6996804-1987_12_05.jpg
Digital In Arbeit

Start frei für Kohl III

Werbung
Werbung
Werbung

Fünfeinhalb Wochen seit den Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland am 25. Jänner hat es gedauert, bis Helmut Kohl am 11. März zum Bundeskanzler gewählt und das Kabinett tags darauf ernannt werden konnte. Die Bundestagswahlen Anfang des Jahres endeten zwar mit einer eindeutigen Bestätigung der Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP, die Unionsparteien I mußten jedoch vor allem zugunsten der FDP Stimmen und Mandate abgeben.

Das erschwerte natürlich die Koalitionsverhandlungen, wobei sich jeweils zwei verschiedene Gruppierungen in den beiden wichtigsten Bereichen gegenüberstanden: in der Wirtschafts-, Finanz- und vor allem in der Steuerpolitik harmonierten FDP und CSU gemeinsam gegen die CDU, die ja sehr stark von ihrem Arbeitnehmerflügel (Sozialausschüsse) geprägt ist und daher in der Steuerreform gegen eine Senkung des Spitzensteuersatzes eingestellt war.

In der Innen- und Rechtspolitik sowie auch in der Außenpolitik gab es wiederum zwischen FDP und CSU starke Meinungsverschiedenheiten, wobei die CDU in vielen Punkten dieser Bereiche eher tendenziell zur FDP neigte. Aufgrund der gestärkten FDP war es daher kein Wunder, daß in diesen Fragen keine detaillierte Einigung zustande kam.

Trotz alledem können sich die Koalitionsvereinbarlmgen für die kommende Legislaturperiode sehen lassen, vor allem im Bereich der Steuerentlastung, wovon die Österreicher nur träumen können. So werden ab 1990 die Grundfreibeträge um rund 20 Prozent, die Kinderfreibeträge jedoch von 524 auf 3024 DM erhöht. Darüber hinaus sind weitere familienfreundliche Freibeträge sowie eine Verbesserung der Abschreibungen für Vorsorgeaufwendungen und Sonderausgaben vorgesehen.

Insgesamt werden die Steuerzahler 1990 mit 25 Milliarden DM entlastet werden. Desgleichen wird die Progression begradigt, der unterste Steuersatz wird von 22 auf 19 Prozent und der Spitzensteuersatz von 56 auf 53 herabgesetzt. Neben der familienfreundlichen Steuerreform sollen ab Mitte der Legislaturperiode die Kindergelder (Familienbeihilfen) vom zweiten Kind an erhöht und der Erziehungsurlaub sowie die Zahlung des Erziehungsgeldes verlängert werden.

Eine interessante Neuerung ist die geplante Verlängerung der Ladenöffnungszeiten bis in den Abend hinein einmal pro Woche. Diese Maßnahme kommt nicht nur dem Konsumenten, sondern letztlich auch dem Einzelhandel zugute, weil dieser immer mehr in Konkurrenz zu den Großhandelsmärkten (Metro, Agros) gerät, die täglich bis 20 Uhr offenhalten und bei denen mehrheitlich für den privaten Zweck eingekauft wird. Deswegen läuft seit einiger Zeit ein interessanter Musterprozeß gegen die Metro-Gruppe, dessen Ausgang noch ungewiß ist.

In der AIDS-Frage ist es ja bekanntlich zu einem kurzzeitig aufgeflammten Streit zwischen der CSU beziehungsweise Bayern und den übrigen Koalitionsparteien gekommen, der ja wegen der Meldepflicht der Nicht-EG-Aus- länder in Bayern auch auf Österreich überschwappte. Auf jeden Fall werden die Mittel zur Erforschung dieser Krankheit von 20 auf 135 Millionen aufgestockt. Einig war man sich auch darin, daß gegen jene Personen, die „rücksichtslos und vorsätzlich“ die AIDS-Infektion verbreiten, mit „allen rechtlichen Mitteln“ (vorsätzliche Körperverletzung, ja sogar fahrlässige Tötung) vorgegangen werden soll.

Helmut Kohl wollte ursprünglich sein Kabinett unverändert weiterbestehen lassen und erst Mitte der Legislaturperiode einen Umbau vornehmen. Dadurch kam die von der FDP gewünschte Reduzierung der Ministerien nicht zustande, sodaß die Liberalen gemäß ihrem Wahlerfolg zu ihren bisher drei Ministerien ein viertes haben wollten, da ja die CSU, die nur knapp vor der FDP liegt, fünf Ressorts verwaltet.

Die FDP bekam nun als viertes Ressort das an sich bedeutungslose Büdungsministerium (die Bil- dungs- und Kulturhoheit liegt ja bei den Ländern), das vom bisherigen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Jürgen Möllemann (FDP), bekleidet wird. Kritische Kommentare verweisen darauf, daß dieser ebensowenig von Bildung versteht wie die bisherige Bildungsministerin Dorothee Wilms (CDU) von der Deutschlandpolitik, die ab nun das Ministerium für Innerdeutsche Beziehungen erhält.

Hier wurde besonders die Problematik der sogenannten „Quotenfrauen“ sichtbar. Da Kohl den Anteil der Frauen im Kabinett nicht schmälern wollte, mußte er Wilms — obwohl darauf nicht vorbereitet und in die Materie eingearbeitet — das Innerdeutsche Ministerium überlassen. Der bisherige Entwicklungshilfeminister Jürgen Warnke (CSU) übernimmt das Verkehrsministerium, der bisherige Amtsinhaber Hans Dollinger (CSU) hat auf eine neue Periode aus Altersgründen verzichtet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung