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Startschuß von Seipel

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Im Jahre 1922 hatte die Inflation in Österreich exorbitante Ausmaße erreicht: Während der Kurs der Goldkrone zu Kriegsbeginn noch 1 Papierkrone und zu Kriegsende 3,30 betrug, war er vom September 1921 von 300,81 bis Mai 1922 auf 2100 gestiegen! Ohne die Frage untersuchen zu wollen, ob die Sanierung der österreichischen Währung auch auf anderen Wegen möglich gewesen wäre, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Wendung das Werk der Regierung Dr. Ignaz Seipel gewesen ist, der nach dem Rücktritt der Regierung Dr. Schober im Mai 1922 die Regierung übernommen hatte. Der Wert der Währung begann sich seit dem Sommer 1922 zu stabilisieren: Der Dollarkurs ging auf 71.000 Kronen zurück und der Kurs der Goldkrone festigte sich bis zum Beginn der Schillingrechnung am 1. Jänner 1925 auf einem Niveau von rund 14.500 Papierkronen, nachdem der Höhepunkt der Inflation im August mit einem Kurs der Goldkrone von 17.500 Papierkronen und einem Dollarkurs von 83.600 Kronen erreicht worden war.

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Im Jahre 1922 hatte die Inflation in Österreich exorbitante Ausmaße erreicht: Während der Kurs der Goldkrone zu Kriegsbeginn noch 1 Papierkrone und zu Kriegsende 3,30 betrug, war er vom September 1921 von 300,81 bis Mai 1922 auf 2100 gestiegen! Ohne die Frage untersuchen zu wollen, ob die Sanierung der österreichischen Währung auch auf anderen Wegen möglich gewesen wäre, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Wendung das Werk der Regierung Dr. Ignaz Seipel gewesen ist, der nach dem Rücktritt der Regierung Dr. Schober im Mai 1922 die Regierung übernommen hatte. Der Wert der Währung begann sich seit dem Sommer 1922 zu stabilisieren: Der Dollarkurs ging auf 71.000 Kronen zurück und der Kurs der Goldkrone festigte sich bis zum Beginn der Schillingrechnung am 1. Jänner 1925 auf einem Niveau von rund 14.500 Papierkronen, nachdem der Höhepunkt der Inflation im August mit einem Kurs der Goldkrone von 17.500 Papierkronen und einem Dollarkurs von 83.600 Kronen erreicht worden war.

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In diesem Sanierungswerk spielte die österreichische Nationalbank, die in diesen Tagen die 50. Wiederkehr ihrer Gründung feiert, eine zentrale Rolle. Die theoretische Frage, ob die Gründung einer neuen Notenbank — die Österreichisch-Ungarische Bank war auf Grund des Friedensvertrages von St-Germain in Liquidation — der Schlußstein in der Stabilisierung der österreichischen Währung sein sollte, wie beispielsweise das Projekt des Finanzministers im letzten kaiserlichen Kabinett, Professor Schumpeter, vorsah, oder ob die Errichtung eines neuen Institutes der Startschuß zur Sanierungsaktion sein sollte, wurde von der Regierung Dr. Seipel kühn zugunsten der letzteren Variante entschieden.

Schon im Juni hatte Dr. Seipel einen Gesetzentwurf betreffend die Errichtung einer österreichischen Notenbank im Nationalrat eingebracht, zu deren Fundierung ausländisches Kapital herangezogen werden sollte und in deren Statuten die Bestimmung aufzunehmen war, daß der Staat die Mittel der neuen Notenbank in keiner Weise in Anspruch nehmen dürfte, ohne den Gegenwert in Gold oder Devisen zu leisten.

Die Regierungsvorlage zur Ermächtigung des Finanzministers, eine Notenbank zu errichten, erfuhr im Parlament eine ungewöhnlich rasche Behandlung und konnte schon am 24. Juli im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden.

