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Statt am Ring - in Floridsdorf

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Die Einstellung zur fortschreitenden Motorisierung kann verschiedene Formen annehmen:

• Mißtrauen bis Ablehnung gegenüber einer Entwicklung, deren Ende noch nicht abzusehen ist;

• Begrüßung der Motorisierung als Ausdruck technischen Fortschritts; oder

• einfach die Hinnahme der Entwicklung und der Versuch, mit ihr zu leben.

Nicht so die Wiener Stadtväter; die haben offensichtlich überhaupt keine Meinung. Wie anders wäre es zu erklären, daß in Wien weder ein rigoroser Ausbau städtischer Massenverkehrsmittel erfolgt (als Anreiz, vom Pkw in ein Massenverkehrsmittel umzusteigen) noch anderseits ein adäquater Ausbau des Wiener Straßenbahnnetzes erfolgt ist?

Der Weg, der in Wien gewählt wurde, ist wohl beispiellos in Mitteleuropa und entspricht einer Laissez-faire-Mentalität, die darin besteht, die Probleme einfach an sich herankommen zu lassen und dann punktuell Symptomkuren vorzunehmen.

Von vorausschauender Planung können auch wohlmeinende Kritiker der Wiener Rathausbürokratie nicht mehr sprechen.

Eine bereits 1958 angefertigte Studie von Prof. Dorfwirth wurde im wesentlichen negiert. Die Folgen dieser katastrophalen Lässigkeit sind schmerzlich: Es gibt kein verbindliches Garagenkonzept für Wien, keine effiziente Garagenordnung, Iceine Vorsorge für das Park-and-ride-System, keinen Plan für die Einrichtung von Fußgängerzonen und für den dringend benötigten Parkraum in der Innenstadt.

Die ohnedies völlig unzureichende Garagenordnung wird durch die Möglichkeit einer Ausgleichsabgabe entwertet. In den Jahren 1968 bis 1970 wurde für 229 vorgeschriebene Stellplätze 4,7 Millionen Schilling Ablöse gezahlt. Die meisten dieser nichtgebauten Parkplätze hätten in Ringnähe, also in der City, errichtet werden sollen. Anderseits aber wurden im 23. Bezirk alle vorgeschriebenen Parkplätze gebaut und kein einziger abgelöst.

Bei den Stellflächen, die dann von der Gemeinde zusätzlich errichtet wurden, verhält es sich genau umgekehrt: die meisten neuen Parkplätze wurden im 21. Bezirk (582) und im 23. Bezirk (220) gebaut, also am Stadtrand, jedoch kein einziger im 1. Bezirk!

Zur weiteren Illustration dieser krassen Mißwirtschaft sei erwähnt, daß in den drei genannten Jahren 7360 Stellplätze (vorwiegend am Stadtrand) errichtet wurden, obwohl in diesem Zeitraum die Zahl der Pkw um 51.425 gestiegen ist!

Versuche, den Parkraum zu rationieren (Kurzparkzonen, unter Umständen Parkometer) gehören zu den genannten Symptomkuren, denn sie erhöhen das Angebot an Stellflächen nicht. In anderen Ländern werden solche Maßnahmen als „flankierende“ Maßnahmen zu anderen Reformen (Tiefgaragen, Parkhäuser usw.) verstanden, in Wien als Ultima ratio angepriesen.

Diese werden in ganz Europa nach sorgfältiger Planung, Schaffung der Voraussetzungen (hinreichende Anzahl von Parkplätzen am Rand der Zone sowie ausreichende Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Heranführung der Fußgänger) sowie garantierter harmonischer Einfügung ins Stadtbild eingerichtet. Nicht so in Wien; die Fußgängerzone in der Innenstadt wurde — als umweltfreundlicher Gag — geradezu überfallsartig beschlossen. Bürgermeister Slavik meint heute: „Das, was jetzt dort geschehen ist, waren Experimente und Versuche.“

Etwas, was es in Wien überhaupt nicht gibt, ist ein Konzept für den Wirtschaftsverkehr, Fernlasterbahnhöfe als Voraussetzung für Verkehrsbeschränkungen innerhalb des Gürtels sind nicht vorhanden und werden auch kaum geplant. Für den Zulieferverkehr fehlen die nötigen Voraussetzungen, der U-Bahn-Bau sowie andere Bauvorhaben nehmen kaum ausreichend Rücksicht auf den Wirtschaftsverkehr.

Der volkswirtschaftliche Verlust, der aber durch schlechte Verkehrsverhältnisse, Bauzeitenüberschreitungen, unkoordinierte Bauarbeiten, unzulängliche Behelfsfahrbahnen und rücksichtslose Bauabwicklung entsteht, geht in die hunderte Millionen Schilling, wird aber von den Politikern im Rathaus überhaupt nicht berücksichtigt.

Die Tatsache, daß die Mehrheitsverhältnisse im Wiener Rathaus seit Jahren zementiert sind, mag einer der Hauptgründe für das Versagen sein. Die einen dilettieren munter drauflos, weil sie damit rechnen können, daß die Wiener zwar raunzen, aber sich letztlich doch alles gefallen lassen; und die anderen haben offensichtlich resignierend ihr oppositionelles Los akzeptiert.

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