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Starke Rezession in der US-Wirtschaft

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Wirtschaftsprognosen in Österreich werden sehr stark von der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung im Ausland beeinflußt. Neben der Situation in der Bundesrepublik Deutschland kommt dem Wirtschaftsgeschehen in den Vereinigten Staaten schon wegen der Größe ihres Marktes und der Bedeutung ihres A ußenhandels eine Schlüsselstellung zu. Daher kommt der Darstellung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den USA, die dieser Beitrag liefert, besondere Bedeutung zu.

Seit das US-Department of Labor (das amerikanische Arbeitsministerium) zu Beginn dieses Jahrhunderts Arbeitslosenstatistiken führt und publiziert, hat es das noch nicht gegeben: Innerhalb von zwei Monaten - nämlich im April und Mai d. J. - ist die Arbeitslosenzahl um über 1,7 Millionen hinaufgeschnellt. Insgesamt gibt es jetzt in den USA über acht Millionen Arbeitslose und man befürchtet, daß sich diese Zahl bis zum Herbst auf annähernd zehn Millionen erhöhen dürfte.

Und damit ist auch schon sehr viel über die siebente amerikanische Nach-kriegs-Rezession gesagt, von der Präsident Jimmy Carter prophezeite, sie werde kurz und mild sein. Daß sie nicht mild ist, steht inzwischen fest, ihre Dauer ist vorerst noch schwer abzuschätzen. Im Durchschnitt dauerten die sechs letzten amerikanischen Wirtschaftsrückschläge elf Monate.

Da die jetzige Rezession im Februar begann, müßte sie, um besonders kurz zu sein, spätestens im Herbst d. J. enden, was nach übereinstimmender Auffassung der meisten Fachleute sehr unwahrscheinlich ist.

Aber nicht nur die sprunghafte Zunahme der Arbeitslosigkeit, sondern auch eine ganze Reihe anderer Kennzahlen läßt das Ausmaß des Rückschlages erkennen: Die Industrieproduktion nahm im Mai d. J. gegenüber dem Vormonat um 2,1 % ab, und die Auftragseingänge der Industrie gingen im April um 5,5 % zurück, das war der größte monatliche Rückgang seit über fünf Jahren, nämlich seit Dezember 1974.

Der kombinierte Index führender Wirtschaftskennzahlen, der wichtigste Schlüsse bezüglich der künftigen konjunkturellen Entwicklung ermöglicht, rutschte im Mai d. J. um 4,8 % ab, ein in diesem Ausmaß noch nie verzeichneter Rückgang seit dem Jahr 1948, also seit es diesen Index gibt.

Besonders schwer getroffen sind zwei Branchen, die auch bei früheren Rezessionen die Rolle von Schrittmachern spielten: Der Wohnungsbau und die Autoindustrie. Da Hypothekarkredite knapp und teuer sind, werden heuer voraussichtlich nur 800.000 bis 900.000 Einfamilienhäuser bzw. Wohnungen gebaut werden, gegenüber 1 1 /2 bis 2 Millionen in den letzten Jahren. Die Zahl der Einfamilienhäuser, die ihren Besitzer wechselten, erreichte im Frühjahr d. J. den niedrigsten Stand seit 14 Jahren.

Die Autoindustrie hat fast eine viertel Million Arbeitskräfte entlassen und leidet unter hohen unverkauften Lagern und schlechter Kapazitätsausnutzung. Nachdem die Produktionszahlen schon in den letzten Monaten tief unter denjenigen der gleichen Monate des Vorjahres lagen, erwartet man für Juni das niedrigste monatliche Produktionsergebnis seit über zwanzig Jahren.

Massive Importe - vor allem aus Japan - immer mehr staatliche Eingriffe und gewaltige Umstellungsprobleme machen Detroit schwer zu schaffen.

Aus den neuesten Daten ist ersichtlich, daß die Rezession inzwischen auf fast alle Bereiche der amerikanischen Wirtschaft übergegriffen hat. Seinen Höhepunkt dürfte der Konjunktureinbruch im zweiten, möglicherweise aber auch erst im dritten Quartal erreichen.