Nach neuen Schwierigkeiten mit der Kapitalaufbringung setzte aber eine neuerliche Vertrauenskrise ein und die Inflation erreichte im August ihren bereits genannten Höhepunkt: Am 12. August mußte die österreichische Geschäftsführung der Österreichisch-Ungarischen Bank die Neuausgabe einer 100.000-Kronen-Note und zwölf Tage später bereits eine Note zum Nennwert von 500.000 Kronen beschließen, um die Geldversorgung sicherzustellen.

In dieser verzweifelten Situation wandte sich der Kanzler an die Siegermächte der Entente und erreichte mit seiner berühmten Rede in Genf vom 6. September, daß sich der Völkerbundrat sofort in der Sanierungsaktion für Österreich engagierte. Die Rede Seipels machte den stärksten Eindruck auf die Zuhörer; noch bedeutender aber waren — wie wieder der über jede ideologische Voreingenommenheit erhabene

Autor der Geschichte der österreichischen Nationalbank unterstrich — ihre psychologischen Auswirkungen gewesen: Noch ehe eine formelle Zusage der Mächte gegeben wurde, eine Anleihe zu gewähren, hörte die weitere Kronenentwertung auf. Die Inflation war gestoppt.

In den Genfer Protokollen zur wirtschaftlichen und finanziellen Sanierung Österreichs, die bereits am 4. Oktober unterzeichnet werden konnten, war der österreichischen Nationalbank eine entscheidende Funktion zugedacht. Neben der Verpflichtung der Ententemächte, die politische Unabhängigkeit, die territoriale Integrität und die Souveränität Österreichs zu achten sowie mit einer Anleihe in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen das Werk zur Sanierung der österreichischen

Währung in die Wege zu leiten, war im Protokoll III unter anderen Bestimmungen die Verpflichtung enthalten, vom Parlament nach den Empfehlungen des Finanzkomitees des Völkerbundes notwendig erscheinende Abänderungen an dem Gesetz zur Errichtung der Notenbank, insbesondere die Sicherung ihrer vollen Autonomie gegenüber der Regierung, zu verlangen, die nicht mehr in der Lage sein sollte, dem Staat unbeschränkte Kredite zu gewähren.

Diese Empfehlung wurde in der kürzestmöglichen Zeit verwirklicht. Bereits am 14. Novembver nahm das österreichische Parlament das Nationalbankgesetz mit den neuen Statuten an. Gleichzeitig wurde der alte Name, den das erste österreichische Noteninstitut bereits in den Jahren 1816, bis 1878 getragen hatte, wieder angenommen. Am 28. November gab die österreichische Regierung eine feierliche Erklärung ab, keine weiteren Schatzscheine weder an das alte noch an das neue Noteninstitut begeben zu wollen. Dem Zugriff der Regierung zum Notenbankgeld war ein Ende gesetzt.

Am 1. Jänner 1923 konnte die österreichische Nationalbank ihre Tätigkeit aufnehmen und mit der Einführung der Schillingrechnung ab dem 1. J.nner 1925 war die Stabilisierungsaktion der österreichischen Währung längst abgeschlossen.

Die Gründung der österreichischen Nationalbank vor 50 Jahren ist so mit der politischen und wirtschaftlichen Existenz und nationalen Selbstidentifizierung Österreichs aufs engste verbunden wie kaum ein anderer staatspolitischer Akt jener Jahre. Mit der Gründung dieses Instituts wurde jener ökonomische Prozeß eingeleitet, der es — mit manchen Rückschlägen und durch den zweiten Weltkrieg unterbrochen — schließlich doch möglich machte, daß aus dem „Rest“, der vom großen Reich der zwölf Nationalitäten einfach „übriggeblieben“ war, wie sich einst ein französischer Staatsmann ausdrückte, und aus dem „Staat, den keiner wollte“, wie es ein österreichischer Schriftsteller später formulierte, ein wohlgeordneter Staat geschaffen wurde, der heute von Bürgern bewohnt wird, die mit einem starken Selbstbewußtsein eine neue Eigenständigkeit gefunden haben.

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