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Starker Abgang

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Vizekanzler und Sozialminister Häuser hat längst allerorten angekündigt, daß er mit dem Auslaufen der Legislaturperiode wegen Erreichens der Altersgrenze von der politischen Bühne abtreten Will. Sein Mandat im Nationalrat hat er bereits abgegeben. Aber das Kriegsbeil gegen die Ärzte hat er noch nicht begraben. Der Konflikt Häuser — Ärzte, der in den letzten Jahren zur innenpolitischen Szenierie gehört hat, ist wieder aufgeflammt.

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Vizekanzler und Sozialminister Häuser hat längst allerorten angekündigt, daß er mit dem Auslaufen der Legislaturperiode wegen Erreichens der Altersgrenze von der politischen Bühne abtreten Will. Sein Mandat im Nationalrat hat er bereits abgegeben. Aber das Kriegsbeil gegen die Ärzte hat er noch nicht begraben. Der Konflikt Häuser — Ärzte, der in den letzten Jahren zur innenpolitischen Szenierie gehört hat, ist wieder aufgeflammt.

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Einige Sozialpolitiker hatten die Entwicklung vorausgeahnt: Zuerst hatte Justizminister Broda in seinen Strafgesetzentwurf eine Möglichkeit für den straffreien Schwangerschaftsabbruch eingebaut, die einer erweiterten Indikationenlösung entsprach. Das wäre auch nach längerem Hin und Her für die ÖVP akzeptabel gewesen. Und am Villacher Parteitag kam plötzUch die von einer geschickten Regie hochgespielte unabdingbare Forderung nach der Fristenlösung. Broda machte eine überraschend schnelle Kehrtwendung und schwenkte auf die angeblich von einer breiten Parteiöffentlichkeit geforderte Regelung ein. Schließlich wurde das ganze Strafrecht nur mit der knappen SPÖ- Mehrheit im Nationalrat beschlossen. Auf die damaligen, immer wiederkehrenden Joumalistenfragen, nach der Möglichkeit der Bezahlung von Abtreibungen durch die Krankenkassen gaben die sozialistischen Regierungsmitglieder meist nebulös® Antworten.

Und jetzt ist es endlich soweit: Häuser verkündet nach einer Ministerratssitzung, er sei der Meinung, der Schwangerschaftsabbruch könne von den Krankenkassen finanziert werden, da er eine ärztliche Leistung wie jede andere darstelle. Seiner Rechtsauffassung nach sei der Krankheitsbegriff des ASVG so weit gefaßt, daß er auch diesen Fall einschließe. Plangemäß schwächte Frau Staatssekretär Karl ab: sie meinte, die Kassen würden wohl nur einige Fälle zahlen. Und der Generaldirektor der Gebietskrankenkasse erklärte gegenüber einer Tageszeitung, die Sozialversicherung könne nur bei einer medizinischen Indikaton zur Zahlung herangezogen werden.

Die Ärztekammer sieht indes dem Herannahen des Termines für das Inkrafttreten des neuen Strafgesetzes mit äußerst gemischten Gefühlen entgegen, ist ja ihr Verhältnis zum Hauptverband der Sozialversicherungsträger ohnedies ständig schweren Belastungen ausgesetzt. Und damit ihr Verhältnis zum Sozialminister, der in der letzten Zeit bei den Verhandlungen der beiden Kontrahenten stets dabei war. Und Häuser hat auch jetzt wieder einmal das Faß zum Überlaufen gebracht. Nach Aussagen von Ärztevertretem hatte er sich vollkommen im Ton vergriffen und die Mediziner mit Gewerkschaftsfunktionären gleichgesetzt, die kernige Worte gewöhnt sind. Dabei wäre es gerade bei der Klärung des anstehenden Problems unbedingt notwendig gewesen, diplomatisches Fingerspitzengefühl zu beweisen, geht es doch einmal mehr um Details der allseits umstrittenen Kassenambulatorien.

Die von Häuser als Entwurf vorgelegte 31. ASVG-Novelle sieht vor, daß die Mittel aus dem Ausgleichsfonds der Sozialversicherungsträger zum Ausbau der Ambulatorien verwendet werden sollen. Die Ärztekammer vertritt dagegen die Auffassung, man sollte mit diesen Geldern die Finanzierung von Ordinationsgründungen in Form von Direktzuschüssen oder gestützten Krediten betreiben. Häuser hatte die Verhandlungsrunde mit den Ärzten schon Stunden vorher brüskiert, indem er im Gespräch mit Journalisten ihre Forderungen als Aktion, die politisch gesteuert sei, bezeich- nete. In der Sitzung selbst forderte er zur Eile auf, was wieder als Brüs- kierung der Ärztevertreter aufgefaßt wurde. Die Ärzte vertreten die Auffassung, die Patienten wollten um ihre Krankenkassenbeiträge in erster Linie gut und rasch behandelt werden und nicht bürokratisch kompliziert aufgebaute Ambulatorien frequentieren müssen.

Tatsächlich geht etwa in Großbritannien, das praktisch einen totalen staatlichen Gesundheitsdienst hat, der bittere Witz in der Bevölkerung um, man sollte sich tunlichst mit seinen Krankheiten nach den Öffnungszeiten der staatlichen Gesundheitsstellen richten. In der Zeit von Freitag nachmittag bis Montag vormittag dürfe einem jedenfalls nichts passieren.

Daß der Krieg auf unbestimmte Zeit prolongiert wird, kann jeder auch ohne Hellseherqualitäten Voraussagen. Und daß es nicht reiner Standesdünkel ist, der die sogenannte „freie Ärzteschaft“ in die Frontstellung treibt — wie ihr von den Gegnern gerne nachgesagt wird — ist auch klar. Denn in ländlichen Gegenden, besonders im Gebirge, wird wohl ein Ambulatorium kaum die erforderlichen Dienste leisten. Denn der Landarzt muß nun einmal 24 Stunden pro Tag über Berg und Tal für alle Bereiche der Human(und manchmal sogar auch der Tier-)medizin da sein können.

In den großen Städten gibt es Ambulatorien, die vom normalen Steuerzahler eher als riesige Tintenburgen mit Amtscharakter aufgefaßt werden, wo Gesundheit administriert wird. Und die diensthabenden Ärzte wechseln streng nach Dienstplan. So nimmt es nicht wunder, daß die Patienten lieber die überfüllten Ordinationen der praktizierenden Ärzte in Anspruch nehmen, weil sie dort trotz der Serienabfertigung eher eine individuelle Behandlung zu erhalten glauben. Die Reformen auf dem Sektor der Sozialpolitik der letzten Jahre werden Häuser sicher angerechnet werden. Aber ebenso wird sein permanent schlechtes Verhältnis zu den Ärzten im Gedächtnis bleiben. Ein Eklat zu seinem Abgang könnte ihm sicher sein.

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