ÖGB hat.

Der Autor zieht mit der größten Genauigkeit die politische Linie jenes sogenannten Linkskatholizismus nach, den Ernst Karl Winter in den zwanziger Jahren mit der Formel „rechts stehen, links denken“ in-stradierte und in dessen Reihen er 1935/36 auf eine Volksfront österreichischer Prägung einschwenken wollte; für den A. M. Knoll zuletzt, 1962, den politischen Typ des Spartacus als: dem Geist des Christentums notwendig, reklamierte; und für den Friedrich Heer die „neue Sprache und die neuen Wahrheiten“ der Marx-Renaissance der sechziger Jahre adaptierte. Als Resultate vermerkt Pelinka in einem abschätzigen Sinn die Tatsache, daß die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs im Konfliktsfall die Christliche Gesinnungsgemeinschaft über die eine, im marxistischen Sinn verstandene, Klassengenossenschaft stellte. Indem bei Pelinka von der Polemik, die die gesamte politische Linke pausenlos und hemmungslos gegen die Christliche Arbeiterbewegung führte, kaum die Rede ist, bekommt die vom Autor mit der größten Akribie registrierte Polemik und Verteidigung der Männer von Kun-schak bis Weinberger den Charakter eines Amoklaufes gegen einen politischen Gegner, den Pelinka entweder nicht genügend sichtbar macht oder dessen Räson vorweg als o. k. vorausgesetzt ist. Die hämische Herabsetzung des Appeasements, mit dem nach 1933/34 die Christliche Arbeiterbewegung den Kollegen auf der Linken im autoritären Staat, in der SAG usw. entgegenzukommen suchte, erweckt die Erinnerung an Methoden, die vor 1933 bei der Behandlung christlicher Arbeiter und Angestellter tagtäglich waren. Nichts davon bei Pelinka. 60 Jahre nach dem eingangs erwähnten Zitat Otto Bauers und 30 Jahre nach dem Experiment E. K. Winters stellt der Autor jene Wertung Winters heraus, derzufolge „ausschließlich der Marxismus ... dem Proletariat Selbstbewußtsein und Disziplin (gegeben hat) und niemand anders“.

Der Autor legt seine Veröffentlichung in bewährte Hände: Karl R. Stadler, Professor für Zeitgeschichte in Linz und Beauftragter der SPÖ für die parteiinterne politische Schulung, schrieb das Vorwort; das sozialistische Ludwig-Boltz-mann-Institut sorgte für die Veröffentlichung; der von Sozialisten gesteuerte Europaverlag brachte das Werk heraus. Von dieser Seite wird dem Autor attestiert, seine Erkenntnisse sprächen für sich.

STAND ODER KLASSE. Von Anton Pelinka. Die Christliche Arbeiterbewegung 1933 bis 1938, Europaverlag, Wien 1972, 334 Seiten.

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