Fachleute, die sich auf die Berechnung des Bruttonationalproduktes, also den Wert aller von der Wirtschaft hervorgebrachten Güter und Dienstleistungen spezialisiert haben, nehmen an,

Graphik: Schöllerbank daß sich der BNP-Rückgang im zweiten Quartal auf etwa 8 bis 8 1 /2 % p. a. belief, und daß er im dritten Quartal möglicherweise sogar 10 % p. a. erreichen könnte.

Die Wirtschaftspolitik befindet sich angesichts dieser Entwicklung in einem echten Dilemma. Soll sie weiter einen Restriktionskurs verfolgen und zusehen, wie die Arbeitslosenzahl auf zehn Millionen und vielleicht noch höher steigt?

Oder soll sie jetzt, da ihre Maßnahmen erste bescheidene Anfangserfolge hinsichtlich einer Verlangsamung der im ersten Quartal geradezu beängstigenden inflationären Entwicklungen zeigen, wieder auf einen Expansionskurs umschalten und damit die Inflation von neuem entfachen, bevor es noch gelungen ist, sie auf ein erträgliches Maß zurückzuführen?

Im wesentlichen gibt es zwei voneinander grundverschiedene Diagnosen bezüglich der derzeitigen Konjunkturphase. Manche sehen ein Ende der Rezession gegen Jahresende und finden, daß der Rückschlag ein notwendiges Übel ist und daß er eine entscheidende Senkung der Inflationsrate zur Folge haben wird. Die dieser Ansicht zuneigenden Fachleute glauben auch, daß der Preisauftrieb noch geraume Zeit nach dem Ende der Wirtschaftsflaute anhalten wird.

Die andere Meinung geht dahin, daß die USA einer mehrjährigen Stagflation, die sowohl von einer zweistelligen Arbeitslosen-, als auch von einer zweistelligen Inflationsrate geprägt sein wird, entgegengehen.

Während sich also die Fachleute -wieder einmal - nicht einig sind, stehen inzwischen schon einige Tatsachen fest: Um die Inflation in den Griff zu bekommen, verfolgten die Regierung und das Federal Reserve System eine Politik, die die Rezession auslöste oder diese zumindest erheblich verschärfte.

Der starke Konjunktureinbruch hat zur Folge, daß das erst vor kurzem vom Kongreß beschlossene Budget für das am l. Oktober beginnende Fiskaljahr 1981 überholt ist und einer Revision bedarf. Einerseits werden die Steuereinnahmen weit hinter den Ansätzen zurückbleiben, andererseits werden dem Bund aus der Rezession höhere Ausgaben, und zwar vor allem in Form von Arbeitslosenunterstützungen, erwachsen.

Dazu kommt, daß der Kongreß vor kurzem die von Präsident Carter vorgeschlagene Erdölimportsteuer von $ 4,62. pro Faß mit der Begründung ablehnte, daß es sich hiebei wohl kaum um eine auf Energieeinsparung abzielende Maßnahme handle, sondern daß sie vor allem den Zweck verfolgte, ein Budgetloch von etwa elf Milliarden Dollar zu stopfen.

Es steht also fest, daß der Budgetausgleich, Präsident Carters wichtigstes

Wahlversprechen und der Eckpfeiler seiner Wirtschaftspolitik, gescheitert ist. Fachleute beziffern das Budgetdefizit für das kommende Jahr mit 25 bis 30 Milliarden Dollar, machen aber kein Hehl daraus, daß es eventuell auch noch viel höher ausfallen könnte.

Die Konsequenzen dieses Budget-Fiaskos werden gravierend sein, denn es wird - und darüber sind sich alle Fach-, leute einig - zumindest auf längere Sicht, starke inflationäre Impulse zur Folge haben. Womit sich der Teufelskreis schließt und wir wieder zur Ausgangslage, wie sie vor Rezessionsbeginn herrschte, zurückgekehrt wären.

So bietet sich also die wirtschaftspolitische Szene dar, während der Wahlkampf seinem Höhepunkt zustrebt. Eine nicht gerade günstige Konstellation für Präsident Carter. Seine Herausforderer wissen genau, warum sie die Wirtschaftslage als Wahlkampfthema Nummer eins auf ihre Fahnen geschrieben haben.

(Dr. Otto Steckelhuber war lange Jahre Außenhandelsdelegierter Österreichs in New York und vertritt dort derzeit die Interessen der Genossenschaftlichen Zentralbank)

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